Protest der Dachauer Förderschule:"Wir brauchen sie"

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Die Dachauer Förderschüler kämpfen für ihr Schülerzentrum - und für ihre Sozialpädagogen: Aus Protest gegen die Kürzungspläne des Freistaats haben sie nun das Gebäude besetzt.

Melanie Staudinger

Mert will Rapper werden. Der 14-Jährige hat schon ein eigenes Lied aufgenommen. "Ich bin ich Mert" heißt es, man kann es sich im Internetportal "Youtube" anhören. "Ohne Hermann hätte ich das nie geschafft", sagt der Förderschüler. Hermann Ehrlich ist der Leiter des Schülerzentrums Schlossberg, das in seiner jetzigen Form Ende Juli geschlossen wird. An der Förderschule in Dachau entsteht stattdessen eine offene Ganztagsschule und eine davon getrennte Abteilung für Jugendsozialarbeit. Der Freistaat Bayern will das, und so hat es der Kreisausschuss in Dachau beschlossen.

Kämpfen für ihre "zweite Familie": Dachauer Förderschüler im Bildungsstreik. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Schüler aber sind da ganz anderer Ansicht: Sie kämpfen für ihr Schülerzentrum, so wie es sich in den elf Jahren seines Bestehens bewährt hat. Vor allem wollen sie nicht auf ihre Sozialpädagogen verzichten. "Das sind unsere Bezugspersonen", sagt Schülersprecher Maxi. Nadine ergänzt: "Wir kennen sie, seitdem wir klein sind." Die Jugendlichen wollen nicht zuschauen, "wie unsere zweite Familie kaputtgemacht wird", sagt Maxi. Am Donnerstagabend, vor der Sitzung des Kreisausschusses am Freitag, haben sie aus Protest ihr Schülerzentrum besetzt - die Eltern wissen Bescheid, dass ihre Kinder dort übernachten. "Warum sparen die Politiker an uns? Wir sind doch eh ganz unten", sagt Maxi.

Kreisjugendamtsleiter Ulrich Wamprechtshammer nimmt die Sache sehr ernst. Nachdem er vom Streik erfahren hat, dauert es keine 20 Minuten, bis er bei den Schülern ist: "Ich habe großen Respekt, dass sie sich so für ihre eigenen Belange einsetzen. Wamprechtshammer steht an diesem Donnerstag vor keiner leichten Aufgabe: Er soll den Jugendlichen erklären, was für so manchen Kommunalpolitiker schwer zu verstehen ist - die Verästelungen der bayerischen Schulpolitik, für die der Jugendamtsleiter selbst nicht verantwortlich ist.

Was die Förderschüler erzürnt

Der Freistaat entwickelt das Modell der Ganztagsschule weiter und entzieht damit dem Landkreis seine Zuständigkeit für das Schülerzentrum. Das Kultusministerium betrachtet Betreuung und Jugendsozialarbeit an Schulen als getrennte Bereiche. Das spart in erster Linie Geld, weil in der Betreuung nicht zwingend wie im Schülerzentrum in Dachau Sozialpädagogen eingesetzt werden müssen. Sie sind teurer als Erzieher, die in offenen Ganztagsschulen arbeiten.

Diese Vorgehensweise ist es, welche die Förderschüler erzürnt. Sie fühlen sich in ihrem Schülerzentrum wohl, weil es ihre Betreuer gibt. Hier können sie nach der Schule essen, ihre Freunde treffen, Hausaufgaben machen, im Internet surfen, einfach mal abschalten oder Fußball spielen. Das Team um Hermann Ehrlich bietet Aktionen an: Die Jugendlichen haben heuer einen Horrorfilm gedreht, sind zur Sommerrodelbahn gefahren oder schauen sich abends Filme an und übernachten anschließend in der Einrichtung. Sie sind unter sich, und damit nicht den ständigen Sticheleien Gleichaltriger ausgesetzt.

Daneben kümmern sich die Sozialpädagogen um die großen und kleinen Probleme der Schüler. Sie gehen mit ihnen zum Arzt oder in die Therapie, sprechen mit Lehrern und Eltern, wenn es Ärger gibt, oder hören bei Liebeskummer zu. "Sie sind immer für uns da. Wir brauchen sie", sagt Nikoletta. Eine Anwesenheitspflicht gibt es nicht, und trotzdem schauen bis zu 30 Jugendliche am Tag vorbei. "Ich würde auch am Wochenende kommen, wenn es offen hätte", sagt Mert. Er wisse nicht, was er ohne das Schülerzentrum machen solle. "Dann müsste ich nach der Schule nach Hause und mir neue Freunde suchen", sagt Nadine. In einem sind sich die Jugendlichen einig: Wenn es die Betreuer nicht mehr gibt, dann wollen sie sich auch nicht mehr im Schülerzentrum aufhalten. "Hermann ist das Herz der Schule", sagt Chris. Der 16-Jährige ist regelmäßig noch da, obwohl er die Schule bereits beendet hat.

Am Freitagvormittag sitzt Maxi mit seiner Rektorin Gabriele Oswald-Kammerer im Kreisausschuss. Es gibt eine Entscheidung: Der Landkreis wird sich finanziell an den zwei Hauptschulgruppen der offenen Ganztagsschule beteiligen. Er stockt die 30000Euro, die der Freistaat pro Schuljahr gibt, um die gleiche Summe auf. Für die Grundschüler gibt es 15000Euro zusätzlich zu den 7000Euro vom Land. Der Jugendamtsleiter hat dafür gekämpft. "Die Kinder haben einen besonderen Förderbedarf, dem wir gerecht werden sollten", sagt er. Das ist ein erster Erfolg für die Förderschüler. Nun blicken sie gespannt auf ihre Rektorin und das Jugendamt. Die wählen den Träger für Ganztagsschule und Jugendsozialarbeit aus. Bekommt der Verein Kinderschutz wie bisher den Zuschlag, kann zumindest ein Teil ihrer Sozialpädagogen bleiben, so hoffen sie.

© SZ vom 17.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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