Süddeutsche Zeitung

Prozess am Landgericht München II:Anleger um ihr Geld geprellt

Das Landgericht legt einem 55-Jährigen Betrug in 37 Fällen zur Last. Einen Schaden von 900 000 Euro hat der ehemalige Geschäftsführer von neun Gesellschaften, alle mit Sitz in Dachau, angerichtet

Von Andreas Salch, Dachau/München

Es gab Zeiten, da war der Mann, der sich seit diesem Dienstag vor dem Landgericht München II verantworten muss, Geschäftsführer von nicht weniger als neun Gesellschaften, alle mit Sitz in Dachau. Der Zweck der verschiedenen GmbHs bestand beispielsweise in der Vermittlung von Investmentfonds, dem An- und Verkauf von Grundstücken oder aber auch in der Vermarktung von Lebensmitteln, insbesondere von Käse- und Milchprodukten. Eine weitere GmbH diente dem 55-Jährigen, der nach dem Abschluss der Mittleren Reife eine Ausbildung zum Steuerfachgehilfen absolviert hat, dazu, bei Anlegern Gelder zu sammeln verbunden mit der Zusage, diese am Kapitalmarkt gewinnbringend anzulegen.

Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft stimmte das jedoch nicht. Ihren Ermittlungen zufolge soll der Angeklagte ab dem Jahr 2000 die eingesammelten Gelder "eigenständig und ohne Rücksprache" mit anderen Gesellschaftern als Darlehen unter anderem an sich selbst oder an "persönliche Bekannte" oder an Gesellschaften ausgegeben haben, an denen er selbst beteiligt war. Laut Anklage handelte es sich um Betrug in 37 Fällen. Der entstandene Schaden beträgt rund 900 000 Euro. Einen in etwa ähnlich hohen Betrag soll der 55-Jährige für sich abgezweigt haben. Aufgeflogen ist der mutmaßliche Schwindel Anfang 2011, nachdem ein Anleger Anzeige bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) erstattete und diese daraufhin ein Verfahren einleitete.

Die Gesellschaft, deren Zweck es angeblich war, Gelder von Anlegern gewinnbringend anzulegen, soll spätestens von 2008 an über "keine sonstigen nennenswerten Einnahmequellen mehr verfügt" haben. Das wiederum soll zur Folge gehabt haben, dass die Rückzahlung eingezahlter Gelder sowie die Auszahlung versprochener Renditen nur noch über die Werbung weiterer Anleger funktionieren konnte. Ein Schneeballsystem also. Trotzdem soll der 55-Jährige den Anlegern vorgegaukelt haben, dass die Gelder festverzinslich oder in sonstige herkömmliche Kapitalmarktinstrumente investiert werden würden.

Dass der ehemalige Geschäftsführer sich erst jetzt wegen der Vorwürfe vor Gericht verantworten muss, hängt unter anderem damit zusammen, dass er nach seiner Festnahme im März 2013 sich nur für knapp drei Wochen in Untersuchungshaft befand, seither aber auf freiem Fuß ist. Verfahren, in denen Angeklagte hingegen in Untersuchungshaft sind und auf ihren Prozess warten, werden dagegen vorrangig verhandelt.

Nach Verlesung der Anklage am Dienstag kam es auf Anregung des Vorsitzenden der 1. Strafkammer, Richter Thomas Bott, zu einem Rechtsgespräch mit dem Ziel einer Verständigung zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung. Im Fall eines Geständnisses sprach sich der Vertreter der Staatsanwaltschaft für die Verhängung einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren sowie einer Geldstrafe über 360 Tagessätze aus. Der Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Uwe Lehmbruck, schloss sich an und fügte im Hinblick auf die noch festzusetzende Höhe der einzelnen Tagessätze hinzu, dass sein Mandant "aktuell in bescheidenen Verhältnissen" lebe. Der 55-Jährige musste, nachdem alles aufgeflogen war, Privatinsolvenz anmelden. Inzwischen gelingt es ihm, sich finanziell über Wasser zu halten, indem er freiberuflich die digitale Buchhaltung für eine Steuerkanzlei erledigt. Die dadurch erzielten Einnahmen sind überschaubar. Nach Angaben des 55-Jährigen verdiene er mit seiner Tätigkeit jährlich zwischen 10 000 und 13 000 Euro. Auf die Frage von Richter Thomas Bott, ob er zudem noch über irgendwelche Vermögen verfüge, antwortete der ehemalige Geschäftsführer: "Im Endeffekt ist das, was im Geldbeutel ist, mein Vermögen." Das Gericht stellte dem 55-Jährigen in Aussicht, dass er angesichts der langen Verfahrensdauer und auch wegen seines schlechten Gesundheitszustands für den Fall eines Geständnisses mit einer gewissen "Kompensation" rechnen könne. Demnach werde die Kammer bei einer Verurteilung wegen Betrugs eine zur Bewährung ausgesetzte Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten sowie eine Geldstrafe über 270 bis 430 Tagessätze verhängen. Nach einer kurzen Unterredung mit seinem Anwalt, stimmte der 55-Jährige zu und räumte die Vorwürfe aus der Anklage ein. Auch der Vertreter der Staatsanwaltschaft stimmte dem Vorschlag des Gerichts zu.

Ein Urteil in dem Prozess wird für Anfang kommender Woche erwartet.

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Quelle:
SZ vom 14.05.2021
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