Süddeutsche Zeitung

Protest:Große Resonanz auf das Dachauer Manifest

81 Bürger protestieren mit einem offenen Brief gegen den Rechtsruck in Bayern. Eine Woche danach sind dem Aufruf schon 250 Menschen gefolgt

Von Helmut Zeller, Dachau

"Es lohnt sich doch zu kämpfen und nicht nur zu jammern", sagt Franz Baur. Der 63-jährige Mathematiker aus Erdweg ist wie seine Mitstreiter "sehr glücklich" über die große Resonanz auf ihr Manifest für die Demokratie. 81 Persönlichkeiten aus dem Dachauer Land hatten einen offenen Brief verfasst, in dem sie ihre Sorge über die Angriffe der rechtspopulistischen AfD und rechtsextremer Bewegungen auf die offene und liberale Gesellschaft ausgedrückt hatten. Das war vor einer Woche. Inzwischen, eine Woche vor den Landtagswahlen in Bayern, haben mehr als 250 Menschen im Landkreis zusätzlich den Brief unterzeichnet. Jetzt können sich auch Politiker im Landkreis in die Unterstützerliste eintragen.

Franz Baur erklärt dazu: "In der ersten Liste haben wir ja ausdrücklich keine politischen Mandatsträger aufgenommen, um das Thema aus dem aktuellen Wahlkampf herauszuhalten. Jetzt melden sich aber viele davon, was wir auch begrüßen." Unterzeichnet haben unter anderem Florian Schiller, CSU-Fraktionsvorsitzender im Dachauer Stadtrat, sein Stadtratskollege Sören Schneider (SPD), der Grünen-Kreisrat Roderich Zauscher, Kreisvorsitzender des Bundes Naturschutz, Hans Lingl, früherer Röhrmooser Bürgermeister. Die Liste aller Unterzeichner liest sich wie das Who's who im Landkreis: Vertreter von Kultur, Wirtschaft, Bildungseinrichtungen, Verbänden sowie Kirchen und Ärzte haben unterschrieben. Auch die Wirtin der Traditionsgaststätte Kochwirt in der Dachauer Altstadt, Katharina Osterauer, unterstützt das Manifest: eine Wirtin, die zugleich eine promovierte Kulturwissenschaftlerin ist und 2017 zusammen mit Slavká Rude-Porubská eine beeindruckende Ausstellung zum 150. Geburtstag von Ludwig Thoma kuratiert hat. Als Jurist betrieb Thoma (1867 bis 1921) zwei Jahre lang eine Anwaltskanzlei in der Altstadt - am Ende seines Lebens wandelte er sich zum antisemitischen Hetzer.

Antisemitismus und Rassismus sind wieder salonfähig geworden, auch in der Mitte der Gesellschaft. Das Manifest hat den Rechtsruck in Bayern wie in ganz Europa im Blick: "Einige unserer Nachbarländer haben leider diesen unheilvollen Weg bereits beschritten. Nur unsere wirtschaftliche Stabilität hat uns bisher davor bewahrt. Sie ist aber kein dauerhaftes Schutzschild. Personifizierter Hass gegen einzelne Gruppen unserer Gesellschaft und verfälschte Informationen schaffen Legenden, die sich selbst verstärken und wie Wanderdünen jede realistische und differenzierte Betrachtung unter Bergen von Unwahrheiten und Gerüchten verschwinden lassen. Das macht es den Demagogen leicht und den Nachdenklichen so schwer. Wie deutlich muss es uns die Geschichte noch lehren? Die Geschichte hat uns gezeigt, wie fragil und verletzlich Demokratien sind. Nationalistischer Hass führt zur Spaltung im Inneren und zum Krieg im Äußeren", heißt es in dem offenen Brief.

Natürlich gab es auch Gegenwind: 20, 30 "komische" E-Mails seien eingetroffen, auch zum Teil mit Beschimpfungen aus der rechten Ecke, wie Franz Baur sagt. Etliche solcher Reaktionen kamen aus der Gemeinde Odelzhausen, wo die AfD bei der Landtagswahl 2013 die meisten ihrer Erststimmen im Wahlkreis 215 holte, 5,52 Prozent. Bei der Bundestagswahl 2017 kam sie in Odelzhausen auf 13,06 Prozent. Der positive Rücklauf war noch größer, aber nicht alle wollen mit Namen unterzeichnen.

"Verdruss über bestehende Politik und ihre Entscheidungen mag berechtigt sein, aus Protest aber den eigenen Untergang zu wählen, ist vollkommen irrational. Nur von etwas weg zu wollen ist keine Lösung. Jeder möge sich überlegen, ob man in einem Staat leben möchte, in dem populistische Politiker Demokratie und Rechtssicherheit, Meinungs- und Pressefreiheit als liberalen Luxus bezeichnen - allesamt Errungenschaften der Aufklärung, die sich unsere Vorfahren mit dem eigenen Leben erkämpft haben. Errungenschaften, die den wirtschaftlichen Erfolg und die Lebensqualität in unserem Land erst möglich gemacht haben", heißt es in dem Manifest.

"Es gibt viele, die aufstehen", sagt Franz Baur, und meint damit auch andere Initiativen gegen einen Rechtsruck. Vielleicht liegt es auch an ihnen allen, dass die AfD der ARD-Wahlumfrage von dieser Woche zufolge einen Prozentpunkt verloren hat und nun bei zehn Prozent liegt. Die Liste der Unterzeichner repräsentiert eine breite Palette von strukturkonservativen bis progressiven Positionen - über das schlechte Ergebnis der Volksparteien in dieser Umfrage freut sich jedoch niemand.

Wer unterzeichnen will, kann dies über die E-Mail-Adresse insorge2018@gmail.com tun.

Das Manifest gibt es unter dem Link: https://www.dropbox.com/s/7n61e1s4t51j483/Offener%20Brief%202018%202.pdf?dl=0

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Quelle:
SZ vom 06.10.2018
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