Süddeutsche Zeitung

Schutzmaßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus:Die Schwächsten bleiben verwundbar

Mit rigiden Sicherheitsvorkehrungen versuchen die Pflegeheime im Landkreis, ihre Bewohner vor dem Coronavirus zu schützen. Der aktuelle Fall im Dachauer Friedrich-Meinzolt-Heim zeigt allerdings, dass dies nur begrenzt möglich ist

Von Julia Putzger, Dachau

Es ist ruhig geworden in den Senioren- und Pflegeheimen Deutschlands. Besuche sind nur noch in Ausnahmefällen gestattet. Warum das so wichtig ist, führt die Meldung aus einem Würzburger Seniorenheim drastisch vor Augen: Dort sind bereits neun Bewohner an den Folgen einer Infektion mit dem Coronavirus gestorben. Das ist gut ein Drittel aller bis Montagabend registrierten bayerischen Corona-Todesfälle. Nachdem bekannt wurde, dass eine Pflegerin eines Dachauer Altenheim sich mit dem Coronavirus infiziert hat, ist es auch hier vorbei mit der Ruhe.

Konkret geht es um eine 24-jährige Pflegehelferin, die im Friedrich-Meinzolt-Haus, einem evangelischen Alten- und Pflegeheim in Dachau Ost, arbeitet. Nach einem Verdachtsfall in ihrem Bekanntenkreis wurde die Mitarbeiterin routinemäßig getestet. Da sie keinerlei Krankheitssymptome zeigte, war sie bis zum Bekanntwerden des Testergebnisses am vergangenen Donnerstag weiterhin im Dienst. Neun Mitarbeiter, zu denen die Infizierte Kontakt hatte, sowie alle 23 Bewohner der Station, für welche die Pflegehelferin zuständig war, wurden vorsorglich getestet. Keiner der Getesteten zeigte Symptome der Krankheit. Die Kolleginnen und Kollegen der infizierten Pflegekraft haben sich nach den Tests offenbar nicht angesteckt, trotzdem werden die Kontaktpersonen im Friedrich-Meinzolt-Haus weiterhin im Turnus von drei Tagen getestet.

Für die betroffene Station gelten seit Bekanntwerden des Falls strenge Vorschriften: Am Eingang der Station wurde eine Schleuse eingerichtet, die Bewohner dürfen ihre Zimmer bis auf weiteres nicht mehr verlassen und nur die zur Versorgung notwendigen Kontakte haben. Die Pflegekräfte dieser Station arbeiten mit Schutzmasken sowie geeigneter Schutzkleidung und dürfen nicht stationsübergreifend eingesetzt werden. Für alle anderen Bewohner des Heims gilt: Sie sollten ihre Zimmer nicht verlassen. Gerade bei dementen Personen sei das aber kaum umsetzbar, wie Dirk Spohd, Geschäftsführer der Hilfe im Alter, erklärt. Das Besuchsrecht im Friedrich-Meinzolt-Haus ist stark eingeschränkt, denn schon bevor die bayerische Staatsregierung ein Besuchsverbot in Pflegeheimen ausgesprochen hatte, entschieden sich die Verantwortlichen für diese Restriktion. Einsamkeit sei dennoch derzeit kein Problem für die Heimbewohner, da es zahlreiche kreative Ideen gäbe, um mit Angehörigen in Kontakt zu bleiben, sagt Spohd. "Die Telefone stehen nicht still." Auch Videotelefonie sei beliebt.

In anderen Pflegeeinrichtungen im Landkreis sieht dies ähnlich aus. Astrid Ziller, Leiterin des BRK-Altenwohnen in Altomünster, erzählt, dass die Bewohner derzeit noch relativ ruhig seien, sich aber durchaus Sorgen machten und die Besuche ihrer Angehörigen vermissten. Dinge, die sonst die Besucher vorbeibringen - "von der Batterie fürs Hörgerät bis zur Tafel Schokolade" - versuche man zur Verfügung zu stellen. "Es fällt aber auch vielen Angehörigen schwer, manche kommen ja sonst mehrmals pro Tag oder Woche hier vorbei." Von "einem großen Einschnitt" spricht auch Monika Ueltzhöffer, Leiterin des Caritas Altenheims Sankt Josef in Karlsfeld. Zwar versuchten die Pflegemitarbeiter vieles aufzufangen, indem sie selbst mit den Angehörigen in engem Kontakt stünden oder den Bewohnern beim Anrufen helfen. Doch nicht für alle sei das möglich, da sie mit einem Telefonat oder einem Gespräch mit Videoübertragung schlichtweg überfordert seien. "Für einzelne ist das wirklich hart", sagt Ueltzhöffer deshalb. Der physische Kontakt fehle.

Doch nicht nur die fehlenden Besuche verändern den Alltag in den Seniorenheimen. Im Pflegeheim Wollomoos wurde das gesamte Pflegekonzept zugunsten eines Notfallplans umgestellt, wie Geschäftsführerin Nina Fuchs berichtet. Normalerweise gebe es keine geschlossenen Stationen, zudem würden sich die Dienste von Früh- und Spätschicht überlappen. Das sei angesichts der derzeitigen Lage aber nicht möglich. Stattdessen gebe es nun eine scharfe Separierung des Teams in zwei Gruppen, eine persönliche Übergabe finde nicht statt. Auch einzelne Bereiche des Heims, wie Innenhöfe und Terrassen, seien nun strikt getrennt. "Zum Glück haben wir so viel Platz, um das Ganze zu entzerren", sagt Fuchs. Man versuche, wie auch in anderen Einrichtungen, den Alltag der Patienten möglichst so wie vorher auch zu gestalten. Trotzdem schildert die Geschäftsführerin betrübt: "Das richtet sich genau gegen unser Pflegekonzept, da geht die ganze Quali-tät verloren." Vier Mitarbeiter ihrer Einrichtung wurden bisher auf das Virus getestet, die Ergebnisse waren stets negativ. "Sonst wird es eng", gibt Fuchs zu. Andere Einrichtungen, wie etwa das Friedrich-Meinzolt-Haus oder das Sankt-Josef-Altenheim in Karlsfeld, befürchten vorerst keinen Personalmangel. Sie sind jeweils Teil größerer Träger und könnten sich notfalls innerhalb der Organisation aushelfen.

Ein wesentlich größeres Problem sehen Geschäftsführerin Fuchs aus Wollomoos und auch Dirk Spohd aber in der Versorgung mit Schutzausrüstung. "Wenn sich die Lage in den nächsten fünf bis zehn Tagen nicht signifikant ändert, haben wir nicht mehr genug Ausrüstung. Das bedeutet, dass wir unsere Patienten entweder nicht mehr versorgen können oder aber unsere Mitarbeiter gefährden müssen", erklärt Spohd aufgebracht. Dieses Nadelöhr sei eine Katastrophe, die Regierung müsse zeitnah handeln. Fuchs schildert dasselbe Problem und sagt: "Notfalls bastle ich nachts selber Mundschutze aus alten BHs."

Dass es auch in Friedrich-Meinzolt-Haus in Dachau oder in anderen Seniorenheimen im Landkreis zu einer ähnlichen Situation wie in Würzburg kommt, können die Verantwortlichen nicht ausschließen. "Wir hoffen natürlich, dass das an uns vorbeigeht", sagt beispielsweise Nina Fuchs vom Pflegeheim Wollomoos. Vollends kontrollieren oder gar ausschließen könne man eine Infektion aber nie. Das betont auch Spohd: "Wer das nicht verstanden hat, hat nichts verstanden." Denn da die Mitarbeiter nach Dienstende nach Hause zu ihren Familien oder auch zum Einkaufen gingen, könnten sie sich mit dem Coronavirus infizieren, erklärt Astrid Ziller vom BRK-Seniorenwohnen in Altomünster. Fuchs stimmt dem zu: "Unsere größte Sorge sind die Partner von Mitarbeitern, die noch arbeiten."

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Quelle:
SZ vom 24.03.2020
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