Rechtsruck in Deutschland:Aschermittwoch anders

Politischer Aschermittwoch

Politischer Aschermittwoch der SPD: Michael Schrodi, MdB, Münchens Alt-OB Christian Ude und Schauspielerin Christiane Blumhoff .

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die SPD gibt sich ganz ruhigen Tönen hin und beschäftigt sich im Livestream mit der Frage, wie stabil die Demokratie ist

Von Heike A. Batzer, Dachau/Fürstenfeldbruck

Ein Aschermittwoch, wie man ihn sich vorstellte, war das gewesen. Mit der umstrittenen, damals neuen Vorsitzenden der Bundes-SPD, Saskia Esken, mit dem lokalen Kandidaten Christoph Maier, der seinerzeit den amtierenden Fürstenfeldbrucker Landrat beerben wollte und diesen an jenem Abend einen "rechten Zündler" nannte. Ein Jahr ist das her, es war zudem Kommunalwahlkampf. Kräftig ausgeteilt wurde an diesem Abend, und das ist ja auch Wesensmerkmal politischer Aschermittwochsveranstaltungen.

In diesem Jahr können Parteigänger bekanntlich nirgendwo live dabei sein, müssen sich stattdessen mit virtuellen Events zufrieden geben. Weil das vergleichsweise fad ist und bisweilen so inszeniert wirkt wie der Aschermittwochs-Söder mit Brotzeitbrettl und Heimathintergrund, wählte die Fürstenfeldbrucker SPD zusammen mit der SPD Dachau gleich eine ganz andere Variante. "Leisere, aber deutliche Töne" kündigte am Mittwochabend deren Vorsitzender und Bundestagsabgeordneter Michael Schrodi zu Beginn eines Livestreams auf Facebook an, der keine Parolen verbreiten, sondern sich um die Frage drehen sollte, wie stabil oder brüchig Demokratie in diesen Zeiten ist.

Bei Aussagen, man lebe in einer Corona-Diktatur, könne er "aus der Haut fahren", gibt Münchens Alt-Oberbürgermeister Christian Ude zu. Wie könne man bei Maßnahmen gegen die Verbreitung eines tödlichen Virus von Diktatur sprechen? Solchen Leuten würde er gerne zurufen: "Du hast wohl nicht alle Tassen im Schrank." Es sei allerdings erschreckend, wie viele Leute anfällig dafür seien, "so schnell von Diktatur zu reden". Dabei "leben wir in einer funktionierenden Demokratie und in einem Rechtsstaat", betont Ude.

Der Abend ist als Lesung und Gespräch konzipiert mit Ude, der Schauspielerin Christiane Blumhoff, die einst in Puchheim lebte, und dem Unterbezirksvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi. Das Trio liest aus Werken von Oskar Maria Graf und Lion Feuchtwanger und versucht dabei der Frage nachzugehen, ob antidemokratische Einstellungen und der Aufstieg des Faschismus in der Weimarer Zeit vergleichbar sein könnten mit der Jetzt-Zeit, in der es Corona-Leugner mit ihren Verschwörungsmythen gibt, in der Rechtsextremismus erstarkt und antidemokratische Strömungen die Demokratie gefährden könnten.

Schon bei der Wortwahl würden viele den Rechtsextremisten "auf den Leim gehen", warnt Ude und führt den Begriff "Corona-Gegner" an. Das seien diese doch gar nicht, denn Corona-Gegner seien eigentlich die Ärzte, Krankenschwestern, die gegen das Virus mit medizinischen Mitteln kämpften. Eigentlich handelte es sich bei Menschen, die Hygienevorschriften verletzten oder die Maskenpflicht, um "Corona-Förderer", deren Handeln eine schnellere Verbreitung des gefährlichen Virus und nun auch seiner mutierten Formen zur Folge habe.

Ude zitiert schließlich aus dem "aufrüttelndsten Text", den er politisch je gelesen habe: aus dem Buch "Flucht vor Hitler". Darin lobt Wilhelm Högner, der einzige bayerische Ministerpräsident der SPD, nach dem Zweiten Weltkrieg zwar die "aufrechten Sozialdemokraten, die gekämpft haben, die sich aber nicht durchsetzen konnten". Högner gelangt aber zu dem ernüchternden Fazit: "Wir leisteten keinen Widerstand." Von ihm könne man lernen, frühzeitig vor faschistischen Tendenzen zu warnen und sich "nicht darauf zu verlassen, dass der Faschismus sich bremsen lässt", empfiehlt Ude. Zuspruch dafür gibt's gleich in Echtzeit in den Kommentaren. Die SPD sei 150 Jahre gelebte Antifa, schreibt einer.

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