Süddeutsche Zeitung

Prozess am Amtsgericht Dachau:Angeklagter tötet jungen Staatsanwalt

Entsetzen im Amtsgericht Dachau: Ein 54-Jähriger Angeklagter feuert während der Urteilsverkündung in einem Prozess wegen Veruntreuung plötzlich um sich. Drei Schüsse treffen den jungen Staatsanwalt. Der 31-Jährige stirbt noch auf dem Weg in die Klinik. Der Schütze war Zeugen zufolge schon bei früheren Verhandlungen aggressiv aufgetreten.

Walter Gierlich und Matthias Pöls, Dachau

Ein Angeklagter hat am Mittwochnachmittag während einer Verhandlung auf den Staatsanwalt geschossen und ihn so schwer verletzt, dass das Opfer kurze Zeit später starb. Gegen 16 Uhr sprang der 54-jährige Täter Rudolf U. plötzlich hoch und feuerte aus einem Revolver fünf Schüsse ab. Offenbar zielte er zunächst auf Richter Lukas N. Dann trafen drei Kugeln den Staatsanwalt Tilman T..

Rudolf U. musste sich wegen Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt vor Gericht verantworten. Der Mann, nach Informationen der SZ ein Transportunternehmer, soll Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von 44.000 Euro nicht gezahlt haben. Das Strafmaß dafür liegt nach Angaben der Staatsanwaltschaft zwischen einer Geldstrafe und fünf Jahren Haft. Der Täter wurde von Zollbeamten überwältigt, die in dem Prozess als Zeugen geladen waren. Der Notarzt reanimierte den schwer verletzten Staatsanwalt, der von Schüssen in den Bauch, die Schulter und in einen Arm getroffen worden war. Die Verletzungen waren aber so schwer, dass er auf dem Weg zum Krankenhaus starb.

Das bayerische Justizministerium bestätigte kurz vor 17 Uhr den Tod des 31-jährigen Staatsanwalts, der aus München kommt. Justizministerin Beate Merk fuhr noch am Nachmittag nach Dachau und wollte im Laufe des Abends nähere Details bekanntgeben.

Nach Zeugenaussagen hat der Angeklagte mehrmals im Gerichtssaal gefeuert, auch auf Richter Lukas N. und die Beamten des Hauptzollamts, die als Zeugen im Saal waren. Die Zollbeamten überwältigten den Schützen, der offenbar im Dachauer Amtsgericht kein Unbekannter war. Ein Justizbeamter des Amtsgerichts sagte nach der Schießerei zur Süddeutschen Zeitung: "Ich hab's gewusst, das was passieren wird. Der hat sich in früheren Verhandlungen schon aufgeführt und war völlig uneinsichtig. Er hat selbst seine eigene Anwältin angeplärrt."

Zeugen beschreiben den Täter als etwas übergewichtigen Mann mit grauen, ungepflegten Haaren. Sicherheitskontrollen sind am Amtsgericht Dachau nicht üblich, da dort keine schweren Straftaten verhandelt werden. Der Mann konnte offenbar völlig unbemerkt eine Waffe von Zuhause in den Gerichtssaal mitnehmen.

Bereits wenige Minuten nach dem ersten Notruf rückten die ersten Streifenwagen der Dachauer Polizei an, die Beamten stürmten mit schusssicheren Westen und Maschinenpistolen in den Verhandlungssaal C. Kurz danach brachten sie den Schützen aus dem Gericht und schafften ihn in einem VW-Bus weg. Als die Schießerei im Saal C begann, flüchteten die Zeugen, die im Vorraum auf ihre Aussagen warteten, und einige Beteiligte aus der Verhandlung im Nachbarsaal, die gerade unterbrochen war, aus dem Gebäude.

Ein Jugendgerichtshelfer berichtete, noch sichtlich unter Schock stehend, er habe befürchtet, dass es sich um einen Amokschützen handeln könnte. Er rannte um die Ecke in die Toilette und sperrte sich ein. Richter Lukas N. lehnte jede Stellungnahme zum Vorgang ab.

Der Bayerische Richterverein forderte schärfere Sicherheitsvorkehrungen. Es müsse nach dem Vorfall darüber nachgedacht werden, "ob wir der Sicherheit gerecht werden", sagte der Vorsitzende des Richtervereins, Walter Groß.

In einer vorherigen Version dieses Artikels haben wir das Alter des Täters mit 57 Jahren angegeben. Diese Information hat sich als falsch erwiesen. Der Täter ist 54 Jahre alt.

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