Serie "Dachauer Oasen"Die grüne Lunge der Stadt

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Ein vergessener Ort: Das Biotop auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei.
Ein vergessener Ort: Das Biotop auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei. (Foto: Toni Heigl)

Rehe auf den Straßen, Schafe auf den Streuwiesen und eine Ringelnatter im Spind: Die Beamten der Bereitschaftspolizei teilen sich ihr Gelände ganz selbstverständlich mit Tieren und Pflanzen.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei Dachau, hinter der Holländerhalle, wo die Würm und der Pollenbach zusammenfließen, liegt ein längst vergessener Ort. Es ist eine Naturfläche samt Biotop, das von oben wie ein Dreieck aussieht. Das Gras befällt eine geteerte Fläche, im Biotop wuchert die Pflanze mit dem Namen Wasserpest. Johanniskraut, Grünminze und Rainfarn wiegen im Sommerwind hin und her. In der Zeit des Nationalsozialismus war hier ein Freibad für das Personal des Konzentrationslagers. Es ist perfide: SS-Männer vertrieben sich hier die Zeit, wenn sie frei hatten vom Morden. Heute sieht man im klaren Wasser nur noch die Beton-Umrandung des Beckens. Die Natur verschlingt an diesem Ort alles, auch die Vergangenheit.

Wenn der Mensch sie lässt, holt sich die Natur zurück, was ihr gehört. Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei. Die 1300 Polizisten teilen sich die 70 Hektar ganz selbstverständlich mit Pflanzen und Tieren. Rehe huschen über die Straßen. An der Fassade des Stabsgebäudes der sechsten Abteilung hängt ein Wespennest. Weiter hinten haben die Polizisten eine Blumenwiese angepflanzt, auf der Schmuckkörbchen, Korn- und Sonnenblumen wachsen. Davor haben sie ein Schild aufgestellt, dass das Mähen der Wiese verboten ist. Chemische Spritzmittel sind hier tabu. Einige Polizisten imkern, auf freien Flächen sieht man immer wieder Bienenkästen. Andere pflücken sich für ihren Salat frischen Thymian von einer Wiese. Der Platz, wo sie mit den Wasserwerfern üben, liegt in einem kleinen Wald. Die Dächer einiger Container sind bewachsen. Es grünt, wo man nur hinsieht. Das Gelände der Bereitschaftspolizei, es ist die grüne Lunge Dachaus.

"Wir müssen mit der Natur leben. Der Mensch ist hier nur zu Gast."

Als Uli Schmid an einem Mittwochvormittag gegen 10 Uhr einen Fischreiher am Ufer des Biotops entdeckt, duckt er sich. Der Polizist schleicht über den Boden, um den Vogel nicht zu verscheuchen. Er trägt eine Uniform, ein Hemd und eine lange Hose, letztere braucht man hier auch. In der Wiese warten Zecken auf eine günstige Gelegenheit. Und durch das Gras schlängeln Ringelnattern und Kreuzottern. Schmid ist polizeilicher Pressesprecher. Er begeistert sich seit jeher für die Tier- und Pflanzenwelt. In seiner Freizeit imkert er. Zuhause hat er selbst einen riesigen Garten. "Man muss umdenken. Wir müssen mit der Natur leben. Der Mensch ist hier nur zu Gast." Dann fliegt der Fischreiher davon in Richtung Himmel.

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(Foto: Toni Heigl)

Wo heute ein Biotop mit einem Weiher liegt, befand sich einst ein Freibad für das Personal des Konzentrationslagers.

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(Foto: Toni Heigl)

"Wir müssen mit der Natur leben", sagt Polizeisprecher Uli Schmid. Er begeistert sich seit jeher für die Natur- und Pflanzenwelt und hat auch zuhause einen riesigen Garten.

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(Foto: Toni Heigl)

Schafe weiden auf den Grünflächen des Geländes und ersparen Gärtnern das Mähen.

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(Foto: Toni Heigl)

Einige Polizisten sind auch Imker und haben Bienenkästen aufgestellt.

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(Foto: Toni Heigl)

Die Holländerhalle ist von Sträuchern überwuchert.

Die Bayerische Bereitschaftspolizei hat das Areal 1973 von der US-Armee übernommen. Bis 1945 nutzte es die SS als Truppenstandort. In den 90er Jahren kam es zu einem Umdenken. Die Behördenführung wollte das Gelände verschönern. Gleichzeitig sollten die Naturflächen möglichst sich selbst überlassen werden. Man stellte Gärtner ein wie Monika Gasteiger, die seit 1991 auf dem Areal arbeitet. Sie legte etwa Blumenbeete auf dem ganzen Gelände an, wie direkt im Eingangsbereich. Hier wachsen zum Beispiel Fuchsschwanz, Bartnelken und Sonnenhüte. Heute verbringt Gasteiger viel Zeit damit, die Kilometer von Hecken zu schneiden, die sich durch das Polizei-Gebiet ziehen. Doch Gasteiger sagt: "Es soll hier nicht so aussehen wie im Schlosspark, sondern naturbelassen." Für sie als Gärtnerin sei es der "schönste Arbeitsplatz der Welt".

Im "Eidechsenbiotop" weiden Schafe.

Die Fläche, die direkt an der KZ-Gedenkstätte liegt, nennen die Polizisten "Eidechsenbiotop". Hier standen einst mehrere Häuser. Das letzte Gebäude wurde in den 70er Jahren abgerissen. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Nur teilweise tritt man noch auf alte Fundamente. Das Gras einer Magerwiese steht hier teilweise hüfthoch. Überall liegt Totholz herum. Es gibt aber auch Kiesflächen, die insbesondere die Eidechsen gerne mögen, weil sie sich dort in der Sonne aufheizen können. Es wachsen Goldruten, Johanniskraut und Reifarn. Sigfried Sachenbacher kennt jedes Kraut, das hier blüht. Er ist Hobby-Heilpraktiker. Er steht jetzt im Eidechsenbiotop und blickt über die Wiese. Alles sei hier mal bebaut gewesen, sagt Sachenbacher. Und jetzt sei davon nichts mehr zu sehen. "Das fasziniert jeden, der das erste Mal hier ist."

Weiter hinten unter den Bäumen ist gerade der "Mähzug" im Einsatz, wie sie bei der Bereitschaftspolizei zu der tierischen Truppe sagen. Eine von zwei Schafsherden weidet gerade in einem Gebiet, das die Schäferin abgezäunt hat. Insgesamt gibt es 40 Polizeischafe, welche die Grünflächen abgrasen. Natürlich kommt es zu kleinen Zwischenfällen, bei denen Polizei und Tier aneinander geraten. Zum Beispiel sprang dem ein oder anderen schon einmal ein Reh vors Auto. Schmid, der so etwas ist wie der Naturexperte unter den Polizisten, musste schon einmal einem Kollegen zu Hilfe eilen, den eine Ringelnatter überraschte, als er seinen Spind öffnete. Ein andermal war er gefragt, weil Kollegen im Sand auf dem Beachvolleyballplatz ein ganzes Bienenvolk entdeckten. Schmid fand heraus, dass es sich um Sandbienen handelte, eine Art, die im Boden nistet. Er machte Meldung bei seinen Chefs. Diese ließen daraufhin den Platz sperren, bis die Sandbienen weg waren. Da sehe man, welche Philosophie die Bereitschaftspolizei auf dem Gelände verfolge. "Alles, was nachhaltig ist, ist bedeutend."

© SZ vom 03.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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