Eine bittere Niederlage mussten die Fußballer von Maccabi Tel Aviv am Donnerstagabend bei ihrem Auswärtsspiel in der Europa League hinnehmen. Mit 0:5 verloren sie gegen Ajax Amsterdam. Doch was sich nach Abpfiff in der niederländischen Hauptstadt ereignete, stellte den Sport in den Schatten: Sogenannte propalästinensische Demonstranten jagten Maccabi-Fans durch die Stadt, schlugen auf sie ein, riefen dabei „Free Palastine“. Mehrere Menschen wurden verletzt. Israels Präsident Izchak Herzog sprach auf X von einem „antisemitischen Pogrom“ gegen israelische Bürger. Auch Dachaus Landrat Stefan Löwl (CSU) schrieb am Freitag auf Facebook von „verstörenden, erschreckenden, untragbaren Berichten aus Amsterdam“. Der Stadt, in der sich Anne Frank und ihre Familie einst vor den Nationalsozialisten versteckten.
Vor dem Hintergrund dieses schockierenden antisemitischen Gewaltausbruchs jährt sich nun die sogenannte „Reichspogromnacht“ zum 86. Mal. In der Nacht vom 9. auf den 10. November brannten in Deutschland Synagogen, ein antisemitischer Mob zog durch die Straßen, zerstörte und plünderte Geschäfte jüdischer Menschen. In Dachau und anderen Städten mussten die jüdischen Einwohner ihre Wohnungen verlassen. In dieser „Nacht der Schande“ fingen die Nationalsozialisten an, Juden in Deutschland und Europa systematisch zu vernichten. Infolge der Novemberpogrome wurden 11 000 jüdische Männer ins Konzentrationslager Dachau deportiert.
„Erinnern heißt kämpfen“
Zum Jahrestag stehen in Dachau und der KZ-Gedenkstätte in den nächsten Tagen eine Reihe von Veranstaltungen an. Das Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome fällt in eine Zeit, in der sich der Antisemitismus in Deutschland und Europa erneut Bahn bricht und Angriffe auf Orte der Erinnerung fast zur Regelmäßigkeit geworden sind. Anfang September schoss ein mutmaßlicher Islamist auf das israelische Generalkonsulat und das NS-Dokuzentrum in München. Vor der Landtagswahl in Thüringen klebten Unbekannte das Konterfei des Direktors der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora auf eine Stele, die an die Opfer der Todesmärsche aus dem ehemaligen Konzentrationslager erinnert.
Und vor wenigen Tagen drehte ein Influencer in der KZ-Gedenkstätte Dachau ein Video, in dem er eine Parallele zog zwischen Israels Krieg in Gaza und der Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten. Die Leiterin Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus in Bayern (Rias) spricht von einem Missbrauch der Erinnerung an die Shoah „für antisemitische Stimmungsmache gegen den Staat Israel“. Dies ist keine Ausnahme: Im ersten Halbjahr nach dem 7. Oktober 2023 registrierte Rias Bayern 527 antisemitische Vorfälle mit Bezug zu Israel, was einer Zunahme um mehr als 1000 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.
„Erinnern heißt kämpfen“ – unter diesem Motto gedenkt die Jugend des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) seit 1952 jährlich im ehemaligen Konzentrationslager Dachau der Opfer des Nationalsozialismus. An diesem Sonntag, 10. November, wird Yasmin Fahimi die offizielle Gedenkrede in Dachau halten. Die Vorsitzende des DGB ist derzeit eine gefragte Frau. Das Ampel-Aus, die US-Wahl, Inflation, eine kriselnde Wirtschaft, Streiks bei VW und anderen Unternehmen – für die ehemalige SPD-Generalsekretärin bedeuten die Ereignisse der vergangenen Tage und Wochen einen Termin-Marathon. Der Auftritt in Dachau am Sonntag ist ihr trotzdem besonders wichtig. „Als Gewerkschafterin nehme ich von hier aus neue Kraft für unsere Arbeit gegen Antisemitismus und Rassismus mit“, sagt sie.
Im Kampf um die Erinnerung sieht Fahimi die Gewerkschaften seit Jahrzehnten in einer wichtigen Rolle. Sie erinnert daran, dass die Nationalsozialisten die Gewerkschaften einst verboten, Gewerkschafter wurden mit als erste NS-Gegner verfolgt und in Konzentrationslagern wie Dachau ermordet. Und heute erlebe man erneut politische Kräfte, welche diese Verbrechen verharmlosen und vergessen machen wollen, sagt Fahimi. Für Rechtsextreme sei die Löschung von historischen Tatsachen aus dem kollektiven Gedächtnis die Voraussetzung dafür, ihren neuen Rassismus zu etablieren. „Dagegen aufzustehen und laut zu sein, ist für uns Verpflichtung.“
Bundesweit würden sich daher DGB-Mitglieder an lokalen und überregionalen Bündnissen beteiligen. „Kaum eine Demo gegen rechts oder für Vielfalt läuft ohne uns“, sagt sie. Der DGB mache politische Bildungsarbeit, man rede mit Kolleginnen und Kollegen in Betrieben. „Und wir drängen die politisch Verantwortlichen in diesen unruhigen Zeiten noch stärker zu sozial gerechten und verlässlichen Entscheidungen. Spaltung führt zu immer mehr Spaltung. Wir brauchen aber eine Zukunft des Miteinanders.“
Die Gedenkveranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Dachau findet am Sonntag, 10. November, um 13 Uhr statt. Treffpunkt ist auf dem ehemaligen Appellplatz der Gedenkstätte.