Süddeutsche Zeitung

Plastikfrei:Einkaufen ohne Verpackungsmüll

Lebensmittel in Plastikfolien sind praktisch, aber sie hinterlassen riesige Abfallberge. Dass es auch anders geht, zeigen die 55 "Unverpacktläden" in Bayern. Bald soll es auch im Landkreis zwei solcher Geschäfte geben

Von Jacqueline Lang, Dachau/Markt Indersdorf

Statt der 250-Gramm-Packung nur so viele Nudeln abfüllen, wie man wirklich braucht; statt unnötiger Plastikverpackungen einfach selbst ausgespülte Marmeladengläser und Beutel mitbringen - das Zero-Waste-Prinzip boomt deutschlandweit. Im Landkreis gab es bislang noch keinen Unverpacktladen. Das wollen Erika Eisenmann, Claudia Simperl und Jessica Schilcher im kommenden Frühjahr ändern. Wäre Simperl und Eisenmann die Corona-Krise nicht in die Quere gekommen, wäre die Eröffnung ihres Ladens unweit der Dachauer Altstadt sogar bereits für diesen Herbst geplant gewesen: Jessica Schilcher kam die Idee, einen Unverpacktladen in Markt Indersdorf zu eröffnen, indes erst während des Lockdowns. Eine Geschichte über drei Frauen, zwei Generationen und einen gemeinsamen Traum.

Auch wenn es gerade wegen des ganzen Bauschutts nicht danach aussieht: Der Hinterhof der Steinkirchener Straße 1 ist ein wahres Dachauer Kleinod. Ein Ort, an dem es noch Platz für Entfaltung gibt, während es vielerorts immer enger wird. Hier wollen sich Claudia Simperl, 47, und Erika Eisenmann, 52, einen gemeinsamen Traum erfüllen: den ersten Unverpacktladen Dachaus. Damit reihen sie sich ein in eine lange Liste. Der Verband der Unverpackt-Läden hat derzeit 302 Unverpacktläden gelistet, 55 davon allein in Bayern. Mehr als 200 weitere sind in Planung.

Unabhängig voneinander hatten die beiden Frauen, die sich vor vielen Jahren zunächst über ihr Kinder kennengelernt haben, diesen Traum bereits seit längerem gehegt. Aber wie das so ist mit großen Träumen: Manchmal traut man sich alleine nicht. Weil Simperl, die an der Dachauer Montessorischule unterrichtet, die Idee nicht losließ, schenkte sie sich selbst zum Geburtstag vor zwei Jahren einen Workshop zur Gründung eines solchen Ladens - ohne das groß herumzuerzählen und eher aus reiner Neugierde als mit dem konkreten Vorhaben, gleich selbst einen Laden zu gründen. Wie es der Zufall so wollte, traf sie kurz darauf Eisenmann vor der Naturkostinsel beim Einkaufen. Die beiden kamen ins Plaudern und irgendwann kam die Sprache auf das Thema Unverpacktläden. Eisenmann sagte, sie würde sofort ihren Job als medizinische Fachangestellte kündigen, wenn sich jemand fände, mit dem sie einen solchen Laden eröffnen könnte. Simperl sei, erzählt sie lachend, die Kinnlade heruntergerutscht: "Weißt du, wo ich gerade herkomme?"

Schnell waren sich die beiden Dachauerinnen einig, dass sie ihren gemeinsamen Traum in die Tat umsetzen wollen. "Das war wie eine Fügung", sagt Simperl. Und wäre ihnen die Pandemie nicht dazwischengekommen, dann hätte der etwa 70 Quadratmeter große Laden schon in diesem Herbst seine Eröffnung feiern können. In der Planung sind sie nun um ein paar Monate zurückgeworfen; ihrer Vorfreude hat das keinen Abbruch getan.

Nachhaltiger zu leben und auf Plastik zu verzichten, das versucht auch die gelernte Erzieherin Jessica Schilcher, 26, schon länger. Dass es sogenannte Unverpacktläden gibt, hat sie aber erst während des Lockdowns herausgefunden - und war sofort so begeistert von der Idee, dass sie sich kurzerhand dazu entschlossen hat, ihren eigenen Laden zu eröffnen. In gut zwei Wochen soll ihre Crowdfunding-Kampagne auf Startnext online gehen. Doch egal, ob sie die anvisierten 10 000 Euro am Ende zusammenbekommt: Im Februar eröffnet sie am Marktplatz in Markt Indersdorf ihren Unverpacktladen. Zwischen Idee und Umsetzung liegt dann bei ihr nicht einmal ein ganzes Jahr. Denn wenn nicht jetzt, wann dann? "Das Thema trifft einfach gerade voll den Zeitgeist", findet Schilcher.

"Unverpackt einkaufen ist ein anderes Einkaufen", sagt Schilcher. Man muss sich ein bisschen mehr Zeit nehmen und genauer überlegen, was man braucht - doch genau das gefällt der Jungunternehmerin daran. Sie ist überzeugt, dass es noch mehr Menschen im Landkreis so gehen könnte und Markt Indersdorf ob seiner zentralen Lage genau der richtige Standort für ihren Laden ist. Dass alle ab sofort nur noch bei ihr einkaufen, erwartet sie aber nicht. "Zero Waste ist ein Prozess", sagt Schilcher. Auch sie selbst finde nicht immer die perfekte Lösung, aber darum gehe es ja auch nicht.

Die Krise, die auch das Busunternehmen Simperl hart getroffen hat - viele Wochen standen alle Busse still - hat auch das Ladenprojekt ausgebremst. Weil die Firma von Claudia Simperls Mann Christian die Renovierungsarbeiten übernimmt und zwischenzeitlich unklar war, wann und ob das Unternehmen seinen Betrieb wieder aufnehmen kann, wurden die Bauarbeiten gestoppt. Jetzt, nach dem Lockdown und der langsamen Rückkehr zur Normalität, geht es aber weiter, und wenn alles gut läuft, dann soll der Unverpacktladen namens "Simperl" - das "R" soll im Logo so ein bisschen "rauspurzeln", damit man statt Simperl auch "simpel" lesen könnte - spätestens im März oder April des kommenden Jahres seine Türen öffnen.

Für Simperl und Eisenmann geht es in erster Linie um Plastikvermeidung, an zweiter Stelle steht die Regionalität der Produkte noch vor der Bio-Qualität. Ein Grundsortiment für den täglichen Bedarf soll es geben und auch ein bisschen Obst und Gemüse, aber dem nahegelegenen Gemüseladen wollen sie bewusst keine Konkurrenz machen. Ihren Laden verstehen sie eher als eine "Ergänzung" zu bestehenden Angeboten. Den beiden Frauen geht es darum, "ein Bewusstsein zu schaffen" - jedoch ohne den erhobenen Zeigefinger, wie Eisenmann betont. Verkaufen wollen sie neben Lebensmitteln auch Handwerkskunst von Freundinnen. Da gibt es eine, die näht Brotzeittaschen, eine andere wiederverwendbare Abschmink-Pads. Auch die Tassen von der Keramikkünstlerin Claudia Flach sollen einen Platz im Sortiment finden. Von allem ein bisschen was soll es geben, aber einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben sie nicht. "Wir schauen einfach, was geht", sagt Simperl. Denkbar wäre etwa auch, dass jemand einen großen Laib Käse oder Speck mal aus dem Urlaub mitbringt und der dann verkauft wird, bis nichts mehr da ist. Grundsätzlich vorgesehen ist eine Käse- und Wursttheke aber nicht.

Der Laden in Markt Indersdorf soll "Ohne Schmarrn" heißen. Auch für Schilcher steht der Verzicht an Plastik an erster Stelle. Regional wenn möglich, am besten auch immer bio. Die Produzenten sollen im Idealfall nicht außerhalb von Deutschland sitzen, wobei Österreich eben von Markt Indersdorf aus näher ist als Hamburg. Vorrangig will die junge Frau länger haltbare Lebensmittel verkaufen, aber auch Obst, Gemüse und Molkereiprodukte sollen ins Sortiment. Fleisch und Wurstwaren eher nicht. "Das ist mir zu heikel", sagt Schilcher. Nicht, weil sie selbst strikte Vegetarierin ist, sondern wegen der Verderblichkeit.

Der Unverpacktladen in Dachau soll nicht nur Umschlagplatz, sondern ganz bewusst auch eine "Begegnungsstätte" sein. Sofern die Corona-Beschränkungen es zulassen, können sich die Gründerinnen auch Workshops vorstellen. Zum Beispiel wie man Bienenwachstücher oder Waschmittelselbst herstellen kann. Ein Café, in dem sich Kunden auch jenseits der Workshops austauschen können, ist bereits genehmigt worden, aber vorerst soll es nur eine kleine Sitzecke geben und die Möglichkeit, die Kaffeebohnen vor dem Kauf auch mal zu probieren. Ähnlich stellt sich das auch Schilcher für ihren Laden vor, ein ausgetüfteltes Konzept gibt es aber noch nicht. Ein paar Monate Zeit hat sie ja noch.

Drei Frauen, eine Idee - wird man da nicht automatisch zu Konkurrentinnen? Ganz im Gegenteil, sind sich alle einig. "Wir können viel voneinander lernen", sagt Schilcher. Man habe sich schon per Mail ausgetauscht, und es gebe Überlegungen, bei Großhändlern gemeinsam zu bestellen. Simperl ist sogar überzeugt, dass es noch mehr Platz für Unverpacktläden im Landkreis gebe. "Je mehr Menschen die Idee nach außen tragen, desto besser."

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Quelle:
SZ vom 10.10.2020
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