Süddeutsche Zeitung

"Geschichten aus dem Dachauer Land":In einem Land vor unserer Zeit

Lesezeit: 4 min

Seit 30 Jahren untersucht Christa Liebert die Geschichte Miesbergs - von den Anfangen menschlicher Besiedlung bis zur Auswanderungswelle des frühen 20. Jahrhunderts.

Von Renate Zauscher, Pfaffenhofen an der Glonn

Angefangen hat alles mit einem kleinen Stück gebrannten Tons: mit dem Henkel eines Keramikgefäßes, das Klaus, einer der drei Söhne von Christa Liebert, beim Rübenhacken mit seiner Mutter im Ackerboden entdeckte. "Da wusste ich, du musst suchen", sagt Liebert im Rückblick auf den Moment vor 30 Jahren, der zur Initialzündung für ihr archäologisches und historisches Interesse werden sollte.

Seit Jahrtausenden muss es hier Menschen gegeben haben

Seit der Entdeckung des kleinen Keramikteils auf eigenem Grund und Boden "sucht" Christa Liebert: auf den Feldern, in Archiven, im Internet. Sie ist an der Geschichte der Lieberts ebenso interessiert wie an der des "Girglbauer"-Hofs, in den sie 1967 eingeheiratet hat: einer der beiden großen Höfe, aus denen der Weiler Miesberg in der Gemeinde Pfaffenhofen an der Glonn besteht.

Vielleicht liegt eines der Motive für Christa Lieberts Suche nach den Spuren der Vergangenheit in dem Bewusstsein, auf uraltem Siedlungsboden zu leben. Seit Jahrtausenden muss es hier Menschen gegeben haben. Schon Lieberts Schwiegervater Michael hat 1926 auf seinen Feldern ein Steinbeil aus dem dritten oder sogar vierten Jahrtausend von Christus gefunden, das sich heute im Wittelsbacher Museum in Aichach befindet. Auch aus der späteren Bronze- und der Hallstattzeit wurden Artefakte in der näheren Umgebung entdeckt, und es gibt Belege für die Eisengewinnung in Miesberg und dem nahen Stockach.

Typisch für Christa Liebert dürfte sein, dass sie die bei der Feldarbeit gefundene Keramikscherbe, die sich später als sogenannter "Ösenhenkel" einer Tüllenkanne aus dem 12. Jahrhundert herausstellte, nicht einfach in eine Vitrine legte und die Sache auf sich beruhen ließ. Sie wollte genauer wissen, um was es sich handelt und nahm Kontakt zum damaligen Leiter des Friedberger Heimatmuseums auf. "Der hat mich richtig eingeführt in die Materie", sagt Liebert: Anhand von Keramikscherben, die er auf dem Tisch vor ihr ausbreitete, erklärte er ihr, wie solche Funde zeitlich einzuordnen sind.

Archäologische Jagdleidenschaft

Christa Lieberts archäologische Jagdleidenschaft begleitet sie bis heute. Sie hat Keramikreste gefunden, die von einem römischen Gutshof in der Umgebung stammen müssen, und eine ihrer jüngsten Entdeckungen war vor einem Jahr das Mittelteil einer aus dunkelgrünem Serpentin gefertigten Steinaxt aus dem späten Neolithicum. Kurz darauf fand sie einige Meter weiter das dazu passende vordere Stück der Axt: ein Glücksfall sondergleichen. Auch einen Mahlstein aus der Hallstattzeit hat Christa Liebert erst kürzlich gefunden: zunächst den sogenannten "Unterlieger", dann, vor wenigen Wochen, auch den "Läufer". Im Landesamt für Denkmalpflege holt sich Christa Liebert immer mal wieder Auskunft und Ratschläge bei der Bestimmung ihrer Funde, zu denen etwa auch die "Viereckschüsselchen" gehören, Ofenkacheln aus dem 15. Jahrhundert, die im Jahr 2009 beim Bau einer Solaranlage auf einem Acker des Girglbauern gefunden wurden.

Ein Backhäusl mit Steinofen gehört ebenso zum "Girglbauern"-Hof...

... wie eine schmucke Kapelle.

Zu den Aufgaben, die Christa Liebert auf dem Girglbauer-Hof übernommen hat, gehört auch die Pflege der Kapelle.

Zusammen mit ihrer Nachbarin Anna Huber sorgt sie für den Blumenschmuck der Kapelle und des Backhäusls.

Auch in Miesberg dienen die Felder nicht mehr nur der Produktion von Futter und Lebensmitteln, sondern auch der Stromerzeugung.

Neben der Vor- und Frühgeschichte hat Christa Liebert schon früh die Geschichte des Girglbauer-Hofs interessiert. Von ihrer Schwiegermutter Maria lernte sie alte Kataster zu lesen und die deutsche Schrift zu entziffern, und als vor zwölf Jahren von der Kompetenzagentur Dachau in Zusammenarbeit mit "Region Aktiv" eine Ausbildung zur Heimatforscherin und Heimatpflegerin angeboten wurde, war Christa Liebert gleich mit dabei. Praktisches Ergebnis dieser Ausbildung, an der auch verschiedene andere Pfaffenhofener teilnahmen, ist die umfangreiche, sehr gründliche Gemeindechronik, die vor rund drei Jahren erschienen ist.

Das Projekt, mit dem sich Christa Liebert derzeit intensiv beschäftigt, ist die Erforschung der Geschichte des eigenen Hofs, der nach dem Tod von Lieberts Mann Richard 1990 vom ältesten Sohn übernommen wurde. Bereits 1304 wird ein "Chunrat von Miesbach" im Zusammenhang mit einem Tauschgeschäft des Klosters Fürstenfeld erwähnt, bei dem es sich - trotz der anderen Namensschreibung - um einen Miesberger handelt. 1554 wurde der Hof im damals erstellten "Herdstättenregister" einem Lienhart Khüemair zugeschrieben. Der Girglbauer-Hof gehörte, anders als viele vergleichbare Besitzungen, nie zu einem Kloster, stattdessen zur Hofmark Dasing und ab 1644 zu der in Weyhern. Als nach dem Dreißigjährigen Krieg vom Kurfürsten ein sogenanntes "Leibregister" erstellt wurde, mit dem man feststellen wollte, wo nach den Verwüstungen des Krieges überhaupt noch Steuerzahler zu finden seien, heißt es über Miesberg, dass hier "alle betteln gehen". Der Name Liebert taucht erst viel später, 1873, in Zusammenhang mit dem Girglbauer-Hof auf.

Die Auswanderungswelle des frühen 20. Jahrhunderts hat auch zahlreiche bäuerliche Familien in der Region betroffen. So gingen je zwei Familienmitglieder der Lieberts in Miesberg und der Ernsts in Stockach in die USA. Aber auch eine Generation später waren USA und Kanada Sehnsuchtsorte mancher Auswanderer. So verließ auch Richard Liebert 1957 Miesberg und lebte und arbeitete drei Jahre lang auf Farmen in der Nähe von Seattle, ehe er 1960 doch noch den elterlichen Hof übernahm. Von seinem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten brachte er zahlreiche Ideen und Pläne für die Entwicklung der Landwirtschaft zu Hause mit: Ein selbstfahrender Mähdrescher etwa erregte erhebliches Aufsehen in der Umgebung.

Barocke Kapelle mit Rokoko-Ausstattung

Zu den Aufgaben, die Christa Liebert auf dem Girglbauer-Hof übernommen hat, gehört auch die Pflege der Kapelle in Miesberg, einem kleinen Barockbau aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit schöner Rokoko-Ausstattung. Das kleine Gotteshaus ist dem heiligen Richard geweiht, und wenn Besucher kommen, übernimmt Christa Liebert die Führung. Zusammen mit ihrer Nachbarin Anna Huber sorgt sie für den Blumenschmuck der Kapelle.

Verantwortung für das, was erhalten und weitergegeben werden soll, für Christa Liebert ist sie ebenso wichtig wie die Freude am Finden und Entdecken. Sieben Enkel hat die heute 72-Jährige, und wenn Annika, eines der älteren Enkelkinder, sie mit dem Satz "Oma, erzähl mir was" um Geschichten aus der früheren Zeit oder aus dem eigenen Leben bittet, dann weiß Christa Liebert, dass auch in der nächsten und übernächsten Generation das Interesse für die Geschichte weiterlebt.

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Quelle:
SZ vom 24.08.2016
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