Süddeutsche Zeitung

Schafzucht in Pfaffenhofen a. d. Glonn:Mehr als flauschig

Die Schäferfamilie Kiemer hat sich auf einen Besuch von Agrarministerin Kaniber gefreut. Als die nicht kommt, übernimmt der niedliche Nachwuchs die Show

Von Benjamin Emonts, Pfaffenhofen a. d. Glonn

Im beschaulichen Unterumbach ist am Donnerstagmorgen alles angerichtet für den Besuch von Michaela Kaniber (CSU), der Bayerischen Landwirtschaftsministerin. Schäferin Nicole Kiemer hat ein prächtiges Osterlamm gebacken, Weißwürste liegen im Kessel und ein Mutterschaf brachte pünktlich Vierlinge zur Welt, die nun munter im Kreis hüpfen. Die Ministerin jedoch fehlt, sie kommt nicht. Kurz vor dem Treffen hat man den Kiemers abgesagt, weil Kaniber bis spät in die Nacht mit den Agrarministern der Länder konferierte. Die Familie ist darüber natürlich enttäuscht. "Wann kommt schon mal eine Ministerin", sagt Schäfer Richard Kiemer.

Trotz Absage haben mehrere Medienvertreter und der Pfaffenhofener Bürgermeister Helmut Zech (CSU) den Weg in den modernen Stall in Unterumbach gefunden. Zech nimmt seine Parteifreundin Kaniber in diesen für die CSU ohnehin turbulenten Tagen in Schutz: Politiker hätten es nicht leicht in diesen Zeiten, so sagt er. Die Familie Kiemer macht unterdessen das Beste aus der Situation. Die liebevoll gebackenen Süßigkeiten am Biertisch naschen die drei Söhne der Familie jetzt eben selbst. Die neugeborenen Vierlinge halten sie stolz in die Kamera eines Fernsehsenders, der sich auch ohne Kaniber auf den Weg in das 460-Seelen-Dorf gemacht hat. Die Söhne versichern, dass sie den Hof irgendwann mal übernehmen wollen. Die Schafe, das wird schnell deutlich, bedeuten der Familie mehr als nur Geschäft.

Richard Kiemer wollte der Ministerin zeigen, wie ein Schäfer heute arbeitet und über Probleme in der Branche sprechen. Mit knapp 1000 Tieren, davon 550 Mutterschafen, betreibt er mit seiner Frau die größte Schäferei im Landkreis Dachau. Er züchtet Böcke und Schafe auch für den Verkauf. Von März bis Mitte April erblickt in seinem Stall der Nachwuchs das Licht der Welt. Wohin man schaut, wuseln kleine Lämmer über das Stroh, sie schmiegen sich an ihre Mütter und trinken Milch. Die Tiere gehören zur Gattung der Merinolandschafe oder auch Württemberger, die für ihr feines und schnell wachsendes Fell bekannt sind. Mit einem Anteil von etwa 30 Prozent sind sie das am häufigsten gezüchtete Nutzschaf in Deutschland.

Viel Wolle bedeute jedoch nicht viel Geschäft, betont Schäfer Richard Kiemer. Er wollte Ministerin Kaniber auch auf die Probleme der Schäfer hinweisen. Der Preis für ein Kilo Wolle liegt derzeit nur noch bei rund 50 Cent, sein Stundenlohn, so hat Kiemer ausgerechnet, beträgt etwa fünf Euro. Um seine Familie ernähren zu können, arbeitet er deshalb hauptberuflich als Feuerwehrmann in München. Die Haupteinnahmequelle seines Betriebs sei die "Landschaftspflege", sagt er. Auf einem Truppenübungsplatz bei Landsberg am Lech beziehen seine Schafe im Sommer eine Weide, für die Natur sind sie hervorragende Greenkeeper. Anders als Traktoren mähen sie den Rasen, ohne Schaden dabei anzurichten und über ihr Fell tragen sie zahlreiche Pflanzensamen von A nach B, wodurch die Artenvielfalt gefördert wird. Ihr Kot dient als natürlicher Dünger und die Landschaft bleibt lebenswerter für Insekten, wenn sich Schafe um sie kümmern. Der Staat zahlt für die Dienste der Tiere Subventionen, von denen der Familienbetrieb maßgeblich lebt. Sie machen etwa 75 Prozent der Einnahmen aus.

Aus der stickstoffreichen Schafswolle werden Pellets zum Düngen oder Kleidung hergestellt, wie sie Richard Kiemer in Form eines Jankers am eigenen Leib trägt. Die Firma Liebling mit Sitz in Wackersberg stellt aus der Wolle nachhaltige Kleidung wie Pullover und Jacken her, die Kiemer auch in Unterumbach verkauft. Tiere, die sich für das Züchten nicht eignen, werden geschlachtet. Ihr Fleisch wird in einer Hofmetzgerei in der Gemeinde verkauft.

Zur Sprache kommt schließlich auch der Wolf, der vor wenigen Wochen unweit des Schafstalls ein Reh in einem Wald gerissen hat. DNA-Spuren hatten ihn überführt. Die öffentliche Aufmerksamkeit war enorm, weil im Landkreis Dachau seit Jahrhunderten kein Wolf mehr erblickt oder nachgewiesen worden war. Rein äußerlich wirkt Richard Kiemer gelassen, wenn er über den Vorfall spricht. Doch Sorgen bereitet er ihm schon. Sollte sich ein ganzes Rudel hier niederlassen, "ist es vorbei mit dem Betrieb", sagt er. Zur Sicherheit hat er ein neues Stromgerät angeschafft und einen höheren Zaun um seine Weiden gebaut. Doch Kiemer bezweifelt, dass diese Maßnahmen die Wölfe abhalten würden.

In Unterumbach hätten sie gerne gehört, was die Ministerin zum Wolf und über die niedrigen Preise für Schafwolle gesagt hätte. Das Landwirtschaftsministerium teilt auf Nachfrage immerhin mit, dass Kaniber vielleicht an einem anderen Termin komme. Die Vierlinge sind dann gewiss schon gewachsen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5239562
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 19.03.2021
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.