Prozess am Amtsgericht:Tödliches Ende einer Freundschaft

Eine Münchnerin sucht, weil es ihr psychisch schlecht geht, ihren Freund in Karlsfeld auf. Beide trinken mehrere Biere und einige Schnäpse, dann gibt der Ex-Junkie der 40-Jährigen Methadon. Am Morgen ist die Frau tot

Von Benjamin Emonts, Dachau/Karlsfeld

Der alarmierte Rettungsdienst konnte am Morgen des 1. September 2016 nur noch den Tod einer Münchnerin feststellen. In einer Karlsfelder Wohnung hatte die Frau unter Alkoholeinfluss eine große Menge des Opioids Methadon zu sich genommen, mit dem normalerweise Heroinabhängige substituiert werden. Die dämpfenden Wirkungen von Alkohol und Methadon schaukelten sich wechselseitig hoch. Als ihr Freund später neben der Frau aufwachte, atmete sie bereits nicht mehr. All seine Reanimationsversuche blieben erfolglos. Am Dienstag musste sich der 41-jährige Kaufmann nun vor dem Dachauer Schöffengericht verantworten. Denn ihm gehörte das Methadon - und in seiner Wohnung ist die 40-jährige Frau gestorben.

Die Beamten belehren den Mann nicht als möglichen Schuldigen

Es ist eine tragische Geschichte, die im voll besetzten Gerichtssaal aufgearbeitet wird. Und wie immer, wenn jemand aufgrund einer Drogenüberdosis stirbt, stellt sich die Frage: Wie konnte es so weit kommen? Vor den Polizisten, die morgens gegen 6.30 Uhr in der Wohnung eintrafen, hatte der Angeklagte zunächst zugegeben, der 40-jährigen Frau das Methadon gegeben zu haben. Allerdings hatten die Beamten ihn zu diesem Zeitpunkt nicht als möglichen Schuldigen belehrt. Seine Aussage war damit nicht verwertbar. Und fortan schwieg er. Die Staatsanwaltschaft München II erhob folglich nur Anklage wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln - eine leichtfertige Mitschuld am Tod der Frau wurde ihm nicht vorgeworfen.

Doch zu Beginn der Verhandlung räumt der 41-Jährige überraschend ein, der Frau, die sonst wohl eher viel Alkohol trank und kiffte, das Methadon gegeben zu haben. Er leistet damit ein "überschießendes Geständnis", wie Juristen sagen. Und bekennt sich auch der vorsätzlichen, unerlaubten Abgabe von Betäubungsmitteln schuldig. Das Gericht muss sich deshalb die Frage stellen, ob der Mann womöglich durch die Abgabe des Methadons leichtfertig den Tod der Frau verursacht hat - eine Straftat, die mit einer Freiheitsstrafe von zwei bis 15 Jahren geahndet werden muss.

Die Schilderungen des Angeklagten sind dabei von zentraler Bedeutung. Er habe seinerzeit ein sporadisches Liebesverhältnis mit der Münchnerin geführt. Er beschreibt die Frau als psychisch labil. "Ich war ihr Auffangbecken, wenn es ihr schlecht ging." Am Vorabend des 1. September 2016 soll wieder so ein Tag gewesen sein. Die Münchnerin fuhr nach einem Streit mit ihrem Lebensgefährten zum Angeklagten nach Karlsfeld in eine Spielothek. Sie tranken jeweils sieben Bier und einige Schnäpse, wie der Barkeeper vor Gericht bestätigt. Nach außen hin aber soll die schmächtige Frau noch "normal" gewirkt haben.

Methadon auf dem Schwarzmarkt besorgt

Gegen 1.30 Uhr verließen die beiden die Spielothek und gingen in die Karlsfelder Wohnung. Dort soll die Münchnerin um mehr Alkohol oder einen Joint gebeten haben. Stattdessen aber gab ihr der Angeklagte nach eigener Aussage zwei abgemessene Milliliter des Methadons, das er als Ex-Junkie seit fast 20 Jahren einnimmt. Er erhält den Heroin-Ersatzstoff jeden Morgen in einer Pasinger Arzt-Praxis. Das Methadon in seinem Kühlschrank aber hatte er sich auf dem Schwarzmarkt besorgt, um, wie er sagt, "nicht rückfällig zu werden, wenn ich den Termin mal verpasse".

Nachdem er der Frau das Methadon gegen 3.30 Uhr nachts gegeben hatte, schlief er ein. Die Frau, das vermutet der Angeklagte, ging danach zum Kühlschrank und nahm sich die tödliche Dosis. Ein Gutachter hält diese Version für möglich. Neben 1,9 Promille Alkohol im Blut haben die Gerichtsmediziner eine "potenziell komatöse" Menge Methadon im Blut der Frau gefunden. Die vom Angeklagten verabreichten zwei Milliliter seien nicht lebensgefährlich gewesen. Der Experte gibt aber auch zu bedenken, dass jeder Mensch eine andere Toleranz für das Opioid habe und die Frau außerdem stark alkoholisiert war.

Über einen Hang der Frau zu Opioiden wird während der Verhandlung nichts bekannt, weder der Angeklagte noch ihr ehemaliger Lebensgefährte wissen etwas darüber. Die Toleranz der Frau für das Methadon könnte deshalb relativ gering gewesen sein.

Der Angeklagte macht einen glaubwürdigen Eindruck auf das Gericht. Trotz seiner mehr als 20 Jahre anhaltenden Drogensucht sieht er gepflegt aus und weiß sich zu artikulieren. Er leitet inzwischen eine Spedition, nachdem er wegen Drogenhandels zehn Monate im Gefängnis saß und anschließend erfolgreich eine Therapie machte. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, zumal der Mann unter einer offenen Bewährungsstrafe handelte. Amtsrichter Christian Calame und die Schöffen aber geben ihm eine letzte Chance. "Sie haben ihren Teil zum Tod der Frau beigetragen", sagt der Richter. "Aber grundsätzlich hat jeder Mensch seinen eigenen, freien Willen. Wenn sich jemand selbst gefährdet, muss man das hinnehmen in unserer Gesellschaft." Sie verurteilen ihn zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung, unter strengen Auflagen in Hinsicht auf Betäubungsmittel und Alkohol. "Bei der nächsten Straftat wird es lange Zeit ins Gefängnis gehen", warnt der Richter.

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