Protest in Tandern:Eine gegen alle

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Die Drehbuchautorin Karin Michalke hat zum Protest gegen den Bau eines Kuhstalls im Norden ihres Heimatdorfs Tandern aufgerufen, doch die Bewohner stehen geschlossen hinter der Bauernfamilie

Von Benjamin Emonts, Hilgertshausen-Tandern

Karin Michalke ist am Montagabend nicht da - und das, obwohl sie selbst zum Protest aufgerufen hatte. Mit einem öffentlichen Brief wollte sie die Dorfbewohner dazu bringen, gegen den Bau eines Kuhstalls im Norden ihres Heimatdorfes Tandern zu demonstrieren. Gelungen ist ihr genau das Gegenteil: Vor dem Häuserer-Saal in Hilgertshausen haben sich am Abend rund 20 Landwirte und Unterstützer der betroffenen Bauernfamilie Wenger zu einem Gegenprotest formiert. Einige der Bauern haben demonstrativ ihre Traktoren vor dem Saal geparkt, in dem der Gemeinderat tagt.

Die Drehbuchautorin Michalke ist die prominenteste Tochter des Dorfes Tandern im nördlichen Landkreis Dachau, auch deshalb hat ihr Brief, der in den Dachauer Nachrichten erschienen war, vergangene Woche so hohe Wellen geschlagen. Michalke schreibt darin, dass sie sich Sorgen um ihre Heimat macht. Das Ensemble aus Kuhstall, Fahrsilos und der fast fertigen Güllegrube soll zwischen zwei ihrer Lieblingsorte entstehen. Auf der einen Seite steht auf einer Anhöhe eine jahrhundertealte Pestkapelle, um die sich viele Sagen ranken, auf der anderen erstreckt sich der Daumiller Berg, der wegen der Rosenmüller-Filme "Beste Zeit", "Beste Gegend" und "Beste Chance" zu einer Art Kultort geworden ist. Michalke schrieb die Drehbücher für die Filme. In ihrem Brief erzählt sie, wie sie als Mädchen oft dort oben saß und von der großen weiten Welt träumte.

Diese Romantik jedoch teilt kaum einer im Dorf, wie die Gegenproteste zeigen. "Wir wollen zeigen, dass Michalke völlig allein dasteht mit ihrer Meinung. Sie hat ein Hirngespinst", sagt der Bauer Ludwig Schmidt. Was die Landwirte in dem Brief zu lesen bekamen, konnte ihnen nicht gefallen. Michalke sagt darin ziemlich deutlich, was sie davon hält, in Zeiten der Pandemie und des Klimawandels eine "gigantische landwirtschaftliche Anlage" mitten in die Landschaft zu bauen - nämlich nichts. Vom Landratsamt sei der "Mega-Stall" einfach durchgewunken worden, ohne das geringste Problem, so schreibt sie. "Wieso investieren wir Millionen an Subventionen für so einen Bau? In Zeiten wie diesen."

Michalkes Vorbehalte sind grundsätzlich nicht neu. Sogenannte privilegierte Bauvorhaben der Landwirte im Außenbereich stoßen wegen ihrer Auswüchse immer wieder auf Kritik in der Gesellschaft. Es gibt sie oft: Beim Landratsamt Dachau sind in diesem Jahr bislang 53 Anträge auf privilegierte Bauvorhaben eingegangen, 45 wurden genehmigt. Dorfbewohner und Umweltschützer befürchten, dass die Außenbereiche immer mehr zubetoniert werden, nachdem die meisten Freiflächen innerorts dem Siedlungsdruck bereits zum Opfer gefallen sind. Befeuert wird das Misstrauen durch Landwirte, die ihre Stallungen später in Lagerhallen umwandeln und an Gewerbebetriebe vermieten. Da die meisten Vorhaben genehmigt werden, haben manche Bürger das Gefühl, die Bauern dürften alles bauen, wohingegen sie um jede Dachgaube kämpfen müssen.

In Tandern stößt Michalke, die inzwischen in Österreich lebt, jedoch auf große Empörung mit ihrem Schreiben. Dass sie sich einmischt, obwohl sie nicht mehr hier lebt, kommt bei den Leuten nicht besonders gut an, genauso wenig wie die Tatsache, dass sie vorher nicht mit dem Bauer gesprochen hat. Zudem ging sie irrtümlichweise von einem Stall mit 400 Rindern aus, es sind jedoch lediglich 142. Im Vordergrund aber steht bei den Dorfbewohnern die feste Überzeugung, dass Bauernfamilien wie die Wengers jede Unterstützung verdient haben, um ihren Betrieb am Leben zu halten.

Ohnehin fühlten sich die Bauern zuletzt oft zu Unrecht verunglimpft und Schuldzuweisungen aus der Gesellschaft ausgesetzt. Sie sehen sich als Sündenbock für Umwelt- und Tierwohlprobleme, für die sie nichts können. Der Landwirt Albert Wenger sieht das Tierwohl in seinem neuen Stall jedoch deutlich besser gewährleistet. Sein Hof befindet sich inmitten der Ortschaft Tandern, auf der einen Seite ein Wohnhaus, auf der anderen ein ausrangierter Hof, dessen Besitzer schon vor Jahren in den Außenbereich abgewandert ist. Der Platz auf dem Hof der Wengers ist knapp bemessen, wie sich bei einem Rundgang zeigt. Der Bauer führt über ein längliches Grundstück mit zwei heruntergekommenen Viehställen und drei Fahrsilos im Hinterhof, das mit einem modernen Bauernhof zumindest äußerlich nichts gemein hat. Sein 30-jähriger Sohn, so erzählt Wenger, wolle den Familienbetrieb übernehmen. Um in Zukunft profitabel arbeiten zu können, hätten sie keine andere Wahl als in den Außenbereich zu expandieren. Genehmigt sind dort zwei 40 Meter lange befahrbare Silos für Mais- und Grassilage, eine 1500 Kubikmeter fassende Güllegrube mit 18 Metern Durchmesser sowie ein 54 mal 33 Meter großer, offener Stall für 78 Milchkühe und 64 Kälber. Ihren Viehbestand hätten die Wengers damit in etwa verdoppelt. Die Devise heiße angesichts sinkender Preise für Fleisch und Milch: "Wachsen oder Weichen," sagt die Chefin am Hof, Roswitha Wenger.

Selbst bei den Anliegern des Stalls genießen die Wengers offenbar großen Rückhalt. Eine junge Mutter, die mit ihrem Kind an der Baustelle vorbeispaziert, kann die Aufregung nicht verstehen, obwohl sie in Sichtweite wohnt. "Das gehört halt zum Dorfleben dazu", sagt sie. Andere Anwohner sehen das ähnlich. "Ich bin auf dem Dorf aufgewachsen. Ich bin um jeden Landwirt froh, der weitermacht", sagt ein Mann, dessen Haus 200 Meter Luftlinie entfernt steht. Bei vielen Dorfbewohnern klingt durch, dass sie über die Aussiedlung des Hofs sogar froh sind. Die Lärm- und Geruchsbelästigung sei innerorts schlimmer, sagen sie, zumal die vorherrschenden Westwinde den Geruch aus dem neuen Stall ohnehin fernhielten.

Die Sitzung des Bauausschusses gerät am Montagabend fast schon zur Nebensache. Einstimmig will sich das Gremium dafür einsetzen, dass die Familie Wenger den Stall und ihre Fahrsilos zehn Meter weiter nördlich auf dem Acker bauen dürfen. Von der Gegenseite ist einzig Tobias Michalke da, der Bruder der Drehbuchautorin. Viele hätten von dem Bau erst erfahren, als das Loch für die Güllegrube bereits ausgehoben war, sagt er. Für den Kuhstall hätte er sich ein besseres Plätzchen gesucht. Bei allen anderen ist die Stimmung gelöst. "Ich bin ganz hin und weg", sagt Bauer Albert Wenger. Mit so viel Unterstützung habe er nicht gerechnet.

© SZ vom 17.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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