Süddeutsche Zeitung

Bürgerworkshop in Petershausen:Vom Protest zur konstruktiven Kritik

Der Bürgerworkshop zum umstrittenen Projekt "Rosenstraße" stößt auf großes Interesse. Sechs Stunden lang diskutieren Bürger mit Planern und Politikern.

Von Petra Schafflik, Petershausen

Am Samstagnachmittag erfüllt Stimmengewirr die Halle, trotz des schönen Herbstwetters sind mehrere hundert Petershausener gekommen. Stellwände, dicht an dicht mit bunten Stichwort-Karten belegt, trennen die Diskussionsgruppen. Das städtebauliche Konzept "Rosenstraße" hat nach einer ersten öffentlichen Präsentation Ende 2018 viele überzeugt, aber gerade bei Anwohnern auch Sorgen ausgelöst. Im Gemeinderat befürworten Freie Wähler und SPD den Entwurf, während die CSU-Fraktion eine weniger dichte Bebauung favorisiert.

Nun also sind die Bürger gefragt. Gemeinsam mit Fachplanern, Mitarbeitern der Gemeindeverwaltung und Gemeinderäten diskutieren und argumentieren sie vor Plänen, Karten und Gutachten; Moderatoren des Stuttgarter Fachbüros Pro-Re sorgen dafür, dass alle Argumente dokumentiert und Ergebnisse festgehalten werden.

"Voraussetzung müsste die Umgehungsstraße sein"

Am Thementisch Städtebau geht es darum, ob und wo im neuen Viertel Gebäude mit vier Etagen gebaut werden sollen. Häuser in dieser Höhe wären kein Novum in Petershausen und im neuen Wohnviertel zumindest entlang der Bahnlinie aus Sicht der Planer für den Schallschutz unumgänglich. Das sehen auch die kritischen Anwohner ein. Doch mit dem Gedanken, dass auch direkt in ihrer Nachbarschaft so hohe Gebäude entstehen, können sie sich nicht anfreunden. Architekt Oliver Lambrecht vom Tübinger Büro Eble Messerschmidt legt Transparentpapier über den großformatigen Plan und trägt mit rotem Filzstift korrigierende Linien ein. Dort, wo Neubauten direkt an bestehende Wohnviertel grenzen, könnte die vierte Etage zurückgesetzt werden, so dass die Neubauten weniger wuchtig wirken. Nicht alle in der Arbeitsgruppe wollen den Kompromiss spontan gutheißen. "Mir fehlt eine Visualisierung", sagt eine junge Frau. Schließlich wird abgestimmt, eine klare Mehrheit könnte die Lösung mittragen. "Nur ein Meinungsbild", betont Moderatorin Yasmine Weißhaar. Eine Visualisierung verspricht Planer Lambrecht den Bürgern noch vorzustellen. Eine erste Vorstellung können Passanten an der Fassade des Schulhaus-Anbaus gewinnen. Dort hat Rathauschef Fath (Freie Wähler), das wird er später im Plenum berichten, Höhenlinien von drei und vier Etagen mit Leuchtfarbe aufgesprayt.

Derweil geht es am Thementisch Verkehr um die für viele Petershausener wichtige Frage, über welche Straßen die Neubürger ins Wohnviertel gelangen sollen. Vier Varianten hat ein Verkehrsgutachten entwickelt. "Egal wie - die Marbacherstraße wird immer mehr belastet", sagt eine Anwohnerin. "Voraussetzung müsste die Umgehungsstraße sein, dann sähe vieles weniger gravierend aus", sagt Wolfgang Zimmerhackl. Am Ende entscheiden sich die Diskutanten für eine Variante, die die Belastungen möglichst gleichmäßig verteilt und Durchgangsverkehr nicht zulässt.

In Zukunft, so Fath, "wollen wir besser kommunizieren"

Weniger hitzig diskutiert wird die Freiraumgestaltung, die sich die Bürger mit Wasserflächen und großzügiger Bepflanzung wünschen. Konkrete Anregungen sammelte die Arbeitsgruppe Nachhaltigkeit und Energie unter den Stichworten: Photovoltaik, Solarthermie, begrünte Dächer, heimische Sträucher und Bäume, Massivholzbau, Passivhaus. Auch zur Nutzung der Gebäude gibt es zahlreiche Ideen. Ärztehaus, Gastronomie, Hofladen, Gemeinschaftsräume, genossenschaftliche Baumodelle und ein Mobilitätskonzept stehen auf der Wunschliste.

Welch wichtigen Beitrag die Planungswerkstatt abseits konkreter Vorschläge für den Planungsprozess und die Kommunikation in der Bürgerschaft leistet, machen die persönlichen Statements im abschließendem Plenum deutlich. Als Anwohnerin habe sie sich Sorgen gemacht über die Verkehrserschließung und deshalb im Frühjahr die Unterschriftenliste gezeichnet, erklärte Brigitte Burger. Inzwischen würden mit dem Dokument aber Ziele verfolgt, die sie nicht teile. "Ich bin nicht gegen das Bauprojekt und nicht gegen viergeschossigen Wohnbau", sagt Burger, die für ihre Stellungnahme Applaus erhält. Informationen zur schwierigen Frage der Entwässerung hat Anwohner Rolf Schwerdtfeger lange vermisst. Jetzt seien seine Fragen beantwortet, aber eine frühzeitige Beteiligung der Bürger "hätte Spekulationen verhindert, Befürchtungen und Ängste vermieden". Und Monika Friedl, Mit-Initiatorin einer kritischen Unterschriftenaktion, hat zwar zum Auftakt der Bürgerwerkstatt noch einmal Unterschriften nachgereicht, lobt aber im Gespräch mit der SZ die Veranstaltung als konstruktiv: "Wir sind dankbar, dass wir uns einbringen konnten." Viele Ergebnisse finde sie "sehr gut", nur viergeschossige Bauten gegenüber den bestehenden Einfamilienhäusern, die gefallen ihr auch mit zurückgesetztem vierten Stock nicht. "Da werden wir dranbleiben."

Dranbleiben wird auch die Gemeinde: Alle Ergebnisse der Planungswerkstatt werden dokumentiert und im Januar im Gemeinderat vorgestellt. Dann möchte Rathauschef Marcel Fath das städtebauliche Konzept schnell abschließen und die Bauleitplanung starten. "2023 könnten die ersten Häuser gebaut werden." Auf dem Weg dahin will der Bürgermeister nun die Petershausener enger einbinden; diese Kritik der Teilnehmer hat er aufgenommen. Die Bürger tragen sich auch zahlreich in Listen ein, um künftig per E-Mail Informationen zu erhalten. In Zukunft, so Fath, "wollen wir besser kommunizieren".

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Quelle:
SZ vom 28.10.2019
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