Süddeutsche Zeitung

Sinfonietta Dachau:Die Zeitenwende kommt mit zarten Paukenschlägen

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Wie ist der junge neue Dirigent der Sinfonietta Dachau, Jesús Ortega Martínez? Was will, was kann er? Sein mit Spannung erwarteter Beethoven-Abend vermittelt einen guten Eindruck, was man von diesem Ensemble noch erwarten darf.

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Beethoven! "Kaum eines anderen Deutschen Name wird in der ganzen Welt mit solcher Ehrfurcht genannt wie der Beethovens." Das sagte 1936 der große Dirigent, nicht zuletzt Beethoven-Dirigent Wilhelm Furtwängler. Seither hat sich viel geändert.

"Ehrfurcht" etwa ist längst keine Haltung, ja nicht einmal ein gängiger Begriff mehr. Aber alle bedeutenden klassischen Orchesterdirigenten messen sich noch heute am Werk Beethovens, alle ganz Großen - in unserer Zeit von Leonard Bernstein bis Lorin Maazel - brillierten mit der Gesamtaufführung aller neun Beethoven-Symphonien.

So stellte sich auch der neue Leiter der "Sinfonietta Dachau", der junge Spanier Jesús Ortega Martínez, seinem Dachauer Publikum mit einem Beethoven-Abend vor. (Sein erstes Konzert mit der Sinfonietta im Oktober des letzten Jahres war noch ein Programm seines Vorgängers, Victor Bolarinwa, das er mit nur zwei Proben übernehmen musste.) Die Fragen "Wie ist der neue Dirigent, wie stellt er sich dar, was will und was kann er?" wird am deutlichsten mit seiner Beethoven-Interpretation beantwortet. Zumindest lassen sich wesentliche Merkmale feststellen.

Jesús Ortega Martínez dirigierte bei seinem wirklich ersten eigenen Programm Beethovens erste Symphonie op. 21 und dessen Violinkonzert op. 61, aber in umgekehrter Reihenfolge. Das war ein erster Hinweis auf seine Auffassung des Beethoven-Violinkonzerts, nämlich mehr als eine weitere Symphonie als das Konzert eines Solisten. So war auch der Beitrag im Programmheftchen bezeichnend mit "Von der zehnten zur ersten Sinfonie" überschrieben.

Betont feine Wiedergabe

Das Konzert - gemeint sowohl als Konzertabend wie als Instrumentalkonzert - begann, wie bekannt, mit fünf Paukenschlägen. Das Wort "Paukenschläge" war aber gerade in dieser Aufführung unter Martínez fehl am Platze, es war - so zart hat man das wohl noch nie gehört - eher ein leises, zurückhaltendes Anklopfen. Die Antwort, ein nur vier Takte langer Bläsersatz der Oboen, Klarinetten und Fagotte, war so betont Beethovens Anweisung "piano" und "dolce" folgend gespielt, dass sie aufhorchen ließ. Und diese Art des Musizierens prägte die ganze Aufführung, selbst das Spiel des Solisten Lewin Creuz. Es war eine betont feine Wiedergabe.

Man war also an diesem Abend meilenweit entfernt von einer heldenhaften Wiedergabe des in den ersten Jahrzehnten nach der nicht gut gelungenen Uraufführung von 1806 von den Geigern als unspielbar gehaltenen Werks. Aber auch die große Tradition der russischen Schule - die wohl bekanntesten Vertreter sind David und Igor Oistrach aus Odessa - mit ihrer äußerst beeindruckenden musikalischen und technischen Brillanz war an diesem Abend nicht "tonangebend".

Beim Rondo zeigt sich die Brillanz des Solisten

Das soll nicht heißen, dass es der erst 19 Jahre junge Solist an der nötigen Virtuosität fehlen ließ. Er spielte das Beethoven-Violinkonzert meisterhaft, präsentierte sich dabei aber weniger als Star-Solist, mehr als unerhört begabter und insofern natürlich herausragender Mitgestalter des "symphonischen" Konzerts. Erst beim Rondo (3. Satz) trat die Brillanz des Geigers in den Vordergrund. Beethoven mahnt aber auch hier zweimal: "delicatamente". So könnte man das ganze Musizieren dieses aufsehenerregenden Abends als delikat bezeichnen. Das Publikum im fast ausverkauften Saal war begeistert, die Zugabe des Geigers ein Satz aus der 3. Partita für Violine solo von Johann Sebastian Bach.

Die Aufführung von Beethovens 1. Symphonie zeichnete das Bild des neuen Dirigenten profilierter. Jesús Ortega Martínez ist kein Pultstar, der am Konzertabend mit brillanter Schlagtechnik die Musik geradezu sichtbar macht und das Orchester inspiriert, er gehört vielmehr zu den Dirigenten, die mit intensiver Probearbeit einen Konzertabend optimal vorbereiten.

Martínez fordert seinen Musikern einiges ab

Dabei verlangt er vom Orchester sehr viel. Die Sinfonietta-Musiker mussten ungewöhnlich viel mehr üben als zu vergleichsweise gemütlicheren Zeiten. Martínez nimmt auch kaum Rücksicht auf die eben nicht so ganz professionellen Fähigkeiten eines Laienorchesters. Er nimmt Beethovens "Allegro molto e vivace" ernst oder macht sogar - beinahe, aber nicht ganz wie heute üblich - ein "vivacissimo" daraus. Dabei gehen freilich manche Feinheiten der Partitur verloren, obwohl Martínez gerade darauf besonderen Wert legt. Auch die klangliche Balance, vor allem zwischen Bläsern und Streichern, ist noch nicht optimal.

Insgesamt aber kann man sagen, dass die Zeitenwende - ein Begriff aus der Politik und dort natürlich sehr umstritten - bei der "Sinfonietta Dachau" voll durchgeschlagen hat und Konzertabende von sehr hohem Niveau erwarten lässt.

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