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Puch Open Air:Die größte Herausforderung: nicht zu hip werden

Vor 30 Jahren wurde auf einer Schweinewiese in Puch eines der ersten alternativen Musikfestivals in Bayern aus der Taufe gehoben. Heute wollen die Veranstalter die entspannte Atmosphäre bewahren.

Von Anna-Elisa Jakob, Jetzendorf

In der Geschichte des Puch Open Airs spielen die Schweine aus Lueg eine tragende Rolle. Allein schon, weil sie jedes Jahr wieder ihre Weide für ein paar Tage räumen müssen, um begeisterten Anhängern der Indie-Musik Platz zu machen. Die tanzen dort dann zu hochklassigem Alternative-Sound, auf dem Einödhof nahe Jetzendorf. Einst sorgten die Schweine für einen legendären Stromausfall - weil sie so lange an den Stromkabeln im Schweinestall zogen, bis überall auf dem Festivalgelände das Licht ausging. Heute lacht Veranstalter und Biobauer Hubert Lehmair über diesen Vorfall: "Das ist ja jetzt auch schon 25 Jahre her..."

Mittlerweile stellen die Veranstalter Notstromaggregate auf, damit das nicht mehr passiert. Doch die familiäre Atmosphäre des Festivals ist geblieben, jährlich untermalt von hochklassigen Bands der Szene, stets zahlreich besucht. Hier spielten schon Tocotronic, Blumfeld, The Notwist und die Sportfreunde Stiller. Am 20. Juli feiert das überregional bekannte Festival nun sein 30-jähriges Bestehen. Die Schweineweide ist dabei nicht nur Szenerie, sondern irgendwie auch das sympathische Sinnbild der Veranstaltung: Das Festival im Dachauer Land ist unangepasst, pur, natürlich - und gleichzeitig friedlich und familiär. Das Motto lautet seit dreißig Jahren: "100 Prozent Independent."

"Beim ersten Mal war ja alles nur improvisiert", erinnert sich Hubert Lehmair. Entstanden aus der Idee, der eigenen Band Animal Crackers eine Bühne zu bieten. Gemeinsam mit seinem Bruder Lenz Lehmair, Rudi Kraus und Reiner Sladek organisierte er so vor dreißig Jahren das erste Festival in Puch - und damit das erste seiner Art in ganz Bayern. "Manchmal war das Leben wie ein Neil-Young-Song, damals im Sommer 1989", erinnert sich Reiner Sladek auf der Website des Festivals. Er erzählt von abgemähten Feldern, einem Fender-Verstärker unter den Bierbänken, einer Gibson-Gitarre auf dem Traktor - und keiner einzigen Wolke am Himmel.

Als es 1995 zum ersten Mal während dem Festival regnete, spielten gerade Tocotronic auf der Bühne. Die bestand damals nur aus ein paar notdürftig zusammengefügten, alten Anhängern, überdacht mit Planen aus dem Baumarkt. Für Hubert Lehmair sollte jedoch der zweite Auftritt der Band zum größten Highlight in all den Jahren werden, Tocotronic spielte erneut zum zehnjährigen Jubiläum des Festivals. "Das war richtig, richtig gut", erinnert er sich. Dazu traten The Notwist, Pelzig und Lali Puna auf - und etwa 3000 Leute feierten auf dem in der Indie-Szene mittlerweile legendären Einödhof.

Das Open Air ist plötzlich groß geworden. Den Veranstaltern wird das zu viel. Sie versuchen von nun an, das Festival nicht weiter wachsen zu lassen - auch, um die entspannte Atmosphäre des Open Airs zu bewahren. Doch wie kann es gelingen, bekannte und hochklassige Bands der Szene einzuladen und gleichzeitig den Andrang an Besuchern halbwegs überschaubar zu halten? "Das ist immer wieder eine Gratwanderung", sagt Lehmair. Vielleicht sogar die größte Herausforderung für das Festival: Besucher anzulocken, aber eben nicht zu viele. Und dafür den passenden Mix aus musikalischer Prominenz der Szene und interessanten Newcomern zu finden - und all das in höchster Qualität.

Headliner sind in diesem Jahr Frittenbude. Eine Band, die klare, gesellschaftskritische Texte in Elektro, Punk und Hip Hop verpackt. Ihr neues Album heißt "Rote Sonne" - benannt nach dem Münchner Club, in dem sie früher selbst ihre Nächte durchfeierten. Geschäftsführer der "Roten Sonne" ist Peter Wacha, vor sechs Jahren ist er in das Team der Organisatoren für das Puch Open Air eingestiegen. Als Frittenbude ihr neues Album mit einer Release Party in der Roten Sonne feierten, kam er mit der Band ins Gespräch. "Tatsächlich haben die drei von sich aus angesprochen, dass sie gerne mal auf dem Puch spielen würden", so Wacha. Da hätten sie als Veranstalter nicht lange gezögert.

Hubert Lehmair freut sich am meisten auf International Music, ein Trio aus Essen. "Als ich sie bei einem Konzert in München gesehen habe, musste ich sie sofort engagieren", sagt er. In deren Musikvideos sieht man die drei mal minutenlang an einem Tisch vor einem Aquarium sitzen, Sushi essend. Oder sie schleichen durch eine alte Sporthalle, eingehüllt in braune Säcke, mit Schnittlauch und Petersilie in der Hand. Dazu dieser psychedelische Sound, diese "schrammige Art Musik zu machen", wie es das Programm des Puch Open Air beschreibt. Das verspricht noch mehr abwechslungsreichen Sound. Mit Faka zum Beispiel, einem Duo aus Johannesburg. Das mit einem Mix aus House und traditioneller afrikanischer Musik gegen den "kulturellen Mainstream" anspielen und auch eine Plattform für die Queer-Szene bieten möchte.

Die französische Band Zombie Zombie verspricht Electro-Pop, interpretiert Filmmusik neu, beispielsweise die Werke des US-Regisseurs und Komponisten John Carpenter - der diese selbst dafür gelobt haben soll. Außerdem spielt Rita Braga. Der Stil der Portugiesin lässt sich irgendwo zwischen Minimal-Pop, Sci-Fi und folkloristischem Ukulele-Spiel einordnen. Mit Salewski erwartet das Publikum zusätzlich ein Ensemble, das Synthie-Sound und orientalische Melodien verspricht, verbunden mit hypnotischem Sprechgesang.

In den vergangenen Jahren ist den Veranstaltern die besagte Gratwanderung in der Planung gelungen. Das Festival war stets ausverkauft, mit je etwa 1500 Besuchern. "Früher kamen die Gäste wirklich mal aus ganz Europa, das hat sich heute wieder etwas relativiert", sagt Lehmair. Das liegt vor allem daran, dass es mittlerweile auch einige andere alternative Festivals im Umkreis gibt. Viele Besucher seien allerdings Stammgäste, reisten jedes Jahr zum Festival auf den Bauernhof im Dachauer Land. "Einer fliegt sogar immer aus Mallorca ein - seit 20 Jahren!", erzählt Hubert Lehmair.

Wer einmal das Puch besucht, würde eben immer wieder kommen. Ob sie nicht auch mal daran gedacht hätten aufzuhören? Schließlich stecken die Organisatoren jedes Jahr über mehrere Monate hinweg in Vorbereitungen, mittlerweile beschäftigen sie ein Team von rund dreißig Leuten. "Jedes Jahr denken wir daran", gibt Hubert Lehmair zu. Und schiebt resigniert und gleichzeitig doch zufrieden hinterher: "Bislang konnten wir uns einfach nicht dazu durchringen." Weil es ein wunderschönes Gefühl sei, wenn so viele Musikbegeisterte friedlich zusammenfänden und sich anschließend für ein gelungenes Festival bedankten. Wie nun schon seit dreißig Jahren, auf der Schweineweide, draußen in Lueg.

Karten kann man bereits jetzt online auf der Homepage www.puch-openair.de bestellen.

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SZ vom 15.06.2019/baso
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