Süddeutsche Zeitung

Schwierige Forschung:Verbotene Liebe

Lesezeit: 3 min

Die Historiker Lutz van Dijk und Albert Knoll erzählen die Schicksale homosexueller KZ-Häftlinge in Dachau und Auschwitz. Deren Geschichte blieb lange vergessen, auch heute noch fehlt es an Erinnerungsarbeit. Die Wissenschaftler appellieren an die Gegenwartsgesellschaft

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Genau vor einem Jahr trat in Deutschland die Ehe für Alle in Kraft. "Wenn wir Schampus hätten, könnten wir jetzt anstoßen", sagt Albert Knoll und lacht. Er arbeitet an der KZ-Gedenkstätte und spricht zusammen mit dem Gastredner des Abends, dem niederländisch-deutsche Historiker und Autor Lutz van Dijk, im Besucherzentrum der Gedenkstätte über das Schicksal homosexueller Häftlinge im KZ. Die geschichtliche Aufarbeitung dieses Themas stellt die Forschung auch heute noch vor Schwierigkeiten.

Dass Knoll seinen Vortrag so zuversichtlich beginnt, bevor er im Anschluss über die Gräueltaten der Nationalsozialisten berichtet, trifft den Nerv des Publikums. Im Zuhörer wächst das Gefühl, dass die beiden Historiker - trotz der grausamen Geschichte, den Schwierigkeiten in ihrem Forschungsprozess und dem fortwährenden Kampf um Anerkennung gleichgeschlechtlichen Zusammenlebens - die Hoffnung auf Veränderung nicht verloren haben.

Albert Knoll zählte anhand von Akten und Berichten bislang rund 800 homosexuelle KZ-Häftlinge. Die Dunkelziffer schätzt der Historiker hoch ein. 300 sollen im KZ Dachau gestorben sein, homosexuelle Häftlinge standen in der von der SS geprägten Lagerhierarchie weit unten. Das hieß: Schwerstarbeit, Peinigungen und unsolidarisches Verhalten, auch durch Mithäftlinge. Der erste aufgrund seiner Homosexualität verurteilte Häftling kam bereits 1933 nach Dachau, im Oktober 1934 folgte eine große Verhaftungswelle. Der SA-Führer Ernst Röhm wurde abgesetzt, nachdem Gerüchte über seine Homosexualität in der Parteiführung Aufsehen erregten. Daraufhin ordnete der bayerische Gauleiter Adolf Wagner am 2. Oktober 1934 eine Razzia gegen Homosexuelle an, Männer wurden in Kneipen, Toiletten, Parks und Privatwohnungen aufgegriffen und auf Verdacht hin verhaftet. Grundlage der Verhaftungen war der Paragraf 175, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts existierte und unter den Nationalsozialistenverschärft wurde: Neben dem Sexualverkehr zwischen Männern wurden nun Küssen, Händchenhalten oder ähnliches strafrechtlich geahndet, die Angeklagten mussten ihre Unschuld beweisen.

Selbst nach 1945 wurde der Paragraf nicht aufgehoben, er blieb in der Version der Nationalsozialisten bis 1969 gültig. Nach dem Krieg bekamen Häftlinge, die nach diesem Gesetz verurteilt wurden, auch keine Entschädigung und wurden nicht offiziell als NS-Opfer anerkannt. Die Begründung, so Knoll: Der Paragraf sei kein Nazi-Verbrechen, da das Gesetz vor und nach der Machtergreifung durch Hitler gegolten hatte. So kommt Knoll auf das Thema zu sprechen, das die beiden Historiker an diesem Abend besonders vertiefen wollen: Was geschah nach 1945? Wie wurde mit homosexuellen Opfern umgegangen, wie reagierten Forschung und Politik?

Die Forschung zu homosexuellen KZ-Häftlingen begann erst 1980, erklärt Knoll, einen Gedenkstein gibt es in Dachau seit 1995. Hierfür waren große Proteste nötig. Lutz van Dijk erinnert sich an eine Situation, in der er selbst als Student auf die Straße ging und Passanten den Demonstranten zuriefen: "Geht mal zurück ins KZ, wo ihr herkommt!" Eine Reaktion, die in der Nachkriegszeit keine Ausnahme war, wie der Historiker durch Berichte herausfand.

Van Dijk schwenkt in seinen Ausführungen nach Polen, in der KZ-Gedenkstätte in Auschwitz gäbe es bis heute kein explizites Gedenken an homosexuelle Häftlinge. Lange hieß es, dass nur Deutsche und Österreicher für ihre Homosexualität verurteilt wurden, Ziel der Nationalsozialisten sei schließlich die "Reinhaltung der Rasse" gewesen. Van Dijk weiß, dass das nicht stimmt. Er nahm Kontakt zu einem polnischen Häftling auf und schrieb dessen Geschichte in einem Buch auf. Es erzählt das Schicksal von Stefan K., der sich in einen deutschen Wehrmachtssoldaten verliebte - und dafür von den Nationalsozialisten in ein Konzentrationslager deportiert wurde. Kurz bevor Stefan K. 2003 verstarb, rief er van Dijk immer wieder an: In seinen Albträumen suchte ihn seine Vergangenheit heim, die Schreie der Mithäftlinge, die Peinigungen, die unvorstellbare Angst. Er verbrannte alle Briefe, Bücher und Bilder - aus Panik, die Geschichte könnte sich noch einmal wiederholen. Seine Familie wusste bis zu seinem Tod nichts von seinem Schicksal, sie erfuhr es erst, als das Buch um Stefan K. nicht nur in Deutschland, sondern auch in Polen zum Bestseller wurde.

Lutz van Dijk , 63, lebt heute mit seinem Mann in einem Township in Kapstadt, die beiden setzen sich für homosexuelle Verfolgte ein. Der Historiker erhofft sich von der jüngeren Generation, dass nicht allein die Geschichte homosexueller KZ-Opfer weiter aufgearbeitet wird - sondern auch die Geschichte der historischen und politischen Aufarbeitung selbst. Bis heute bleibt es eine Erzählung, die sich an der schematischen Einordnungsmacht der nationalsozialistischen Ideologie orientiert. Jede einzelne Häftlingsgeschichte ist unterschiedlich, sie alle einen Verbrechen und Entwürdigungen. "Die Sexualität ist dabei jedoch nur ein Teil der Persönlichkeit", sagt van Dijk - eine Erinnerung und ein Appell.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4156902
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 05.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.