Pflegenoten:Zeugnis ungenügend

Fast alle 13 Pflegeheime im Landkreis werden mit "sehr gut" bewertet - selbst jene mit offenkundigen Mängeln. Nun wird das System reformiert. Experten sprechen von einem "Schritt in die richtige Richtung".

Von Benjamin Emonts

Reform der Pflegeversicherung

"Wären die Heime so gut wie ihre Noten, dürfte nicht so viel passieren", sagt Charlotte Köhler vom Seniorenbeirat.

(Foto: dpa)

Im November 2011 verdurstet eine 83-jährige demenzkranke Frau im Ebersbacher Pflegeheim Pro Seniore. Der Einrichtung gab der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) drei Monate später trotzdem die Note 1,2. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Schwächen des Pflegenotensystems. Eine gute Note heißt noch lange nicht, dass ein Heim keine gravierenden Mängel hat. Und wirft man einen Blick auf die Noten der 13 Pflegeheime im Landkreis, fällt auf: Es steht fast überall eine Eins vor dem Komma.

"Wären die Heime so gut wie ihre Noten, dürfte nicht so viel passieren. Die Benotung ist katastrophal", sagt die Vorsitzende des Seniorenbeirats, Charlotte Köhler. Das hat mittlerweile auch der MDK eingesehen. Vom 1. Januar 2014 an will er die Heime strenger bewerten. Trotzdem halten Experten die Änderungen im Benotungssystem weiterhin für ungenügend. Einmal jährlich besuchen drei Mitarbeiter des MDK die Pflegeheime und überprüfen sie auf einen Katalog von 64 Kriterien in vier Bereichen. Dabei vergeben die Prüfer für jedes Kriterium von der Flüssigkeitsversorgung bis zur Lesbarkeit des Speiseplans eine Note - wobei alle Noten gleich schwer wiegen. So errechnet sich die Gesamtnote eines Pflegeheims aus der Summe aller Einzelnoten dividiert durch ihre Anzahl.

"Die Note täuscht den Verbraucher, sie ist Augenwischerei", sagt Wolfgang Gartenlöhner, der die Heimaufsicht des Dachauer Landratsamtes leitet. "Wer im Hauptfach Pflege eine schlechte Note erhält, kann diese durch eine gute Note in einem Nebenfach ganz einfach ausgleichen." Wie der MDK kontrolliert auch die Heimaufsicht die Pflegeheime einmal im Jahr. "Die meisten Einrichtungen liegen im guten Durchschnitt. Ein Heim, das die Note Sehr gut verdient, haben wir allerdings nicht." Gartenlöhner glaubt den Grund zu kennen: "Für die Heime ist es heute sehr schwierig, gutes Personal zu bekommen. Darunter leidet die Qualität."

Das Landratsamt darf seine Berichte bislang übrigens nicht veröffentlichen, so sieht es eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor. "Viele Einrichtungen, die nicht gut bewertet wurden, haben einer Veröffentlichung nicht zugestimmt", sagt Gartenlöhner. Gegen die MDK-Berichte können die Pflegeheim hingegen nichts machen. Warum auch? Sie fallen anscheinend ja ohnehin durchweg positiv aus - sofern man sie nicht zu lesen weiß. Gartenlöhner sagt: "Bei einer 1,3 gehen bei mir schon die Alarmlichter an."

Die Noten, die der MDK vergibt, täuschen über die wahre Qualität der Pflegeheime hinweg. Selbst Holger Dressel, der Leiter des "Ressorts Grundsatzfragen Pflege" des MDK, spricht von einem "Grundproblem". Dressel: "Das Bewertungssystem wird zwischen den Krankenkassen und den Pflegeheimen verhandelt. Wir setzen nur um, was uns vorgegeben wird." Das heißt: Die Pflegeheime entscheiden selbst darüber, wie sie bewertet werden wollen. Für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen, die den Noten Glauben schenken, ist das irreführend.

Inzwischen haben auch Krankenkassen, Pflegeheime und MDK eingesehen, dass das Benotungssystem dringend einer Überholung bedarf. Von 1. Januar 2014 an sollen zumindest ein paar Neuregelungen zu einer strengeren Bewertung führen. So sollen etwa besonders wichtige Noten optisch hervorgehoben werden (Dressel: "Die Note im Bereich Pflege ist die wichtigste.") oder aus jeder der drei Pflegestufen neuerdings drei Heimbewohner beobachtet werden - auch in kleinen Heimen, wo bislang nur fünf Personen herangezogen wurden. Derzeit werden nur zehn Prozent der Heimbewohner stichprobenartig kontrolliert, im schlechtesten Fall sind alle aus der selben Pflegestufe. Außerdem, sagt Holger Dressel, "wollen wir künftig intensivere Gespräche mit dem Fachpersonal führen". Dressel räumt ein, dass die Neuerungen lediglich "ein Schritt in die richtige Richtung und noch lange nicht das Ende" seien. Der Notenkatalog bilde längst nicht die ganze Wirklichkeit ab, auch was die Lebensqualität in einem Heim betrifft. Er rät, sich ein Pflegeheim immer selbst anzuschauen.

Charlotte Köhler vom Seniorenbeirat glaubt der Benotung durch den MDK ohnehin nicht. "Es wird nur die Dokumentation, nicht die Pflege direkt am Menschen kontrolliert", beklagt Köhler. Sie habe den Eindruck, dass es beim MDK viele gebe, die gar keine Ahnung haben.

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