Süddeutsche Zeitung

Odelzhausen/München:Aus eigener Kraft

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Kurz vor dem Abflug zu den Paralympics in Rio stellt Handicap-Radsportler Michael Teuber seine Autobiografie vor

Von Renate Zauscher, Odelzhausen/München

"Ich bin in der Form meines Lebens." Das erklärt der vierfache Paralympics-Sieger und 18-fache Weltmeister im Paracycling, Michael Teuber, kurz vor dem Abflug zu den Paralympischen Spielen in Rio. Nach 19 000 Trainingskilometern in den vergangenen zwölf Monaten und zuletzt einem fünfwöchigen Höhentraining fühle er sich so leistungsstark wie nie zuvor, sagt der Radsportler, "besser als 2014, 2008 oder 2004".

Michael Teubers optimistische Selbsteinschätzung findet sich in der Autobiografie, die er zusammen mit Co-Autor Thilo Komma-Pöllath geschrieben hat, und ähnlich zuversichtlich äußert er sich auch bei der Präsentation des im Verlag Edel erschienenen Buches in München. "Aus eigener Kraft" hat Teuber seine Autobiografie überschrieben: ein Titel, "der mich gut charakterisiert", sagt der in Odelzhausen lebende Spitzensportler.

Seit einem schweren Autounfall im Jahr 1987 ist Michael Teuber inkomplett, aber irreversibel querschnittsgelähmt. Ärzte und Therapeuten versuchten nach Unfall und mehreren Operationen, ihn auf ein Leben im Rollstuhl vorzubereiten, ein Verdikt, das Teuber so jedoch nicht akzeptieren wollte. Nach dem ersten Schock kämpfte er sich mit unglaublichem Mut, Disziplin und Zuversicht in ein selbstbestimmtes Leben zurück: ein Leben, das nur wenige Jahre später in eine Karriere als höchst erfolgreicher Leistungssportler mündete und das seither, Teubers eigenen Worten nach, von einem "quasierotischen Verhältnis zur Maximalleistung" bestimmt ist. In seiner Autobiografie geht Michael Teuber zunächst auf das Unfallgeschehen und seine Folgen ein und schildert dabei sehr offen seine Gefühle und auch die körperlichen Begleiterscheinungen seiner Versehrtheit. Sich aufgeben aber wollte Teuber nie: eine Haltung, in der er von seiner Familie, den Eltern und später auch von Frau und Tochter, bestärkt wurde. Immer wieder habe er sich gesagt, "Michi, es geht noch ein Stück weiter".

An dieser Devise hält Teuber auch dann noch fest, als er nach einem schweren Sturz vom Rad und einem Trümmerbruch des rechten Oberschenkelknochens 2014 zum zweiten Mal im Unfallkrankenhaus Murnau liegt. Zwei Monate später startet er in ein Reha-Programm, "so ehrgeizig wie vielleicht noch nie in meinem Leben", und holt sich nur ein Jahr später erneut einen Weltmeistertitel.

Das Buch, das Teuber und Thilo Komma-Pöllath in einer von Taufig Khalil, Sportredakteur beim BR, moderierten Veranstaltung vorstellen, soll aber "keine Geschichte werden, die nur das Leben von Michael Teuber abbildet", sagt Komm-Pöllath: Teuber sei es wichtig gewesen, auch sportpolitische und gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Teuber hat sich immer als kritischer Mensch verstanden, und so äußert er auch hier freimütig Kritik daran, dass der Behindertenleistungssport generell und auch die Paralympics nicht die gleiche Wertschätzung und Aufmerksamkeit erhielten wie die Leistungen nicht behinderter Sportler - ganz zu schweigen von der sehr viel geringeren finanziellen Förderung, die behinderte Leistungssportler im Vergleich mit nicht behinderten von der Deutschen Sporthilfe bekommen.

Aber auch die Entscheidung des Paracycling- Komitees des Radsportweltverbands UCI 2009, die Klassifizierung der Athleten auf eine "funktionale" Bewertungsbasis umzustellen und damit Sportler mit sehr unterschiedlichen Behinderungen gemeinsam gegeneinander antreten zu lassen, hält Teuber für eine folgenschwere Fehlentscheidung. "Es fahren Äpfel gegen Birnen, das ist Klassifizierungs-Absurdistan", sagte der deutsche Paralympics-Sieger Michael Teuber nach der Bahnrad-WM. Seine später revidierte Neuklassifizierung 2009 sei darüber hinaus eine gegen ihn persönlich gerichtete Intrige gewesen, die ihn beinahe seine Karriere als Leistungssportler gekostet habe.

Vor den Pressevertretern in München wird Teuber auch zur Entscheidung von Philip Craven, dem Präsidenten des Internationalen Paralympischen Komitees, befragt, der anders als Thomas Bach vom IOC russische Athleten aus Gründen des staatlich gesteuerten Dopings ausgeschlossen hat. "Absolut richtig", sagt er.

Mit seinem Buch will Teuber den Menschen vor seinen fünften Paralympics Mut machen, ihre Grenzen auszuloten - so wie er es getan hat - sie "auszutesten" und nach Möglichkeit zu "verschieben." Er selbst hat seine Grenzen in einer Weise verschoben, wie dies vor 30 Jahren absolut unmöglich schien. Und Michael Teuber ist auch nicht bereit, sein jetziges Alter von 48 Jahren als Grenze seines Sportlerlebens zu akzeptieren: "Vielleicht", sagt er, bin ich ja auch 2020 in Tokio wieder mit dabei."

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SZ vom 03.09.2016
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