Pflegenotstand:Klinikmitarbeiter fühlen sich allein gelassen

Der Helios-Betriebsrat um Claus-Dieter Möbs hätte sich gewünscht, dass sich wenigstens ein paar Kreispolitiker den Protesten für mehr Personal am Dachauer Krankenhaus anschließen. Der Pflegenotstand sei alarmierend

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die Neurologie am Helios-Klinikum in Dachau wird vom Unternehmen publizistisch als Vorzeigeprojekt einschließlich der Qualifikation zur Stroke Unit beworben. Auf der Station können also Schlaganfallpatienten schnell behandelt werden, um langfristige Beeinträchtigungen zu verhindern. Alle Pflegekräfte dieser Station haben am Donnerstagmittag am Protest von Betriebsrat und Gewerkschaft Verdi teilgenommen, um für mehr Personal in Dachau, aber auch in ganz Deutschland zu werben. Zum Internationalen Tag der Pflege an diesem Freitag finden in ganz Deutschland ähnliche Aktionen statt.

Die Krankenschwestern erzählen, wie die Arbeitsbelastung auf ihrer Station ausschaut. Diane Flechtner sagt: "Die Patienten brauchen sehr viel Zuwendung." Man müsse sich nur vorstellen, dass einige beispielsweise nach einem Schlaganfall erst wieder lernen müssten, sich selbständig zu waschen. Die Pflegekräfte brauchen also viel Geduld und großes Einfühlungsvermögen.

"Wir können nicht alle Probleme bewältigen"

Bajrahtaraj Etschi stammt aus Albanien und ist deutsche Staatsbürgerin. Die Arbeit, sagt sie, sei überhaupt nur zu leisten, weil das Team eng zusammenrücke. Aber: "Wir können nicht alle Probleme bewältigen." Auch nicht, wenn kurzfristig Hilfe von einer anderen Station kommt. Denn meistens hätten die Kollegen gar nicht die Erfahrung im Umgang mit Patienten auf der Neurologie. Außerdem hätten sie und ihre Kolleginnen ein schlechtes Gewissen, weil die jeweilige Pflegekraft auf ihrer Station dann ausfalle.

Aktive Pause Amperklinik

Die Dachauer Pflegekräfte von Helios beteiligen sich aus eigenem Interesse an der ausstehenden Petition der Gewerkschaft Verdi. Auch ihnen wächst die Arbeit mangels Personal über den Kopf.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Sabine Brack und Diane Flechtner rechnen den für ihre Station nötigen Mindeststandard an Personal vor. Offiziell liegt er bei fünf examinierten Pflegekräften, der um Serviceleute für Reinigung und Essensverteilung ergänzt wird. Das ist die Theorie. Die Realität sieht nach ihrer Darstellung so aus: Am Tag sind maximal - also nicht mindestens - vier Fachkräfte im Einsatz. Der Spätdienst muss mit drei auskommen und der Nachtdienst mit zwei. In diese Zahlen sind als Fachkräfte auch schon Helfer und Auszubildende der Krankenpflegeschule eingerechnet. Und nachts kann es vorkommen, dass eine Schwester die ganze Station versorgen muss. Wegen dieser tatsächlichen Personalsituation in der Neurologie fehle die entscheidende Voraussetzung für eine wirkliche gute, den eigenen Ansprüchen genügende Pflege, sagen Brack und Flechtner: "Wir brauchen Zeit. Wir haben sie nicht."

"Die Gesellschaft ist unser wirklicher Feind"

Nach der Lesart der Geschäftsführung von Helios in Dachau indes ist die Personalsituation relativ gut. Demnach sind zwölf Vollzeitstellen nicht besetzt. Im Juni sollen es noch acht sein. Der Betriebsrat kontert und rechnet 15 Stellen vor. Ganz zu schweigen vom Personalschlüssel, den Helios auf der Grundlage der Deutschen Krankenhausgesellschaft und deren Vorgaben ansetze. Betriebsratsvorsitzender Claus-Dieter Möbs sagt: "Diese Gesellschaft ist unser wirklicher Feind."

Anscheinend merkt die Politik, dass die Personalschlüssel an Kliniken verändert werden müssen. Zur bundesweiten Kampagne der Gewerkschaft Verdi teilt die Bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) mit: "Für gute Arbeitsbedingungen sind in erster Linie Arbeitgeber und Gewerkschaften verantwortlich. Klar ist allerdings auch: Wir brauchen mehr gesellschaftliche Anerkennung für den Pflegeberuf. Denn Pflege ist sehr viel mehr als Händchenhalten." Deshalb dränge sie "auf eine weitere Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege".

Die Kreisräte kommen nicht

Eine solche politische Unterstützung vermisst der Helios-Betriebsratsvorsitzende Claus-Dieter Möbs auf lokaler Ebene. "Wo", fragt er, "sind die Kreispolitiker?" Und damit die Mandatsträger, die als politische Vertreter des Landkreises per Gesetz für die kommunale medizinische Versorgung zuständig und verantwortlich sind. Außerdem hält der Landkreis noch 5,1 Prozent der Anteile an der Helios Amperklinikum Dachau AG, zu der auch das Klinikum mit dem Schwerpunkt Geriatrie in Markt Indersdorf gehört. Am Donnerstagmittag war vor dem Eingang des Dachauer Klinikums keiner der Kreisräte zu sehen. Möbs moniert auch die Abwesenheit von Landrat Stefan Löwl (CSU). Und er wundert sich darüber. Anscheinend sei weder Löwl noch dem Kreistag klar, dass das Klinikum mit dem gemeinnützigen Franziskuswerk in Schönbrunn der zahlenmäßig größte Arbeitgeber des Landkreises sei.

Aktive Pause Amperklinik

Sabine Brack fordert mehr examinierte Pflegekräfte für Helios.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Beschwerde von Möbs lässt mehrere Deutungen zu. Sie kann als Wunsch verstanden werden, als dringlicher Hinweis, aber auch als klare Drohung: Der Kreistag dürfe die Zahlen und Daten von Helios nicht einfach hinnehmen, sondern müsse sie überprüfen, sagt Möbs. Schon die Grundlagen der Kalkulationen seien fragwürdig. Deshalb fordert er den Kreistag auf, dass Helios-Geschäftsführer Christoph Engelbrecht dem Gremium die Ergebnisse seines Sieben-Punkte-Plans zur Verbesserung der Pflege darlegen soll. Landrat Löwl habe ihn, Möbs, dazu befragt. Er müsse sagen, dass nichts Durchgreifendes gelungen sei. "Ich sehe nur Ansätze zur Veränderung."

Außerdem wundert er sich, dass der Landkreis die Geschäftspolitik von Helios schweigend hinnehme. Dann fährt er vielsagend fort: "Wenn wir hier im Klinikum eine ordentliche Arbeit machen wollen, also in einem Unternehmen, in dem viele potenzielle Wähler da sind, wird sich die Haltung des Kreistags mit Sicherheit in den Ergebnissen der nächsten Kommunalwahlen niederschlagen." Auf die Frage, was ihn in der Einschätzung so sicher mache, sagt Möbs: "Sie entspricht der Haltung der Mitarbeiter, die ich erlebe."

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