Schlagzeug-Quartett:Vier Musiker, 100 Instrumente

Schlag auf Schlag

Bleiben immer im Rhythmus: Christian Benning (r.) und Marcel Kentaro Morikawa, Patrick Stapleton und Felix Christian Kolb (v.l.).

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Christian Benning und sein Ensemble begeistern im ausverkauften Schloss

Von Petra Neumaier, Dachau

Ausverkauft. Jeder Stuhl ist besetzt. Auch die Fensterbänke, als die letzten Nachzügler einen Parkplatz gefunden und das Anstehen an der Garderobe geschafft haben. Christian Felix Benning wartet. Bis alle sitzen. Dann tritt er durch die hohe Tür des Saales im Schloss Dachau, mit zwei seiner drei Kollegen, und beginnt mit ihnen - ohne Worte - zu schlagen. Wie Flügel von Kolibris flattern die bunten Filzköpfe ihrer Schlägel auf die Holzklangstäbe der Marimba, Trommeln und allem, was sonst noch klingt und was die Komposition von Nebojša Jovan Živković vorgesehen hat. Unwillkürlich tauchen Bilder auf, formen sich eigene Worte bis zum letzten Klang. Fast drei Stunden dauerte das Konzert des Dachauers und musikalischem Ausnahmetalents, der mit seinem Ensemble Percussion No. 1 wie angekündigt, "ein Feuerwerk aus Rhythmen und Klängen zündete."

Standing Ovations. Lautstarke Beifallsbekundungen: Abgekämpft aber glücklich verbeugen sich die vier Musiker vor einem Publikum, das gar nicht gehen will. Das immer noch nicht satt ist von dem Trommeln und Schlagen, dem zarten Streicheln der Glöckchen und Schalen, dem Tuten und Heulen, die sich zu einzigartigen Melodien vereinten. Teils bekannt, teils neu und fremdartig und doch vertraut. Vertraut, weil das Trommeln die älteste Form der Musik und sogar Kommunikation ist. Fremdartig, weil die Gegensätzlichkeit kaum größer sein könnte: Was in den eigenen vier Wänden als "Krach" störend empfunden würde, wird unter der schweren Kassettendecke, zwischen Stuck und Gobelin und düsteren Ahnenbildern zu einem melodischen Konzert.

Mehr als 100 Instrumente haben die vier Musiker auf die Bühne geschleppt - allein schon ein Kraftakt und eine logistische Meisterleistung: Trommeln aus allen Ländern der Welt, Schellen, Muscheln, Blechdosen, Pfeifen. Fast klassisch mutet die riesige Marimba an. Kennt man in klein als Xylofon vom Musikunterricht. Wird von den Percussionisten aber sogar mit dem Geigenbogen gestrichen. Was für ein wunderschöner und bislang verborgener Klang! Wer hätte sich das jemals in der Schule getraut?

Benning traut sich viel, probiert viel und lässt nichts auf seinem Weg ungetrommelt. Allem entlockt er Klänge und Melodien. Neugierig und spielfreudig wie schon als Kind, als er bereits mit drei Jahren beschloss, Schlagzeuger zu werden. Ein Wunsch, für den die Eltern extra umzogen, um ihm einen schalldichten Probenraum zu ermöglichen. Eine feine ältere Dame im Publikum lässt ihre strahlenden Augen kaum von der Bühne schweifen. Eine Nachbarin sei sie, erzählt sie später, die den talentierten Musiker und Schüler aufwachsen und morgens stets in letzter Minute zur Schule radeln sah. Bei jedem Konzert ist sie da. Auch jetzt ist die Seniorin die erste, die am Ende des Konzerts aufspringt, wie eine 18-Jährige.

Percussion vereint alle Generationen. Das Publikum ist so gemischt, wie es nur sein kann: Kinder und gesetzte Männer in Anzug und Krawatte, junge Männer im Hoodie und Damen im Cocktailkleid. "Rhythmus ist generationsübergreifend", sagt der 22-jährige Lokalmatador, "denn alles ist Rhythmus, der Herzschlag, die Jahreszeiten, das Leben." Wenn auch zuweilen etwas störende Unruhe im Saal auftauchte, so rührte sie allenfalls von vielen Virengeplagten und nicht von aufkommender Langweile. Dazu war das Programm zu abwechslungsreich. "Ich versuche für jeden etwas zu bieten", versprach und hielt Christian Felix Benning, der sogar Kompositionen von Bach aufregend und erfrischend arrangiert. Ob jenem die Interpretation auf der Marimba gefallen hätte? Wer weiß. Mozart hätte sicherlich am neuen "Alla Turca" seine helle Freude gehabt.

Klassische und bekannte Stücke sind an diesem Abend jedoch die Ausnahme. Gespielt werden viele moderne Kompositionen, von Miki Minoru, Robert Marino und John Cage. Sogar eine Deutschlandpremiere und erst zweite Aufführung in Europa ist dabei: "Treads" von Paul Lansk - der in zehn Sätzen musikalische Klangfäden zu einem Gesamtbild zusammensetzt. Beeindruckend, wie die gesamte Show der vier Percussionisten: Bennings Kollegen Patrick Stapleton, Marcel Kentaro Morikawa und Felix Christian Kolb überzeugen genauso mit ihrer Präzision. Exakt ist jeder Einsatz getaktet, konzentriert sind die Augen auf die Noten fixiert, greifen die Hände sicher nach rechts und links, wirbeln wie Maschinen die Stöcke in einem Tempo, das die Zuschauer schon beim Anblick schwitzen lässt. Zuhören, einordnen, geben und sich zurücknehmen, das ist die Kunst, die die Schlagzeuger beherrschen.

Der Funke, die Lust am Rhythmus, springt vor allem bei der zweiten und letzten Zugabe über. Einem Ragtime aus den Zwanzigerjahren. Nach diesem Heimatkonzert ist Benning schon wieder auf dem Sprung. Freitag geht es in die USA zu einem Konzert nach Baltimore, dann nach Yale, wo ihm jein Stipendium angeboten wurde für seinen Master und seine Doktorarbeit. Ob er dort bleibt? Christian Benning hat so viele Ideen und Projekte im Kopf, wie Instrumente unter seinen geschickten Händen. Alles ist möglich, alles ist spannend und inspirierend. Und weltumfassend. Von Mauritius bis Saudi Arabien, von den USA bis Ägypten. Seine Heimat vergisst er dabei nicht: Am 21. Oktober wird Christian Felix Benning wieder da sein, in der Dachauer Kirche St. Jakob, dieses Mal klassisch und als Begleitung des Organisten.

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