Rückkehr nach 70 Jahren:Eine ungeheure Kraft

Markt Indersdorf

Dreharbeiten zu dem Film "Dornenkinder" in Markt Indersdorf.

(Foto: privat/oh)

Der Dokumentarfilm "Dornenkinder" erzählt vom Beginn des Kibbuz "Eatan" im Indersdorfer Kloster nach dem Kriegsende

Von Helmut Zeller, Markt Indersdorf

"Es gibt eine ganz enge Beziehung zwischen uns allen, eine tiefe Freundschaft von einer ungeheuren Kraft, die schon seit Jahrzehnten besteht; hier in Indersdorf fing sie an", meint der Historiker und Holocaust-Überlebende Nahum Bogner. Im Jahr 2015 besuchte seine Kibbuzgruppe "Eatan" das Kloster Indersdorf. Darüber wurde ein Dokumentarfilm "Dornenkinder" gedreht. Nach Kriegsende, vor 73 Jahren, fanden Nahum Bogner und andere Kinder, die den Massenmord an den europäischen Juden überlebt hatten, in dem Kloster Zuflucht. Nach dem Sturz des NS-Regimes 1945 wurde das Kloster Indersdorf von der UNRRA - einer Vorläuferorganisation des heutigen Flüchtlingshilfswerks der UN - als internationales Kinderzentrum für mehr als tausend Kinder und Jugendliche, die ihre Eltern im Holocaust verloren hatten, herangezogen.

Die traumatisierten Kinder wurden intensiv betreut, bevor sie in ihre Heimatländer zurückkehrten oder nach Israel, USA oder England auswanderten. Greta Fischer (1910 bis 1988) war eine der Sozialarbeiterinnen vom Team der Vereinten Nationen, die im Kloster Indersdorf Hilfe leistete. 2011 wurde das sonderpädagogische Zentrum in Dachau nach ihr benannt. Seit 2008 findet das alljährliche Treffen von damaligen Bewohnern in Indersdorf statt. Die Begegnungen gehen auf die Initiative der Indersdorfer Zeitgeschichtsforscherin Anna Andlauer zurück. Sie hat die Geschichte dieser UNRRA-Station erforscht, darüber ein Buch geschrieben und eine Wanderausstellung gemacht.

Nahum Bogner und weitere 33 Überlebende hatten nach ihrer Ankunft in Palästina in den Hügeln Jerusalems einen Kibbuz errichtet, in dem ein Dutzend von ihnen und viele ihrer Nachkommen heute noch leben. "Wir sind wie eine Familie, die schon immer in einem Haus gelebt hat", sinniert der Überlebende Yankele Rotem. Im Dokumentarfilm "Dornenkinder" sieht man die Gruppe von Überlebenden mit ihren Angehörigen im Bus auf Indersdorf zufahren, erlebt ihre ersten Reaktionen: "Hier ist die Brauerei." "Sollen wir jetzt gleich ein Bier trinken?" "Das Kloster sieht genau so aus wie früher." "Kommt, reicht mir die Hände; lasst uns die Hora tanzen." Bei strahlendem Sonnenschein werden die israelischen Gäste von Indersdorferinnen im Dirndl begrüßt und bewirtet. Erstkommunionkinder kommen in Festtagskleidern aus der Kirche, Bürgermeister Franz Obesser (CSU) sticht ein Bierfass an, und Landrat Stefan Löwl (CSU) tanzt die Hora.

Der Film "Dornenkinder" zeichnet ein realistisches Bild die Besucher 2015 in Indersdorf reagierten, an was sie sich erinnerten und worüber sie sich austauschten. Sie sprechen in dem Film über ihre damalige Freude, dass es ihnen täglich besser ging, aber auch über ihren verständlichen Hass auf das "Volk der Täter". "Damals gingen wir durch das Dorf, eine Gruppe von Jungs, auf der Suche nach einem Deutschen, um ihn zu verprügeln. Es war jedem von uns klar: Was uns angetan wurde, haben die Deutschen uns angetan. Wir konnten nicht unterscheiden, wer Nazi war und wer nicht. Heute bereue ich es vielleicht, so gedacht zu haben", sagt der 80-jährige Avremale Littman. "Die Mitglieder der Kibbuzgruppe waren bei ihrem Besuch stets in intensivem Gespräch miteinander. Wir haben davon mangels Hebräischkenntnissen nur einen Bruchteil mitbekommen", sagt Anna Andlauer.

Aber ein israelisches Filmteam begleitete 2015 den Besuch und hat aus seinen Filmaufnahmen für den Kibbuz Netiv HaLamed-He bei Jerusalem einen einstündigen Dokumentarfilm gemacht. Jetzt hat die Sparkasse Dachau eine Übersetzung mit deutschen Untertitel gesponsert, so dass man auch hierzulande endlich einen Eindruck gewinnen kann, wie die Zeitzeugen Indersdorf damals und heute erlebt haben.

Dokumentarfilm "Dornenkinder" Montag, 19. März, 19.30 Uhr, Augustiner Chorherren Museum, Markt Indersdorf

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