Serie: Dachauer Oasen, Folge 4:Mein Nachbar, der Ameisenbläuling

Die stadtnahen Biotope sind wichtig für Tiere und Pflanzen, dienen aber auch den Bürgern als Oasen der Erholung. Das birgt Stoff für Konflikte. Landschaftsarchitekt Stefan Tischer versucht, die unterschiedlichen Interessen so gut wie möglich in Einklang zu bringen

Von Jacqueline Lang, Dachau

Stefan Tischer steigt in seine Gummistiefel. Doch bevor der Spaziergang durchs hohe Gras entlang der Würm beginnt, deutet der Landschaftsarchitekt und Sachgebietsleiter für Stadtgrün und Umwelt auf die Wiese, die direkt an der Straße liegt. Es gibt ein paar Dinge, die er erklären muss über die Vielfalt zwischen den Halmen: Der gewöhnliche Natternkopf und das Ochsenauge, aber auch der große Wiesenknopf haben sich hier angesiedelt. Der Wiesenknopf ist die einzige Nahrungsquelle für den Dunklen Wiesenknopf-Ameisenbläuling, eine seltene Schmetterlingsart. Stark verbreitet sind hingegen die Goldrute und das einjährige Berufskraut. Beide zählen zu den Neophyten, Pflanzen die ursprünglich aus Nordamerika kommen, sich aber hier angesiedelt haben und einheimische Pflanzen und Kräuter verdrängen. Tischers Aufgabe ist es, ein Biotop zu schaffen, in dem heimische Pflanzen und Tiere leben und gedeihen können.

Aus dem Griechischen übersetzt bezeichnet ein Biotop eigentlich nicht mehr und nicht weniger als einen Lebensraum. In Zeiten von immer knapper werdender freier Fläche werden Biotope jedoch häufig zum letzten Rückzugsort für heimische Pflanzen und Tiere. Ideal wäre es, wenn solche Biotope nah beieinanderlägen, damit sogenannte Biotopverbünde entstehen, zwischen denen sich die Tiere leicht hin- und herbewegen können und die Pflanzen leichter ausbreiten, sagen Naturschützer. In der Realität gilt es schon als Erfolg, wenn kleinste Fläche von Bebauung und Bodenversiegelung verschont bleiben. Ein solches Fleckchen Freifläche ist beispielsweise die Würm-Reschenbachaue im Dachauer Süden.

Um dort und in anderen Biotopen die Artenvielfalt zu gewährleisten, müssen Tischer und seine Kollegen viel Arbeit investieren und mit viel Sorgfalt und Geduld vorgehen. Mindestens zweimal im Jahr werden die Wiesen zumindest teilweise gemäht, damit die heimischen Pflanzen nicht von den Neophyten überwuchert werden. "Wiesen leben vom Mähen", sagt Tischer und reißt nebenbei das wild wuchernde einjährige Berufskraut aus, das sich schon wieder breitgemacht hat. Möglicherweise werde er noch Schafe zum Grasen vorbeischicken, damit diese für etwas Ordnung sorgen, sagt er.

In der Würm haben Tischer und sein Team Baumstämme platziert, damit sich das Flussbett besser ausbreiten kann. Gleichzeitig soll durch Kurven die Dynamik des Wassers, die Tiefen- und Breitenvarianz befördert werden, damit sich unterschiedliche Fischarten hier wohlfühlen.

Doch nicht nur wegen der Artenvielfalt sind die Biotope von unschätzbarem Wert. Röhrichte schützen das Wasser vor Verunreinigung, Moore und Auwälder speichern große Mengen Wasser und verringern die Gefahr von Überschwemmungen. Hecken und Ackerraine schützen vor Wind und Bodenerosion. Nicht zuletzt sind die stadtnahen Biotope aber auch Orte der Naherholung für die Menschen.

Die Landschaftsarchitekten der Stadt versuchen die Interessen von Flora, Fauna und Menschen möglichst unter einen Hut zu bekommen, auch wenn das nicht immer einfach ist. Wo Straßen und Häuser gebaut werden, sollen an anderer Stelle Ausgleichsflächen geschaffen werden - ein schwieriges Unterfangen in einem dicht besiedelten Gebiet, in dem Flächen immer mehr zur Mangelware werden. Alles in allem ist Tischer jedoch zufrieden: "Dachau geht mit gutem Beispiel voran."

Mit knapp 2,2 Prozent der Fläche nehmen die Biotope im Landkreis Dachau nur einen sehr geringen Teil der Gesamtfläche ein, viele der Flächen sind zudem sehr klein. "Schon dadurch wird deutlich, wie wichtig der Erhalt der bestehenden Flächen und die Schaffung neuer Biotope ist", heißt es dazu auf der Homepage des Landratsamts. Im Grundsatz scheint die Bedeutung der Biotope unstrittig zu sein.

Ludwig Wilhelm, Kreisgruppenvorsitzender vom Landesbund für Vogelschutz (LBV), stimmt darin mit Tischer und der Stadt überein. Im Gegensatz zu dem Landschaftsarchitekten, der im Auftrag der Stadt handelt, gilt sein Interesse aber einzig und allein dem Wohl der Natur. Er sieht die Regierung und die Landwirte in der Pflicht, mehr für die Umwelt zu tun. Gewinnmaximierung um jeden Preis? Das kann der Tierfreund nicht verstehen. Er ist davon überzeugt, dass Landwirtschaft auch im Einklang mit der Natur möglich sei. Nur wollen müsse man das, sagt er.

Sein Fernglas hat der Vogelbeobachter Wilhelm heute zuhause vergessen. Ob sich zwischen die Graugänsen noch afrikanische Nilgänse gemischt haben, kann er deshalb nur vermuten. Anfang August sind die meisten Vögel längst gen Süden unterwegs, doch die grau gefiederten Gänse schwimmen immer noch in großer Zahl auf dem Weiher im Landschaftsschutzgebiet in Dachau Süd. "Wir haben dieses Jahr so viele gezählt wie nie", sagt Wilhelm. Auf der kleinen Insel mitten auf dem Wasser vermutet der Ornithologe außerdem Haubentaucher, vielleicht auch Stock- und Tafelenten. Gleichzeitig verschwinden aber immer mehr Vögel, die bis vor wenigen Jahren noch häufig gesichtet wurden. Das Rebhuhn zum Beispiel, aber auch der Kiebitz. "Wir werden ihn voraussichtlich verlieren", lautet seine Prognose.

Wilhelm lässt den Weiher zu seiner Linken liegen und steigt den kleinen Hügel über einen Trampelpfad empor. Hier sieht die Landschaft plötzlich ganz anders aus: Statt Schilf und sattem, grünen Gras findet man auf der mageren Trockenwiese wilden Salbei, Pechnelken und Goldflachs vor. Das Areal, das von Steinmauern umfasst ist, mag überschaubar sein. Doch für die dort lebenden Insekten wie Bienen, Hummeln und Schmetterlinge ist es der ideale Lebensraum. Bewusst wurde die Wiese an dieser Stelle deshalb nur streifenweise gemäht. Ein Vorgehen, dass Wilhelm begrüßt, auch wenn er der Meinung ist, dass ein einmaliges Mähen völlig ausreichend wäre.

Von oben sieht man am Ufer des Weihers ein paar Hunde frei herumlaufen. Darüber kann Wilhelm nur den Kopf schütteln, denn eigentlich gilt hier Leinenpflicht. Auch, dass Glasflaschen und Mülltüten herumliegen, ist für den Umweltschützer ein großes Ärgernis. Selbstverständlich sei auch er dafür, dass alle in den Genuss der Natur kämen. Doch warum müsse der Mensch immer und überall seine Spuren hinterlassen? Biotope, diese kleinen Fleckchen Natur, gelte es zu schützen - für Tiere und Pflanzen. Im Interesse der Menschen.

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