Süddeutsche Zeitung

Pflegenotstand:Lauter Hilferuf

Mitarbeiter des Helios Amper-Klinikums protestieren gegen die hohe Arbeitsbelastung, Patienten klagen über eine schlechte Versorgung. Die Leitung des Krankenhauses gerät in Bedrängnis - und geht auf Verbesserungsvorschläge der Kommunalpolitik ein

Von Christiane Bracht, Dachau

Während sich Geschäftsführer und Vorstände des Helios Amper-Klinikums Dachau Anfang des Jahres über satte Gewinne freuen - 4,5 Millionen Euro hat die Aktiengesellschaft 2015 erwirtschaftet und einen Umsatz von 100 Millionen Euro - , ist die Stimmung bei den Pflegern auf einem neuen Tiefpunkt angekommen. Schon Ende 2016 klagen sie über starke Überlastung. Doch ihr Stöhnen findet zunächst wenig Resonanz. Die Unzufriedenheit wächst, der Hilferuf wird lauter. Pausenstreik im Februar, Protestkundgebung im Mai. Der Arbeitskampf nimmt Fahrt auf. Zweitägige Arbeitsniederlegung im Oktober, Marsch durch die Dachauer Altstadt, Urabstimmung und schließlich auch die Gründung einer Bürgerinitiative. Die Pfleger lassen sich nicht unterkriegen. Sie gehen hinaus und erzählen aus ihrem Alltag. Es fallen Sätze, die manch einen blass werden lassen, die wach rütteln. Sätze wie: "Wenn ich zwei Notfälle gleichzeitig habe, stirbt einer." Oder: "Es vergeht keine Schicht, in der nicht ein Pfleger heulend nach Hause geht."

Doch der Kampf endet enttäuschend - zumindest vorerst: Statt der immer lauter geforderten Arbeitsentlastung bietet die Klinikleitung mit dem Wechsel vom Haustarif zum Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes im Dezember lediglich mehr Geld. Die Gewerkschaft Verdi feiert das als den großen Wurf, die Kehrtwende in der Krankenhauspolitik der Helios AG. Doch viele Pfleger sind wütend, sie fühlen sich verraten von Verdi. Der Frieden in den wohl intensivsten Tarifverhandlungen der vergangenen Jahre ist noch nicht wieder hergestellt. Im Januar geht es weiter.

Die Klinikleitung, die in vielerlei Hinsicht am längeren Hebel sitzt, ist im Laufe der Verhandlungen in Bedrängnis geraten. Geschäftsführer und Vorstand beschwichtigen Politiker, Ärzte und andere Kritiker, versuchen angeprangerte Mängel kleinzureden und verweisen immer wieder auf den so genannten Sieben-Punkte-Plan, mit dem sie gegen fehlende Sauberkeit und Hygiene vorgehen wollen. Anfangs gelingt es noch zu überzeugen. Doch spätestens mit der Nachricht, dass Geschäftsführer Thomas Eberl im Januar nach nur fünf Monaten die Amper-Kliniken wieder verlassen will, ist das Vertrauen verspielt. Der Vorsitzende des ärztlichen Kreisverbands Dachau Hans-Ulrich Braun ist verärgert, bezeichnet die Versprechungen des Geschäftsführers als "Luftblase" und schlägt sich auf die Seite der Pfleger. Dem Karlsfelder Hausarzt und seinen Kollegen ist es wichtig, dass die Patienten sich in der Dachauer Klinik gut aufgehoben fühlen. Doch viele Patienten klagen über schlechte Behandlung, nicht nur bei ihren Ärzten, sondern zunehmend auch öffentlich im Internet. Obwohl die medizinische Versorgung in den Amper-Kliniken inzwischen einen guten Ruf hat, sagen immer mehr Leute, dass sie nicht mehr dort behandelt werden wollen.

Auch die Politik wird aktiv, spreizt sich ein. Anfangs ist das Engagement der Kreisräte eher verhalten. Landrat Stefan Löwl sieht in den Klagen der Pfleger ein Problem. "Es ist ein Teufelskreis. Wir brauchen Mitarbeiter, aber gleichzeitig wird die Stimmung schlecht gemacht, und das schreckt ab", sagt er und warnt davor, die Klinik schlechtzureden. Doch immer mehr Kreisräte sind erzürnt, sie werfen der Leitung "Unprofessionalität" vor. Geschäftsführer und Vorstand bekommen im Kreisausschuss mächtig Gegenwind zu spüren. Die Kreisräte initiieren einen Beirat und eine Ombudsstelle. Außerdem fordern jetzt auch sie ein Ausfallmanagement und eine Mitgliederbefragung.

Der Streit zwischen Verdi und Geschäftsleitung spitzt sich unterdessen immer weiter zu. Die Fronten verhärten, der Ton wird rauer. Die Darstellung des Personalnotstands klafft weit auseinander: Während der Betriebsrat und Verdi von 70 fehlenden Pflegern sprechen, später sogar von 100, redet Geschäftsführer Thomas Eberl Mitte Oktober lediglich von acht vakanten Stellen, die man nicht nachbesetzen könne, weil man keine Kräfte finde. Langsam sickert auch die Nachricht durch, dass Betten nicht mehr belegt werden können, weil zu wenig Personal da ist. Mitte Oktober sind es laut Eberl 27, Anfang Dezember ist schon von 50 leeren Betten die Rede. Eberl spielt die Sache herunter. Das sei ganz normal, wenn die Klinik nicht voll ausgelastet sei, erklärt er.

Mitte November gründet sich schließlich eine Bürgerinitiative "für bessere Pflege". Sie will die Streikenden unterstützen, ihnen gegen den mächtigen Helios-Konzern den Rücken stärken und so versuchen die Zustände an der Dachauer Klinik zu verbessern. Man plant Flashmobs, entwirft Flugblätter, sammelt Socken zum Zeichen der Solidarität mit den Pflegern, denen der Geschäftsführer gewünscht haben soll, dass sie sich die Füße abfrieren, wenn sie in den Ausstand treten. Unter den Aktiven sind Patienten, einige Pfleger, aber auch Politiker, wie die Linke Renate Schiefer. Auch Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann war bei der Gründung anwesend und versprach Hilfe und ein offenes Ohr.

Die Krankenhausleitung betrachtet dies mit Unbehagen. Trotzdem lässt sie Anfang Dezember noch einmal die Muskeln spielen: Sie klagt gegen einen dreitägigen Streik - mit Erfolg. Die Stimmung bei den Pflegern ist nun "Jetzt erst recht!".

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Quelle:
SZ vom 28.12.2017
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