Sexuelle Gewalt gegen Frauen in Dachau:Schutzräume vergrößern

Marese Hoffmann Dachau

"Bisher haben wir in dieser Hinsicht viel zu wenig erreicht", sagt Marese Hoffmann.

(Foto: privat)

Sexuelle Gewalt gegen Frauen ist noch immer ein gesellschaftliches Tabuthema. Kreisrätinnen unterschiedlicher Fraktionen fordern von Bund, Ländern und Kommunen, endlich mehr Geld für Prävention und Aufklärung auszugeben

Von Christiane Bracht, Dachau

19 Prozent mehr Sexualdelikte im Landkreis im vergangenen Jahr: Diese Nachricht sei "ein Weckruf erster Ordnung", sagt Kreisrätin Marese Hoffmann (Grüne). Man habe zwar schon früher vermutet, dass das Corona-Jahr derartiges zur Folge haben würde, aber diese "Heftigkeit" sei "schrecklich". Zusammen mit den Fraktionssprecherinnen des Kreistags Stephanie Burgmeier (CSU), Marianne Klaffki (SPD), Dagmar Wagner (Freie Wähler) und Lena Wirthmüller (Bündnis, ÖDP, Linke) teilt Hoffmann "Sorge und Mitgefühl für die Opfer von Vergewaltigungen und Nötigungen". "Präventionsmaßnahmen müssen dynamisch weitergeführt werden", fordern die Kommunalpolitikerinnen. Denn auch sie sind wie der Deutsche Juristinnen Bund (djb) der Ansicht: "Gewalt gegen Frauen gehört ganz oben auf die politische Agenda. Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt inklusive Prävention und Unterstützung sowie Entschädigung der Betroffenen sind kein Luxus, der in Zeiten strapazierter öffentlicher Kassen leider zurücktreten muss, sondern eine Pflichtaufgabe im jeweiligen Zuständigkeitsbereich von Bund, Ländern und Kommunen."

Im vergangenen Sommer hatten die Fraktionssprecherinnen das Projekt "Luisa" auf den Weg gebracht. Es soll Frauen Schutz geben, die sich belästigt fühlen. Funktionieren soll es so: Wer etwa in einer Kneipe oder einem Restaurant in eine solche Situation gerät, soll das Codewort "Luisa" äußern zum Beispiel gegenüber dem Barkeeper, der weiß dann Bescheid und versucht sofort, Hilfe zu holen. Alle Landkreisgemeinden und die Stadt Dachau hätten bereits zugesagt, es zu unterstützen, so Hoffmann. Doch dann sei die Corona-Krise dazwischengekommen. "Ich hoffe, dass wir es dieses Jahr noch in Bewegung bringen. Das wird den Schutz der Frauen deutlich verbessern." Außerdem müsse die Polizei sensibilisiert werden, damit Gewalt gegen Frauen erkannt und ihr wirksam begegnet werden könne, fordern die Politikerinnen. "Bisher haben wir in dieser Hinsicht viel zu wenig erreicht. Deutschland ist ein Entwicklungsland", so Hoffmann. "Schutz ist unsere Aufgabe." An Schutzräumen wie dem Frauenhaus dürfe nicht gespart werden.

Prävention müsse intensiviert werden. "Es kann nicht sein, dass dies am Geld scheitert", sagt Hoffmann. Das Thema Kinderpornografie im Landkreis müsse dringend angegangen werden, vor allem das Verbreiten von pornografischen Inhalten per Whatsapp oder auf anderen Plattformen. Laut Polizei sind insoweit besonders Schüler und junge Menschen in den Fokus der Ermittler geraten. Aufklärung sei nötig, sagen die Politikerinnen.

Zwar gibt es schon ein erstes Pilotprojekt, das zusammen mit der Aktion "Digitale Helden" und dem Kreisjugendring (KJR) Dachau die Chats von Schülern in den Fokus nimmt. Doch das läuft im Landkreis nur an vier Schulen. Neuntklässler kümmern sich dabei um die Jüngeren, erklären ihnen, wo die Grenze überschritten ist, was akzeptabel und was böse nicht. Dass Acht- bis Zehnjährige ungewollt mit Pornografie oder Gewalt konfrontiert würden, "das ist die Schattenseite der Digitalisierung", sagt Ludwig Gasteiger, KJR-Geschäftsführer. Sie könnten es nicht verarbeiten und schickten es einfach weiter. Um wirksam etwas gegen "Sexting und Mobbing" tun zu können, wäre es am besten, eine eigene Fachstelle aufzubauen, die Eltern und Lehrer unterstützt und mit der Polizei in einem Netzwerk ist. "Es ist ein riesiges Thema, das durch die zunehmende Digitalisierung nun sichtbarer wird."

Bildungsmanagerin Catrin Müller, die das Projekt mit den digitalen Helden mit auf den Weg gebracht hat, sagt, es habe in dessen Rahmen Webinare gegeben, in denen Fachleute erklärt hätten, dass Kinder nicht mehr dieselben moralischen Sperren hätten wie ihre Eltern und Großeltern. Die Bilder, die die Kinder im Netz zu sehen bekommen hätten, seien irreversibel. "Das ist sehr erschütternd", so Müller. Eine eigene Fachstelle brauche es aber nicht,ein Netzwerk gegen sexuelle Gewalt, das diese Abgründe auffangen könne, sei wichtiger. So könne man die Wege und Handlungsfelder besser beleuchten.

Dass es 2020 so viele Fälle von Gewalt an Frauen gegeben habe, erklärt Landrat Stefan Löwl (CSU) so: "Die Dunkelziffer wird jetzt sichtbarer." Zumindest hege er die "Hoffnung, dass es sich nicht um einen Anstieg handelt". Der Landkreis tue sehr viel: Die Dachauer Interventionsstelle für häusliche Gewalt "Distel" biete Hilfe, ebenso das Frauenhaus - das allerdings von 113 Anfragen im vergangenen Jahr 106 abweisen musste. Die finanziellen Ressourcen seien jedoch endlich, so Löwl. "Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe", die man nicht einfach an den Staat delegieren könne. Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) berichtet, die Polizei habe ihm versichert, dass die meisten Sexualdelikte im häuslichen Umfeld stattgefunden hätten, ein Bereich, in dem die Stadt nichts ausrichten könne. Dennoch "ist es uns ein Anliegen zu zeigen, dass wenn es ein Problem gibt, wir da sind", sagt Hartmann und verweist auf die Aktion "Sicheres Volksfest" und das Jugendzentrum als Ansprechpartner. Letzteres hat seit einem Jahr Corona-bedingt geschlossen.

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