Podiumsdiskussion:Vertrauen ist das Zauberwort

Das Netzwerk gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen diskutiert mit Eltern, Experten und Schülern über die Gefahren durch digitale Medien wie Facebook und Whatsapp. Nur eine offene Kommunikation in Familie und Schule bietet eine Chance zur Prävention

Von Petra Schafflik, Dachau

Es geht nur gemeinsam. Nur wenn Eltern, Pädagogen, Lehrer, Experten und auch Jugendliche zusammenwirken, können junge Menschen künftig besser vor sexuellem Missbrauch, vor gefährlichen Attacken und Übergriffen in digitalen Medien geschützt werden. Da Erwachsenen oft der Zugang fehlt zu den allerneuesten, oft gefährlichen Entwicklungen im Netz, kommt bei einer wirksamen Prävention gerade den "Digital Natives", den im Internet erfahrenen Jugendlichen eine wichtige Rolle zu. "Die Erwachsenen brauchen euch" - so lautete denn auch das Fazit der von SZ-Redaktionsleiter Helmut Zeller moderierten Podiumsdiskussion "Missbrauchshelfer Smartphone", zu der am Dienstagabend 80 Zuhörer ins Ludwig-Thoma-Haus gekommen waren.

Die Jugend - auf dem Podium mit zwei Sprechern und im Publikum mit Schülern der Mittelschule-Süd zahlreich vertreten - nimmt die ihr zugedachte Vermittler- und Betreuer-Rolle bereits an. "Wir wissen bei diesem Thema einfach mehr als viele Erwachsene und können die Jüngeren aufklären", sagte der 15-jährige Amir Ali-Akbar. Aber natürlich kann die Jugend sich nicht alleine helfen. Doch ein Sicherheitsnetz lasse sich aufspannen, so der 16-jährige Paolo D'Avanzo. "Wenn sich Eltern, Lehrer, Polizei und ältere Jugendliche absprechen."

Handy als Risiko

Auf dem Podium leitet SZ-Redaktionsleiter Helmut Zeller (von links) die Diskussion über sexuellen Missbrauch durch soziale Medien. Die Schüler Amir Ali-Akbar, Paolo D'Avanzo, die Lehrerin Sibylle Rupprecht, der Jugendkontaktbeamte der Dachauer Polizei, Tom Rechl, und Schulleiterin Petra Fuchsbichler.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Welchen perfiden Gefahren gerade jüngere Nutzer im Netz ausgesetzt sind, aber auch wie stark sich die Internet-Erfahrungswelt von Erwachsenen und jungen Leuten unterscheidet, zeigte sich ganz plötzlich im Laufe der engagierten Diskussion beim Stichwort "Momo-Challenge". Dieser Kettenbrief, in jüngster Zeit über den Messenger-Dienst Whatsapp intensiv verbreitet, "erzeugt Panik bei jüngeren Schülern", berichtete Tom Rechl. Der Jugendkontakt beamte der Polizei Dachau nannte als einer der Experten auf dem Podium die aktuelle Bedrohung Momo-Challenge "ein Spiel mit der Angst". Ein enorm gefährliches, weil sich im Umfeld des Kettenbriefs, der mit massiven Drohungen Druck aufbaut, weltweit bereits sechs Kinder umgebracht hätten. "Es sind wirklich Leute gestorben und sterben weiter." Eine Information, die wissendes Kopfnicken bei den Schülern auslöste. Ja, auf der Film-Plattform Youtube werde mit Momo-Clips die Angst geschürt, sagte eine junge Frau aus dem Publikum. "Das wird gerade hochgepuscht." Die Erwachsenen staunten, denn mit Ausnahme des Jugendbeamten hatte niemand bisher von dieser Gefahr gehört.

Es geht nicht darum, digitale Medien zu verteufeln

Petra Fuchsbichler, als Schulleiterin der Mittelschule Markt Indersdorf auf dem Podium dabei, will sofort ihr Kollegium informieren, damit die Lehrer über die Gefahr sprechen. Die Rektorin nannte die Momo-Kettenbriefe als eindrückliches Beispiel, "wie weit weg unsere Generation ist von den Themen, die für Schüler wichtig sind". Ja, Eltern wie Lehrer seien auf Hinweise der Jugend angewiesen, "weil ihr schneller bei diesen Themen dabei seit", bestätigte auch Sibylle Rupprecht, die als Schülermutter und Lehrerin der Greta-Fischer-Schule in Dachau auf dem Podium diskutierte.

Bei aller Sorge: Der Veranstaltung auf Einladung des Netzwerks gegen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen im Landkreis ging es nicht darum, digitale Medien zu verteufeln. "Denn das Internet bietet unglaubliche Möglichkeiten", so Landrat Stefan Löwl (CSU) in seinem Grußwort. Und Smartphones, die den permanenten Zugang zur digitalen Welt per Griff in die Hosentasche ermöglichen, seien aus der Lebenswelt von Schülern nicht wegzudenken. "Wer nicht dabei ist, ist auch nicht dabei." Doch angesichts der Gefahren, die gerade für junge Leute im Netz eben auch lauern, will das vom Landkreis jetzt neu belebte "Netzwerk gegen Missbrauch" mit Fachleuten und Ansprechpartnern "Hilfe bieten in der analogen Welt". Die Podiumsdiskussion sollte "nicht als akademische Debatte, sondern Betroffenen-Dialog" das neue Unterstützungsangebot in den Blick der Öffentlichkeit rücken.

Handy als Risiko

Ein Verbot der digitalen Medien lehnt Tobias Frischholz, Medienbeauftragter der Grund- und Mittelschulen, ab. Rechts die Sozialarbeiterin Yvette Dumont.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Tatsächlich eröffnen digitale Medien nicht nur Nutzern tolle Möglichkeiten, sondern eben auch Straftätern vielfältige Wege etwa für sexuellen Missbrauch. 13 300 Fälle von Missbrauch weise die Kriminalstatistik für 2017 aus, laut Jugendbeamten Rechl ein "absoluter Tiefstand". Doch die Zahl ist nicht etwa erfreulich, sondern ein Indiz, wie geschützte Online-Räume wie das Darknet helfen, Taten zu verschleiern. Auch die Schüler Paolo D'Avanzo und Amir Al-Akbar haben im Umfeld schon Negatives rund ums Smartphone erlebt. Wie aus Witzen derbe Beleidigungen werden, Diskussionen ausarten, Kettenbriefe Panik verbreiten, Mitschüler digital gemobbt werden. "Alles schon vorgekommen", so die beiden Schüler. "Pädosexuelle kommen mit dem Smartphone in dein Kinderzimmer", warnte eine Schülerin im Publikum. Was kann die Schule tun? Das Handy ist für junge Leute ein Alltagsgegenstand. "Verbote nützen nichts, würden nur das Vertrauen untergraben", sagt Schulleiterin Fuchsbichler. Die Rektorin setzt an ihrer Mittelschule darauf, Medienkompetenz zu vermitteln. Dabei nutzen nach dem Motto "bring your own device" Schüler eigene Geräte in einem gefilterten Netz, so der Medienbeauftragte für Grund- und Mittelschulen im Landkreis, Tobias Frischholz. Ziel sei, Mädchen und Jungen "vom User zum Maker" zu schulen. Und ältere Schüler zu Medienscouts auszubilden, die ihr Wissen weiterzugeben. Das funktioniert, wie einige Schüler aus dem Publikum bestätigten. "Weil wir zu den Jüngeren den besseren Draht haben."

Eltern kennen sich mit der Technik oft nicht so gut aus

Und die Eltern? Sind nicht gerade prädestiniert für technische Ratschläge. "Zu Hause bin ich es, die technisch was hinkriegt und sich um den Computer kümmert", berichtete eine Schülerin. In nicht wenigen Familien läuft es wohl ähnlich. Auch der Landrat muss sich nach seinen Worten "vieles von meinen Kindern erklären lassen". Doch um Wissen geht es nicht, betont Rechl. Sondern um Offenheit, Austausch und Kontakt. Darum miteinander im Gespräch zu bleiben, sich zu interessieren für die digitale Welt, in der sich Sohn oder Tochter gerne aufhält. Und darum, die Kinder zu stärken.

Dabei ist Vertrauen das Zauberwort. Leider ließen viele Eltern ihre Kinder mit der Technik alleine, beklagt Medienexperte Frischholz. Doch nur wenn Kinder ihren Eltern vertrauen, werden sie sich bei schlechten Erfahrungen oder gar als Opfer eines sexuellen Missbrauchs an sie wenden. Den Eltern bieten Unterstützung dann auch die im Netzwerk organisierten Experten. Erste Informationen stehen auf der Online-Seite unter www.netzwerk-gegen-missbrauch.de.

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