Premiere im Thoma-Haus:Zauberhaft zeitgemäß

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Herbert Müller und dem Lyrischen Opernensemble gelingt eine gleichermaßen heitere wie durchaus ernsthafte Inszenierung des Vogelhändlers. Auch dank des jungen Tenors Yichi Xu

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Der Adam aus Tirol ist ein Wirtschaftsflüchtling. Im vom Krieg zerrissenen Europa schlägt er sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts mit Witz und Chuzpe von einem Land zum anderen durch. So landet er bei der Mannheimer Kurfürstin Violante Maria Theresa, geborene von Thurn und Taxis. Dass der Adam jedoch nur eine Tiroler Scheinidentität angenommen hat, ist unübersehbar - und auf charmanteste Weise auch unüberhörbar in der jüngsten Produktion des Lyrischen Opernensembles Dachau, Carl Zellers Operette "Der Vogelhändler". Am Freitag war Premiere im bedauerlicherweise nicht ausverkauften Ludwig-Thoma-Haus.

Fabelhafte lyrische Stimme

Die Titelpartie in dieser Inszenierung hat der erst vierundzwanzigjährige chinesische Tenor Yichi Xu übernommen. Er ist eine Entdeckung und wird aufs Schönste dem Anspruch des Lyrischen Opernensembles gerecht, junge Talente zu fördern und ihnen die Möglichkeit zu geben, Bühnenerfahrung zu sammeln. Yichi Xu hat diese Chance genutzt: Er hat eine fabelhafte lyrische Stimme, kann aber auch rotzfrech sein. Yichi Xu hat hart an seiner Rolle gearbeitet, nun geht er völlig in ihr auf. Dass das Operetten-Tirolerische noch nicht perfekt ist, tut der Textbearbeitung von Herbert Müller, der auch Regie führt, nur gut, gibt ihr gewissermaßen eine ironische Brechung. Müller hat die Handlung modernisiert und aktualisiert, geht immer wieder auf die Situation von Migranten ein, ohne ins Moralisierende abzugleiten. Dafür sorgen schon die komischen Szenen und die gnadenlos gut überzeichneten Charaktere.

Da ist eine frustrierte Kurfürstin (selbst im Dirndl noch mit hoheitsvoller Gestik und Dramatik in der Stimme: Gesa Jörg), die auf der Suche nach ihrem strawanzenden Gatten selbst einem erotischen Abenteuer nicht abgeneigt ist. Sie findet in Adam einen nur allzu willigen Teilzeit-Lover. Der wiederum strotzt - komische Lederhosen hin oder her - nur so vor Selbstbewusstsein. Und ist entsprechend baff, dass ihm plötzlich mit der Christel von der Post (souverän und mit toller Stimme: Janet Bens) eine würdige Gegnerin gegenübersteht. Sie will dem Adam zwar helfen, eine Festanstellung als Menageriedirektor zu bekommen, aber ihn heiraten? Zumal sie kein braves Mädchen ist, sondern nach dem Motto "Gelegenheit macht Liebe" einem Date mit dem Pseudokurfürsten Stanislaus nicht abgeneigt ist.

Yichi Xu und Gesa Jorg, Gründerin des Lyrischen Opernensembles. (Foto: Niels P. Joergensen)

Eine Paraderolle für den Münchner Tenor Andreas Stauber, der den Herumtreiber mit Latin-Lover-Sex in der Stimme singt und spielt und sich auch von seinem in Geldnöten steckenden Onkel Baron Weps nicht aus der Ruhe bringen lässt. Den Baron verkörpert der niederländische Bassist Frits Kamp mit vor Katzbuckelei triefender Stimme und Gestik. Dieser Intrigant hat sich zur Unterstützung seiner perfiden Pläne gleich zwei "vazierende Prodekane", stellungslose Professoren, geholt. Buffo Richard Wiedl, für das Lyrische Opernensemble unverzichtbar, und Herbert Müller sind mit ihrer umwerfenden Komik die Stars des "Vogelhändlers".

Romantisches Bühnenbild

Der Vierte im Bunde dieser seltsamen Männergesellschaft ist Tobias Zeitz als subalterner Bürgermeister Schneck. Er dirigiert sein in den kurfürstlichen Wäldern wilderndes Bauernvolk liebevoll despotisch mit volltönender Stimme. Müller hat diese schon im Originallibretto von 1891 drolligen Gestalten zu wahren opportunistischen Weicheiern degradiert. Sie haben keine Chance gegen die starken Frauen, zu denen auch die heiratssüchtige Baronin Adelaide gehört. Veneta Radoeva macht aus dem auf Contenance bedachten Wachhund der Kurfürstin eine schrille Person gesetzteren Alters, die ihr Ziel mit List und Tücke erreicht.

In der Eigenproduktion des Lyrischen Opernensembles arbeiten Profis und Laien, erfahrene Kräfte und Newcomer ausgesprochen harmonisch zusammen. Solisten, Chor und Orchester nebst Dirigent Armando Merino befeuern sich wechselseitig, geizen weder mit Spitzentönen noch mit akrobatischen Kunststückchen und nehmen im romantischen Bühnenbild von Ulrike Beckers ihr begeistertes Publikum mit auf eine sinnenfrohe Reise.

Dem Zauber dieser Inszenierung kann und mag sich niemand entziehen. Denn abgesehen von der etwas zu dick aufgetragenen Werbung für einen Sponsor ist sie in sich stimmig. Sie ist vergnüglich und unterhaltsam und schärft zugleich den Blick für den ernsten Hintergrund der heiteren Handlung. Man hat Carl Zellers Operette oft mit Mozarts "Die Hochzeit des Figaro" verglichen, weil sich in beiden Werken "die da unten" gegen "die da oben" stellen. Zumindest für diesen bemerkenswerten Dachauer Vogelhändler trifft das nur teilweise zu. Hier siegen Pragmatismus und gesunder Menschenverstand über Willkür und Dünkel. Das ist eine im besten Sinne humanistische Sicht der eher unerfreulichen gesellschaftlichen Gegebenheiten in vergangenen und heutigen Zeiten.

Das Bühnenbild stammt von Ulrike Beckers vom Hoftheater. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Nächste Aufführung: Freitag, 19. Mai, 19.30 Uhr

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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