Serie "Dachauer Oasen", Folge 13:Im Wandel der Zeit

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Ein Spaziergang durch die Dachauer Friedhöfe zeigt, wie sich die Bepflanzung der Gräber im Laufe der Jahrzehnte verändert hat

Von Clara Nack, Dachau

Manche Bäume stehen schon seit 80 Jahren auf dem weitläufigen Waldfriedhof in Dachau. Auf dem kleinen Stadtfriedhof, der von einer weiß getünchten Mauer mit roten Ziegeln umgeben ist, gleicht das eine oder andere Grabmal schon fast selbst einem Gewächs - so zugewuchert ist es. Nur der Name des Verstorbenen ist noch gut zu lesen. Um das Jahr 1570 sollen in dieser historischen Stätte die ersten Gräber angelegt worden sein. Vor dem Zweiten Weltkrieg war dann absehbar, dass hier bald kein Platz mehr für neue Ruhestätten sein würde. Und so wurde am Rande der Dachauer Altstadt der Waldfriedhof angelegt, wo 1943 das erste Begräbnis stattfand. Mahnmale für die jüdischen und österreichischen Gefangenen des Konzentrationslagers sowie die symbolischen Grabsteine für 1268 KZ-Häftlinge, die nach der Befreiung des KZs Dachau gestorben waren, von denen aber nicht jeder einen eigene letzte Ruhestätte bekam.

Früher dominierten weiße, rote und grüne Blüten, Blätter und Gräser die Bepflanzung der Friedhöfe. Heutzutage wird alles gepflanzt, was auch zu Hause den Balkon oder Garten verschönert. Bei einem Spaziergang über den schattigen Waldfriedhof ist den Jahreszeiten angepasster Grabschmuck zu sehen. So gut wie kein Grab ist kahl. Nicht nur die Angehörigen der Verstorbenen, sondern auch Gärtnereien im Landkreis pflegen die letzten Ruhestätten. Viele Familien wohnen weiter weg oder sind körperlich nicht mehr dazu in der Lage, sich wöchentlich um die Gräber zu kümmern. Ein Gärtner des Blumenladens "Dachauer Blütenzauber", der ein Familiengrab auf dem Stadtfriedhof pflegt, erzählt aber auch, dass Gräber der Verwandten im Gegensatz zu früher "nicht mehr zur Familie gehören". Die "Verantwortung und Erhaltung" wird von den Nachkommen "immer weiter weggeschoben". Es werden auch vermehrt Urnenbestattungen und anonyme Baumbestattungen gewählt, bei denen sich die Pflege erübrigt.

Die Gräber jedoch, die liebevoll gepflegt werden, sind ganz unterschiedlich bepflanzt. Eine typische Trauerblume gibt es nicht mehr, sagen die Experten, Exoten sind jedoch auch selten. Pflanzen könnten, anders als Obst, nicht zu jeder Zeit aus Marokko, Neuseeland oder Spanien herbeigeflogen werden, damit auch im Winter Sonnenblumen auf unserem Fensterbrett stehen. "Pflanzen sind Lebewesen und lassen sich nur saisonal produzieren. Eine bestimmte Pflanze kann nicht gezwungen werden, beispielsweise im Winterboden zu wachsen, der ganz andere Voraussetzungen bietet, als die keimreiche Erde im Sommer", erklärt Rudolf Diehm von der gleichnamigen Gärtnerei in Dachau. Bei der saisonalen Bepflanzung der Gräber ist es entscheidend, dass sich die Pflanzen länger halten, hitzeresistent und der Jahreszeit angepasst sind.

Georg Roth senior bietet mit seiner Gärtnerei auch regelmäßige Grabpflege an. Es habe sich viel verändert im Umgang mit Tod und Trauer, sagt er. Die Kundschaft habe um mindestens 30 Prozent zugenommen in den vergangenen zehn Jahren. "Der Bezug zum Friedhof lässt nach. Allerheiligen ist kein Anlass für ein Familientreffen mehr, an dem man gemeinsam die Gräber der Lieben besucht. Jetzt fahren die Leute über die Feiertage weg", beschreibt Roth die Entwicklung. Für seine Kunden bietet er stets eine individuelle Gestaltungen an, pflanzt aber auch hauptsächlich saisonal. Drei Wechselbepflanzungen gebe es über das Jahr verteilt. Das Stiefmütterchen ist dabei immer noch eine der typischen Frühjahrsblumen. Im Sommer dann wird es immer bunter und vor allem Blumen wie Veilchen, Nelken, Rosen und Begonien schmücken die Gräber. Ende September oder Anfang Oktober pflanzen Roth und sein Gärtnerteam dann den sogenannten Herbstzauber. Das sind hauptsächlich Blätter und Gräser wie das Silberblatt, das Heiligenkraut und die Besenheide, die auch noch im Winter die Blätterköpfchen aufrecht halten. "Viele Kunden wollen immer etwas Neues und Exklusives. Wir versuchen aber, pflegeleichte Pflanzen zu empfehlen. Die neuen Trends setzen sich meist nicht gegen das Wetter durch", sagt Georg Roth.

Heuer sei die Grabpflege wegen der Hitze ohnehin schwierig gewesen. Seit sich Roth erinnern kann, hätte er mit seinem Team zum ersten Mal schon im April angefangen, jeden Tag zu gießen. Die altbewährte, hitzeresistente Begonie habe dabei am wenigsten Arbeit gemacht.

Magdalena Freitag freut sich, dass die Blumen am Grab ihrer Schwiegereltern auf dem Waldfriedhof dieses Jahr schon zum zweiten Mal geblüht haben. Seit 2004 pflegt sie das Grab gemeinsam mit ihrem Mann - im Sommer alle zwei bis drei Tage. Den größten Aufwand machen ihr jedoch nicht die häufigen Besuche, sondern dass sie sich zusätzlich um andere Gräber kümmert. "Wenn ich sehe, dass sich die Pflanzen dort sicherlich über Wasser freuen würden, frage ich die Leute benachbarter Gräber, ob ich mitgießen soll. Für Freunde und alte Bekannte habe ich zwischenzeitlich fünf bis sechs Gräber gleichzeitig gepflegt", erzählt Magdalena Freitag. Solche Begegnungen sind jedoch eher selten. Meist ist Frau Freitag alleine am Gärtnern. Junge Leute sehe sie so gut wie gar nicht. Außer gelegentlich beim Joggen über das parkähnliche Gelände.

Für viele ältere Menschen gehört das Gärtnern an dem Ort, der die Erinnerung an die Geliebten aufrecht erhält, zum Alltag. Sie kommen mit dem Fahrrad oder treffen sich, um gemeinsam für den Herbst zu pflanzen. Besuche am Grab verstorbener Ehepartner helfen oft, einen innigen Kontakt zu halten. Diese emotionale Verbindung zur Grabstätte ist bei der jüngeren Generation aber weniger ausgeprägt. Auch das Gedenken an die Verstorben ändert sich, etwa indem das Leben des Menschen gefeiert, anstatt wiederkehrend dem Tod gedacht wird.

Wer einen geliebten Menschen verloren hat, sei in Fragen der Trauerfloristik offener geworden, sagt Patrizia Rausch vom Blumenfenster Dachau. Die Kränze, Gestecke und Arrangements, die das Blumengeschäft seinen Kunden anbietet, seien in ihren Farben und Mustern heute "weniger steif". Lebensbejahender und fröhlicher könnte man die Blumen beschreiben, die Angehörige auch aussuchen, um an den Charakter, das Lebenswerk oder die Interessen des Verstorbenen zu erinnern. "In letzter Zeit fertigen wir viele Herzen an, aber es wurde auch schon ein Motorrad aus Blumen in Auftrag gegeben, oder ein Notenschlüssel", erinnert sich Patrizia Rausch. Für einen Verstorbenen, der viel Zeit in den Bergen verbracht hat, könnten dann typische Pflanzen wie Enzian, Edelweiß oder auch jede Art von Zapfen gewählt werden.

Georg Roth beobachtet die Entwicklung der Trauer- und letztendlich auch der Erinnerungskultur trotz steigender Kundschaft mit Skepsis. Der Respekt vor der Würde der Toten gehe verloren, sagt er. Diesen Respekt nicht mehr durch regelmäßige Friedhofsbesuche oder die Verlängerung der Liegerechte, die nach maximal 15 Jahren ablaufen, zu zollen, sei so, als "würde man die Kirchensteuer nicht mehr bezahlen".

Rundum die Gräber pflegen die Friedhofsgärtner der Stadt Dachau hunderte Eichen, Buchen, Linden, Pappeln und Tannen - jeden Tag. Es werden sogar noch neue Bäume gepflanzt, wenn kranke zurückgeschnitten oder ersetzt werden müssen. Auf dem Dachauer Waldfriedhof und dem Stadtfriedhof blühen die Blumen immer noch auf jedem Grab in allen erdenklichen Farben und Formen. Wer sich darum kümmert, ist nicht immer leicht festzustellen, doch Sorge getragen wird weiterhin, wenn auch nicht immer von den Angehörigen. Vielleicht gießt die nette Dame von nebenan die durstigen Erinnerungsgewächse, wenn sie einen Spaziergang macht.

© SZ vom 10.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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