Öffentlicher Nahverkehr:Landkreis hält an 365-Euro-Ticket fest

Weil die Corona-Krise die kommunalen Kassen belastet, will der Starnberger Landrat die Einführung der Schüler- und Auszubildendenfahrkarte verschieben. Der Dachauer Kreistag dagegen will keinen Rückzieher machen

Von Jacqueline Lang, Dachau

Das Vorhaben, ein 365-Euro-Ticket für Schüler und Auszubildende einzuführen, wird vom Landkreis Dachau, wie auch von allen anderen sieben Landkreisen um München herum, grundsätzlich unterstützt. Ende März hatte sich der Starnberger Landrat Karl Roth (CSU) dennoch gegen die Umsetzung ausgesprochen. Die Begründung: Er fürchte in der jetzigen Situation zu große finanzielle Belastungen für die Kommunen. In Folge der Coronakrise rechnet der Kommunalpolitiker mit starken wirtschaftlichen Einbrüchen und sinkenden Einnahmen. Seinem Vorschlag, das Vorhaben deshalb vorerst zu verschieben, stimmten fast alle Kreistagsfraktionen zu. Diese Entscheidung hat auch direkte Folgen für den Landkreis Dachau. Denn wenn nur ein Landkreis sich gegen das günstige MVV-Ticket entscheidet, fällt die Einführung aus, die bereits für August dieses Jahres geplant gewesen ist.

Landrat Stefan Löwl (CSU) erklärte in der jüngsten Sitzung des Dachauer Kreistags, dass es an Dachau "nicht scheitern" werde. Sollte der Landkreis Starnberg wider Erwarten also doch noch zustimmen, würde auch der Landkreis Dachau sich "nicht verweigern". Löwl betonte zwar, dass er die Bedenken von Roth, was die finanzielle Lage betreffe, durchaus teile, er aber so kurz vor der "Ziellinie" keinen Rückzieher bei einem so richtungsweisenden Projekt machen wolle. Dafür hat sich auch der Dachauer Kreistag einstimmig ausgesprochen. Die Starnberger indes wollen ihre Entscheidung erst in der nächsten Kreistagssitzung Ende April fällen. Bis dahin will sich Landrat Roth erkundigen, wie die Einschätzung beim Freistaat und den anderen Verbundpartnern in der jetzigen Lage ist.

Die Kosten für das Ticket würde zu zwei Dritteln der Freistaat übernehmen, auf den Landkreis Dachau kommen voraussichtlich Mehrkosten in Höhe von etwa 100 000 Euro zu. Im gesamten MVV-Bereich können 360 000 Schüler und Auszubildende von dem neuen Ticket profitieren, das rund um die Uhr gilt. Eine Altersgrenze für das 365-Euro-Ticket soll es nicht geben. Doch für Studierende kommt das Ticket vorerst nicht - zumindest bis der Vertrag des MVV mit dem Studentenwerk über das Semesterticket im Jahr 2022 ausläuft. Bislang zahlen Studierende zusätzlich zum Solidarbeitrag von 67,40 Euro pro Semester 195,70 Euro für ihre ein halbes Jahr gültige Fahrkarte.

Der 19-jährige Berkay Kengeroglu wird im Mai für die SPD als jüngstes Mitglied in den neu gewählten Dachauer Stadtrat einziehen. Die Gestaltung des öffentlichen Nahverkehrs war auch in seinem persönlichen Wahlprogramm ein großes Thema. Perspektivisch fordert er ein 365-Euro-Ticket für alle, irgendwann sogar einen komplett kostenfreien ÖPNV für alle. Das kostengünstige Ticket für Schüler und Studenten ist deshalb aus Kengeroglus Sicht eine "erste Maßnahme in der Maßnahmenkette". Dass er selbst als Jurastudent, der regelmäßig mit S- und U-Bahn nach München an die LMU pendelt, vorerst nicht davon profitieren wird, stört ihn nicht allzu sehr, weil er aktuell mit dem Studententicket mit knapp 400 Euro im Jahr nur unwesentlich mehr zahlt. Ob er wohl lange genug studieren wird, um die Einführung des 365-Euro-Tickets noch zu erleben? "Das könnte sogar klappen", gibt sich der junge Politiker optimistisch.

Bestürzt zeigt sich indes der Landesschülerrat in Bayern. In einem offenen Brief appellieren die Vertreter der insgesamt 1,6 Millionen bayerischen Schüler an den Starnberger Landrat Roth, an dem Vorhaben festzuhalten. "Unserer Meinung nach ist das 365-Euro-Ticket, bei welchem zwei Drittel der entstehenden Mehrkosten durch den Freistaat Bayern getragen werden, definitiv die falsche Stelle, um Geld zu sparen", heißt es in dem Brief. Durch die Coronakrise sei die finanzielle Lage vieler Familien noch angespannter, als es im Vorfeld der Fall sei, gerade sie müssten durch die Einführung des Tickets entlastet werden, fordern die Schülervertreter.

Der Starnberger Landrat Karl Roth möchte die Einführung des Tickets nach eigenen Angaben nur verschieben, nicht gänzlich in Frage stellen. Kengeroglu ist "kein Fan von verschieben", wie er sagt. Wenn man einmal damit anfange, dann werde immer wieder weiter nach hinten verschoben, so seine Befürchtung. "Je früher das Projekt umgesetzt wird, umso besser", meint er und plädiert dafür, sehr genau zu prüfen, ob und wie sehr der Haushalt dadurch wirklich belastet werde. Ihm sei natürlich klar, dass in dieser "außergewöhnliche Sondersituation" Abstriche gemacht werden müssten, aber vielleicht nicht zwangsläufig im Bereich Nahverkehr.

Auch Ludwig Gasteiger fände es "sehr schade", wenn das 365-Euro-Ticket für Schüler und Azubis nun doch nicht im August eingeführt werden würde. Er habe sich, so der Geschäftsführer des Dachauer Kreisjugendrings, bereits an Landrat Stefan Löwl gewandt, mit der Bitte sich für das Projekt weiter einzusetzen. "An der Nachhaltigkeit zu sparen wäre das falsche Signal." Nur weil durch die mediale Berichterstattung gerade der Eindruck entstehe, dass es kein anderes Thema als die Corona-Krise gebe, würden andere Themen wie Nachhaltigkeit "nicht verschwinden", sagt Gasteiger. Die Politik dürfe auch in Krisenzeiten nicht die langfristige Perspektive aus den Augen verlieren. Zudem ist er überzeugt, dass Folgekosten auf den Landkreis zukommen werden, "wenn wir das nicht gelöst bekommen". Ein höheres Verkehrsaufkommen sei nämlich unumgänglich, fraglich sei nur, ob im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs oder auf den bereits jetzt überfüllten Straßen.

Gasteiger regt deshalb sogar an, darüber nachzudenken, wie das Ticket auch ohne den Landkreis Starnberg umgesetzt werden könnte. Kengeroglu sieht das zwar kritisch, weil man im gesamten Tarifverbund nicht einfach "einen Klecks auf der Karte" ausklammern könne, aber auch er ist überzeugt, dass das Thema ÖPNV nach der Krise ein wichtiges Thema bleibt. Im Dachauer Kreistag waren Befürchtungen laut geworden, die Menschen könnten durch die Krise in Zukunft weniger gewillt sein, auf den öffentlichen Nahverkehr umzusteigen. Gasteiger, der für die Grünen im Kreistag sitzt, glaubt vielmehr, dass das Angebot attraktiver und die Kapazitäten ausgebaut werden müssten, damit die Menschen Abstand halten können - und ja, vielleicht müsse man zukünftig eben auch mehr auf die Hygiene in Bus und Bahn achten. Nun gilt allerdings erst einmal die endgültig Entscheidung des Starnberger Kreistags abzuwarten.

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