Rotes Kreuz:Hilfe für ein gebeuteltes Land

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Vor 20 Jahren startete der erste Fahrzeug-Konvoi des BRK Dachau mit Lebensmitteln und Kleidung in die Ukraine.

Matthias Pöls

Die Ukraine lag vollkommen am Boden", sagt Ekkehard Dehn. Lebensmittel, Kleidung oder medizinische Ausstattung, es habe fast nichts gegeben. Die ukrainischen Ärzte seien Meister der Improvisation gewesen. Kein OP-Tisch, kein Narkosegas, es habe manchmal sogar an Fäden zum Nähen von Wunden gemangelt. Das war kurz nach dem Zerfall der UdSSR und der anschließenden Öffnung der Grenzen. Die Idee zur Hilfe entstand im März 1990 in Rumänien. Die Dachauer Rotkreuzler Ekkehard Dehn und Helmut Thaler standen am Ufer der Thissa, schauten über die nahe Grenze in die Ukraine und fragten sich: "Ob wir da auch einmal hinfahren?" Nicht einmal ein Jahr später rollt der erste Hilfskonvoi von Dachau ins rund 1400 Kilometer entfernte Iwano-Frankiwsk. Eine Region im südwestlichen Zipfel der Ukraine, so groß wie Oberbayern. Es ist der erste Hilfskonvoi in einer langen Kette. An diesem Samstag, 29. Oktober, feiert die Auslandsgruppe des BRK Dachau die 20-jährige Zusammenarbeit mit dem Roten Kreuz in der Ukraine. "Es haben sich Freundschaften entwickelt, und es findet ein reger Erfahrungsaustausch statt", sagt Dehn, damaliger Leiter der Auslandsgruppe. In neun Fahrzeugen transportiert das BRK Dachau im April 1991 mehr als zehn Tonnen Kleidung, 22 Tonnen Lebensmittel, Reinigungsmittel und ein Klinikset. Es sind Spenden von Dachauer Bürgern und Unternehmen. Nachdem im Dezember Berichte über Hungersnöte in der Sowjetunion und Spendenaufrufe des Roten Kreuzes durch die Medien gegangen waren, sind etwa an der Volksschule Hebertshausen quer durch alle Klassen Fleisch- und Gemüsedosen, Nudeln, Zucker, Mehl und Süßigkeiten gesammelt worden. 80 Pakete à zehn Kilo haben die Kinder mit den Lehrern für die Ukraine geschnürt. Allein bis zum April 1991 konnte das BRK im 120 000-Einwohner-Landkreis Dachau die enorme Summe von 250 000 Deutschen Mark sammeln. Der Konvoi bricht mit 19 Teilnehmern auf. An den Fahrzeugen klebt in zwei Sprachen die Aufschrift: "Rotes Kreuz Dachau hilft der Ukraine." - "Ich wollte von Anfang an kein Geheimnis daraus machen, dass wir aus Dachau kommen", sagt Ekkehard Dehn. Vor der Abreise war bereits ein fünfköpfiges Team mit zwei Dolmetschern in die Ukraine gefahren. Es galt eine Region zu finden, in der die Hilfe optimal umgesetzt werden konnte. In Uschhorod habe es einen staatlichen Ableger des Roten Kreuzes gegeben, "aber die Gefahr dort war groß, dass die Hilfsgüter in schwarze Kanäle verschwinden", sagt Dehn. In Iwano-Frankiwsk dagegen habe das Rote Kreuz funktioniert. In der Ukraine trifft der Hilfskonvoi auf Alexander Orel. Der stellvertretende Vorsitzende des Gesundheitskomitees betrachtet fasziniert die Ultraschall-, EKG- und Sonographiegeräte, die ihm der Dachauer Arzt Hans Turba erklärt. Es sei genau das Richtige. "Eigentlich wären sie in allen Krankenhäusern richtig untergebracht", sagt Orel. Denn das Gesundheitssystem und die medizinische Versorgung seien ganz schlecht. Als eine der erste Aktionen richtete das BRK eine Frühgeborenen-Station in der Bezirksklinik von Iwano mit Unterstützung des Bayerischen Staatsministeriums für Soziales ein, welche die Kindersterblichkeitsrate deutlich reduzierte. Es wurde gemeinsam eine Geschäftsstelle aufgebaut, die über mehrere Jahre von Dachauern Rot-Kreuzlern unterhalten wurde. Es entwickelte sich eine stabile Zusammenarbeit. In den 20 Jahren sind rund 60 Konvois mit knapp 1500 Tonnen an Hilfsgütern aus Dachau in die Ukraine gefahren. Darunter viele medizinische Geräte aus Altbeständen der Krankenhäuser, Kleider, Schuhe und Decken und vieles mehr. Einmal sei sogar eine komplette Zahnarztpraxis transportiert worden. Das Stadt- und Straßenbild hat sich mittlerweile stark gewandelt", sagt Peter Sedlmair, der heute die Auslandsgruppe des Dachauer BRK leitet. Doch die Krankenhäuser und sozialen Einrichtungen seien noch immer stark baufällig. Der Bedarf an Pflegebetten und Rollstühlen sei nach wie vor hoch. Die Renten in der Ukraine seien sehr niedrig und es gebe einen hohen Anteil an Menschen, die von Altersarmut betroffen sind. Das Rote Kreuz ist in der Ukraine inzwischen ähnlich strukturiert wie in Deutschland, nur mit anderen Aufgaben", sagt Peter Sedlmair. Es werde zwar kein Rettungsdienst gefahren, aber die medizinisch-sozialen Einrichtungen - vom Pflegedienst bis zum Altenheim - würden auch in der Ukraine vom BRK betrieben. Inzwischen ist das BRK Dachau auch in der Nachbarregion von Iwano-Frankiwsk in Uschhorod aktiv. Die Unterstützung werde in der Ukraine nach wie vor gebraucht.

© SZ vom 29.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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