Schulhof als Ersatzspielstätte:Höllenfahrt ohne Nebelschwaden

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Mozarts "Don Giovanni" ist große Oper. An der Mittelschule Indersdorf kann man sie im Miniaturformat erleben. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Don Giovanni" als schlichte, aber charmante Taschenoper in Indersdorf

Von Dorothea Friedrich, Markt Indersdorf

Die Ingredienzen der besten Plots sind und bleiben Sex and Crime. Das gilt für die Nischensparte Oper genauso wie für angesagten Rap und Rock. Ob letztere allerdings in zweihundert Jahren ihr Publikum noch so auf eine Achterbahn der Abgründe und Gefühle schicken wie Mozarts 1787 in Prag uraufgeführter "Don Giovanni" sei dahingestellt. Am Freitag zeigte die "Mutter aller Opern" wieder einmal ihre ungeheure Sogkraft in einer Adaption für fünf Gesangssolisten, Streichquartett und Akkordeon auf dem Pausenhof der Grund- und Mittelschule Markt Indersdorf. Johannes Erkes, Musikdirektor der Internationalen Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation, will mit "Musik auf Rädern" und "Oper im Taschenbuchformat" eine Alternative für Musikbegeisterte bieten, die Münchner Nationaltheater-Starkult, Bayreuther Wagner-Weihrauch-Gewabere oder Salzburger Adabei-Gewese meiden. Entsprechend hat Alexander Kuralionok das "Dramma giocoso", das heitere Drama, bearbeitet. Damit war die Straßentheatertruppe auf Einladung der Volkshochschule nun zum sechsten Mal zu Gast in der Marktgemeinde.

Dass diese spezielle Version von "Oper für alle" ein Erfolgsmodell ist, bewiesen am Freitagabend mehr als 200 Zuschauer auf dem nüchternen Schulhof. Dieser musste heuer als Ersatzspielstätte herhalten, auch wenn er in puncto Ambiente nicht mit dem ansonsten bevorzugten Marienplatz konkurrieren kann. Also grauer Beton statt der stimmungsvollen Kulisse von Schneiderturm, Mesmerhaus und Kloster-Ensemble.

Giovanni-Fans fragten sich da noch vor den ersten Tönen: Wie soll der Lustmolch hier sein Ende finden? Schließlich steht dem Sexisten eigentlich ein bilderbuchmäßiger Untergang bevor. Doch zunächst einmal kann er voll seine Triebe ausleben und dabei nebenbei den Vater der begehrten aber unwilligen Donna Anna ermorden. Der junge Bariton Thomas Schütz lässt seine Stimme vor Lust und Leidenschaft, vor Arroganz und Nonchalance nur so triefen. Sopranistin Agnes Preis erweist sich als Donna Anna nach der missglückten Verführung als ebenbürtige Gegnerin: Unerbittlich wird sie nun den Mörder ihres Vaters verfolgen und macht erst einmal ihren etwas zögerlichen Verlobten Don Ottavio zum Handlanger. Adam Sanchez singt den Ottavio mit Charme und Herzenswärme, ist eher ein edler Ritter als ein wütender Rächer. Don Giovanni und sein Diener Leporello (gemächlich-langmütig: Marcus Weishaar) treffen derweil zufällig auf Donna Elvira (Christine Peschke). Sie will den Womanizer-Prototypen mit allen Mitteln (wieder) haben und ist zugleich von ihm abgestoßen. Christine Peschke legt dieses ganze Gefühlschaos in ihre Stimme, ist mal verlockend lockend und dann wieder stinkwütend. Und singt - Rollenwechsel - die nur auf den ersten Blick unbedarfte Zerlina mit durchtriebenem Charme.

Weil die gesamte Oper von nur fünf Mitwirkenden gesungen wird, müssen die Sänger nämlich gleich mehrere Rollen übernehmen. So kann Marcus Weishaar als Komtur mächtig bedrohlich auftrumpfen, als Leporello genüsslich die 2065 Damen aufzählen, die sein Herr erobert hat und als Masetto den schlichten Bauernburschen geben, der gegen Don Giovanni keine Chance hat. Dieser kennt kein Erbarmen, auch nicht mit sich selbst. Unverschämt-ungeniert und mit einer Stimme wie süffiger Champagner lädt er zum Ball auf sein Schloss ein, entkommt nur mit Mühe seinen Verfolgern, kann bei einer Kammerzofe trotz entzückendem Ständchen (mit Alexander Maschke an der Mandoline) nicht landen, treibt sich auf einem düsteren Friedhof herum - und fordert letztendlich seinen Untergang selbst heraus. Es ist ein Akt der Selbstzerstörung, wenn er der Statue des Komturs, des Vaters von Donna Anna, die Hand gibt - und mit gruseligen Tönen stirbt und zwar ganz ohne Höllenfeuer oder Nebelschwaden.

Das würde auch dem schlichten Charakter dieses "Don Giovanni" zuwiderlaufen. Denn dieser ist streng genommen eine Aneinanderreihung von Arien. Johannes Erkes ist als Erzähler das verbindende Element. Er macht das mit feiner Ironie, mit viel Humor und mit deutlich spürbarer Liebe zur Oper. Er hat auch nachgezählt, wie viele Frauen Leporello in seiner berühmten Registerarie "Madamina, il catalogo è questo" notiert hat. Als Bratschist komplettiert er das beschwingte spielende Quartett mit Teresa Allgeier und Alexander Maschke an den Geigen und Cellistin Anna Khubashvili. Akkordeonist Alexander Kuralionok schließlich erweist sich als unverzichtbar, setzt er doch mit seinem Instrument ganz eigene Akzente in dieser gelungenen Aufführung. Bleibt nur zu wünschen, dass 2020 "Musik auf Rädern" erneut Station in Markt Indersdorf macht, aber dann bitte wieder auf dem Marienplatz.

© SZ vom 08.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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