Offener Brief:"Wir sollten Verständnis aufbringen"

Naturschützer, Künstler und Historiker suchen nach einer Verständigung mit dem Dachauer Landrat

Wie würde es einem Deutschen ergehen, wenn er etwa in Syrien oder Eritrea oder Afghanistan oder Pakistan um Asyl nachsuchen würde, weil er, um sein Leben zu retten, flüchtete? Mit dieser ungewöhnliche Frage wollen die 18 Unterzeichner eines offenen Briefs an Landrat Stefan Löwl (CSU) einen Perspektivwechsel einleiten. In der von ihm angestoßenen Debatte um Sanktionen gegen Flüchtlinge, die sich Gemeinschaftsarbeiten verweigern, hoffen sie auf ein Einsehen. Und sie haben Argumente: Hunderte von Bürgern kümmern sich im Landkreis um die Flüchtlinge. Sie kennen ihre Hoffnungen, ihre Angst, sind den Not leidenden Menschen am nächsten, und wissen, worüber sie sprechen.

Die 18 Unterzeichner, Vertreter von Helferkreisen und prominente Dachauer wie der Historiker Jürgen Zarusky vom Institut für Zeitgeschichte in München oder der Bund Naturschutz-Vorsitzende Peter Heller, auch der Grünen- Kreisrat Achim Liebl und die Grünen-Kreisrätin Marese Hoffmann sowie die Künstlerin Annekathrin Norrmann, sehen durchaus die Probleme. In jeder Gemeinschaft (Familie, Wohngemeinschaft, Schulklasse, Sportmannschaft, Gemeinde, Staat) müsse es ein Geben und Nehmen geben. Allerdings ist dies stets vor dem Hintergrund der individuellen Befähigungen und der jeweiligen Lebenssituation der Menschen in der Gemeinschaft zu betrachten, wie sie argumentieren.

Die Flüchtlinge kommen aus unterschiedlichsten Lebenssituationen. Aber eines ist ihnen gemeinsam: Sie haben alle Zelte in ihrer Heimat abgebrochen, weil dort ihr Leben existenziell bedroht ist. Die deutsche Kultur ist ihnen fremd (angefangen von Pünktlichkeit und deutscher Ordnung), sie sprechen bisweilen nicht einmal Englisch (geschweige denn Deutsch), um sich verständigen zu können. Und dann finden sie sich nach einer wahren Odyssee mit teilweise weiter (oder wieder) lebensbedrohlichen Situationen in Unterkünften wieder, in denen sie keinerlei Privatsphäre haben. Zu Beginn dürfen sie hier nicht arbeiten, das heißt, sie sind den ganzen Tag zum Nichtstun verurteilt.

Aus diesen Gründen schließen die Schreiber des offenen Briefes: "Wir können nicht erwarten, dass sie sich von Tag eins an naht- und reibungslos in ein komplett neues Gesellschaftssystem... und all seinen Regeln einfügen. Dies erfordert in der Bevölkerung sowie bei den Mitarbeitern im Landratsamt auch einen Perspektivwechsel, denn die kulturellen Unterschiede sind zum Teil immens. Aber: Wir sollten also Verständnis dafür aufbringen, dass...viele Flüchtlinge erst einmal in eine abgrundtiefe Apathie...oder persönliche Krise geraten."

So groß scheint das Problem, über das nun in Dachau eine heftige Diskussion geführt wird, gar nicht zu sein. Landrat Löwl selbst schätzt den Kreis der Mitwirkenden in den Flüchtlingsunterkünften auf 75 Prozent und mehr ein, wie er sagte. "Schließlich wird bei einem alten Menschen, der verwahrlost und seine Wohnung vermüllen lässt, auch nicht an Rentenkürzung gedacht, und auch der unsauberen Studenten-WG wird nicht das Bafög gekürzt", schreiben die Gegner von Sanktionen.

Landrat Löwl fühlt sich verpflichtet, für einen reibungslosen Ablauf in den Unterkünften zu sorgen. Das ist seine Aufgabe. In einem Punkt liegt er mit seinen Gegnern gar nicht so weit auseinander: Ein gutes Zusammenleben bildet eine gute Grundlage für die spätere - gleichberechtigte -Integration in unsere Gesellschaft, schreiben die Verfasser des offenen Briefes. Nur verlangen sie Geduld und Verständnis: Die Beteiligten würden schließlich allen Orientierung geben.

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