Süddeutsche Zeitung

"Revolution in Baiern":Mit der Trambahn in die Schlacht

Begleitet von Simone Lautenschlagers "Revolutionskappelle" lässt der Schauspieler Michael Lerchenberg die Akteure von 1918/19 wieder lebendig werden. Besonderen Augenmerk legt er dabei auf das dramatische Geschehen in und um Dachau

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Ein Stofflöwe reckt die rote Fahne, eine Kappe ziert sein Haupt: Es ist "Revolution in Baiern". Michael Lerchenberg und die Revolutionskappelle lassen im Dachauer Ludwig-Thoma-Haus die Träume von einer gerechteren Welt aufblühen und zeigen deren brutale Zerstörung in den Jahren 1918/19. Der engagierte Theatermacher zeichnet ein differenziertes Bild der Protagonisten von "Literatenputsch", "Strizzi-Republik", einer "Regierung von Jehovas Zorn" (Kardinal Michael von Faulhaber) oder einer "Scheinräterepublik".

Daten und Fakten sind Lerchenbergs Gerüst. Sein "Füllmaterial" sind (auto-)biografische Notizen und Berichte sowie Lieder und Couplets von Erich Mühsam oder vom Weiß Ferdl. Lerchenberg macht daraus ein Ein-Personen-Theaterstück. Er ist der Nachrichtensprecher mit kühler Stimme, er ist der antisemitisch greinende Thomas Mann: "München regiert von jüdischen Literaten." Mit schnarrender Stimme lässt er den Eisner-Mörder Anton Graf von Arco auf Valley und seine furchteinflößenden rechten Gesinnungsgenossen der Thule-Gesellschaft ebenso zu Wort kommen wie den unschlagbar prägnanten Beobachter Oskar Maria Graf.

Selbstredend fehlen auch die damaligen Royals nicht, die bis zum tragikomischen Ende ihrer Herrschaft im Schloss der Ahnungslosen leben und selbst auf der Flucht noch auf Etikette bedacht sind: "Ich glaube ja nicht, dass sie uns umbringen wollen, aber wenn doch, ist es besser, ich bin frisiert", habe ihre Mutter angesichts der bevorstehenden Besetzung von Schloss Nymphenburg gesagt, zitiert Lerchenberg Prinzessin Pilar von Bayern.

Diese anekdotischen Aperçus machen die bittere Realität der Anfangsjahre der bayerischen Republik erträglicher. Mit viel Sympathie und Empathie für den "uferlosen Optimismus" des Ministerpräsidenten Kurt Eisner und seiner Mitstreiter zeigt Lerchenberg, was die Politikneulinge in kürzester Zeit auf den Weg gebracht hatten: freies Wahlrecht, den Acht-Stunden-Tag oder das "Recht auf gute Wohnungen". Er berichtet von der bis heute nicht aufgeklärten Ermordung des Bauernführers Ludwig Gandorfer, vom opportunistischen Wendehals und SPD-Mann Eberhardt Auer und von der Ermordung und Beisetzung Kurt Eisners - eine Zeitenwende in der kurzen Zeit der Räterepublik. Lerchenberg geht in die Tiefe, zeigt kenntnisreich die unheilvollen Umtriebe der Thule-Geheimgesellschaft, schildert drastisch die Hasstiraden gegen die roten Revolutionäre und die gewissenlose Finanzierung der weißen Freikorps durch deutsche Wirtschaftsbonzen.

Lerchenberg berichtet - spannend wie in einem Krimi - von den weiteren Ereignissen, der Gründung der zweiten Räterepublik, dem Palmsonntagsputsch in München, den Boykotten der nach Bamberg geflüchteten Regierung Hoffmann. Die Revolutionskapelle - Simone Lautenschlager (Klarinette), Ferdinand Schramm (Trompete), Martin Holzapfel (Tuba und Akkordeon), Sabrina Walter (Harfe) - ist lustvoll kämpferisch gestimmt und liefert die passende Begleitmusik dazu.

Nun wird Ernst Toller zum wichtigsten Protagonisten. Und wird von seinen Gegnern als "ein durch die Gräuel des Krieges irre gewordener Pazifist" diffamiert. Er ahnt schon bald: "Diese Räterepublik wird sich nicht halten." Lerchenbergs Stimme wird fast schüchtern ob der Wucht der Ereignisse, die über Toller hereinbrechen.

Und dann "trifft ein eher wilder Haufen auf den wohlorganisierten Feind". Der wilde Haufen sind die Revolutionäre, die "mit der Trambahn nach Moosach" fahren, um sich der anrückenden Weißen Armee bei Karlsfeld entgegenzustellen. Zu ihrem Anführer wählen sie den bekennenden Pazifisten Toller. Der ungeordnete Haufen lehrt die Weiße Armee, bestehend aus Freikorps und regulären Truppen, aber erst einmal das Fürchten. Die zieht sich nach Dachau zurück. Toller gelingt es, einen Waffenstillstand zu vereinbaren. Er wird zum "Sieger von Dachau". Doch es waren andere, ganz andere, die den Sieg für sich reklamieren können, erzählt Lerchenberg.

"Frauen und Arbeiter drängten sich zwischen die Soldaten" und verhinderten ein Blutbad. Die Weißen flüchten. "Doch die Roten wussten nichts mit ihrem Sieg anzufangen." Das war der Anfang vom grauenvollen Ende der Räterepublik. Auch wenn sich in Giesing und andernorts Arbeiter den anrückenden Freikorps- und Reichswehreinheiten todesmutig entgegenstellen. Thomas Mann begeistert sich an der nun folgenden Militärdiktatur. Aus den Novemberrevolutionären werden in der öffentlichen Wahrnehmung nur zu bald "Novemberverbrecher". Ein "hysterischer Antisemitismusreflex" beflügelt die immer frecher werdenden Nazihorden. "Und man ist bis heute immer wieder auf dem rechten Auge blind", schließt Lerchenberg.

Nur logisch, dass die Revolutionskapelle da die Internationale zum Trauermarsch mutieren lässt.

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SZ vom 23.03.2019
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