Premiere auf dem Gelände der Bepo:Denk-Prozesse

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Das neue Theaterstück von Karen Breece über das Dachauer Militärtribunal im Jahr 1945 wirft Fragen nach individueller Schuld und Verantwortung für die NS-Verbrechen auf - und motiviert die Besucher zu einer kritischen Selbstprüfung.

Von Anna Schultes

Als die Premierenzuschauer den Spielort betreten, ist die Geschichte schon da. Die Prozesse sind vor langem geführt, die Urteile gesprochen worden. Von 15. November bis 13. Dezember 1945 fand hier, in der früheren SS-Garnison, der Hauptprozess von Dachau statt. 40 Männer standen wegen Verbrechen im KZ vor Gericht, 36 wurden zum Tode verurteilt. Fast 69 Jahre später hat die Regisseurin Karen Breece ein Theaterstück über die Dachau-Prozesse inszeniert, eine Auseinandersetzung mit der Geschichte am historischen Ort.

Durch die Aufführung "Dachau // Prozesse" wird das historische War-Crimes-Branch-Gebäude auf dem heutigen Gelände der Bereitschaftspolizei erneut zum Schauplatz. Bis 1945 wurden hier SS-Uniformen geschneidert. Der Raum wird zum Gerichtssaal, als die Namen der Angeklagten verlesen werden. Im Zentrum der Verhandlung: Martin Gottfried Weiß, von September 1942 bis Oktober 1943 KZ-Kommandant in Dachau. Sein Plädoyer: nicht schuldig. Gleichgültig beantwortet er die vielen Fragen des Gerichts, streitet Verantwortung ab, will sich nicht erinnern. Die Befragungen durch den amerikanischen Verteidiger Douglas T. Bates und den Ankläger William Denson münden in einer Grundsatzdebatte über individuelle Schuld. Retten wird sie Weiß nicht.

Um individuelle Schuld geht es auch Karen Breece. Deshalb hat sie einen einzelnen Täter herangezogen - aus 1672 Angeklagten allein in den Dachauer Prozessen, die bis 1948 dauerten. Aber warum Weiß? An ihm als Ehemann und Vater wird verhandelt, wie es möglich war, dass die SS-Männer ein glückliches Leben mit ihren Familien führten und wenige Hundert Meter weiter Häftlinge quälten und töteten. Die Beschäftigung mit den Tätern wirft Fragen auf, nach Menschlichkeit, nach Schuld, nach Verantwortung. Drängende Fragen.

Wie schon 2012 bei der Inszenierung der "Blutnacht auf dem Schreckenstein" arbeitet die Regisseurin mit Laiendarstellern aus Dachauer Theatergruppen. Die "Prozesse" sind ein Folgeprojekt des Stücks, das 1943 von Häftlingen im KZ Dachau uraufgeführt wurde. Es war Martin Gottfried Weiß, der die Vorführung der gut getarnten Hitler-Satire genehmigte. Mit René Rastelli ist Weiß brillant besetzt, der Schauspieler der Thoma-Gemeinde überzeugt mit seiner fast stoischen Darbietung. Nur die Rollen des Anklägers und des Verteidigers übernehmen professionelle Schauspieler.

Für die Zuschauer hat der Abend schon an der Pforte der Bereitschaftspolizei begonnen, da noch ohne Darsteller. Mit dem Bus sind sie eine halbe Stunde ganz langsam über das Gelände gefahren, haben sich ihm angenähert. Es ist die Öffnung eines Ortes, der sonst für die Bürger verschlossen bleibt, der aber viel zu erzählen hat. Hinter den Fenstern ziehen die Wiesen, die Bäume, die historischen Gebäude, der alte Wasserturm vorbei. Über Kopfhörer werden die Besucher Zeugen der Erinnerungen von Weiß` Ehefrau Lisa, die die Zeit in Dachau im Jahr 1943 als ihre schönste beschreibt. Im starken Kontrast dazu steht die Fassungslosigkeit des Amerikaners Walter J. Fellenz in den Schilderungen über die Befreiung am 29. April 1945.

Als Weiß am Ende der Verhandlung den Saal verlässt, wird nicht applaudiert. Die Darsteller befestigen an der Bodeninstallation einige Kleiderbügel. 41 500 sollen es nach der letzten Aufführung sein, jeder Bügel steht für einen Menschen, der im KZ Dachau und seinen Außenlagern gestorben ist. Bis zuletzt verfolgen die Zuschauer aufmerksam und beinahe regungslos die Vorgänge im Raum. Aber Applaus ist nicht vorgesehen. Vielleicht, weil er immer auch einen Abschluss markiert. An diesem Abend ist das Projekt aber nicht abgeschlossen. Auch nicht, als die letzten Zeilen von Weiß` Abschiedsbrief auf der Rückfahrt im Bus gesprochen sind. Es bleiben Fragen. Ein neu angestoßener Prozess fängt für das Publikum gerade erst an.

Darsteller: Walter Hess (Sprecher Walter J. Fellenz), Gabi Klohn (Aushilfskellnerin/Chor), Ernst Konwitschny (Oswald Pohl/Chor), Angelika Mauersich (Chor), Sebastian Mirow (Heinrich Himmler/Douglas T. Bates), René Rastelli (Martin Gottfried Weiß), Hildegard Schmahl (Sprecherin Lisa Weiß), Patric Schott (Rudolf Höß/William Denson), Verena Wildmoser (Lisa Weiß), Ingrid Zellner (Schwester Pia/Chor), Kathrin Eickhoff, Julia Teutsch, Corinna Weber (alle Chor). Die Aufführungen im Mai sind bereits ausverkauft. Karten für die Termine am 10., 11., 12., 13. und 14. Juni, jeweils 19 Uhr, gibt es bei München-Ticket (zum Beispiel in der Tourist Information der Stadt Dachau).

© SZ vom 26.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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