Süddeutsche Zeitung

Odelzhausen:Achterbahn der Gefühle

Guido Schiefen und Markus Kreul spielen Brahms

Von Dorothea Friedrich, Odelzhausen

Es war eine echte Premiere: Erstmals spielten Cellist Guido Schiefen und Pianist Markus Kreul am vergangenen Freitagabend Johannes Brahms' "Ungarische Tänze" in der Bearbeitung für Cello und Klavier von Alfredo Piatti. Ort des vom ersten bis zum letzten Ton beglückenden Geschehens war die historische Malztenne im Schlossgut Odelzhausen mit ihrem schönen Gewölbe. Ermöglicht hatte dieses Konzert die Veranstaltungsreihe "Poetischer Herbst" mit ihrem Motto "InStallationen - zu Gast auf alten Höfen im Dachauer Land". Die Ungarischen Tänze passen übrigens perfekt in die Region. Denn hier verlief bis etwa 1750 der sogenannte Oxenweg, auf dem seit dem Mittelalter alljährlich rund 200 000 ungarische Graurinder von der Puszta bis vor die Tore Augsburgs getrieben wurden, weil ihr Fleisch als Delikatesse beliebt war.

Keine ungarischen Graurinder sondern Johannes Brahms, mal in Jung, mal mit strengem Blick und Rauschebart sowie etliche Noten hatte das Künstlerduo Johannes Karl und Florian Marschall an diesem Abend in ihre "Landpartie"-Lichtkollage eingeflochten - eine gelungene Einstimmung auf ein vom ersten Moment an zauberisches Konzert, das bislang nur auf der im Januar erschienen CD zu hören war. Hier haben Schiefen und Kreul erstmals alle Piatti-Transkriptionen komplett eingespielt. Endlich diese Gustostückerl vor Publikum spielen zu können, war wohl auch ein Grund, dass Schiefen und Kreul diese Musik endgültig zur Achterbahnfahrt der Gefühle machten.

Im 19. Jahrhundert hörte man ungarische Volksweisen in allen Kaffeehäusern, wie Kreul erzählte. Die damals noch "Zigeunermusik" genannten glutvollen Melodien waren 1849 mit den vielen Geflüchteten ins Land gekommen, nachdem die habsburgischen Truppen die erste ungarische Republik blutig niedergeschlagen hatten. Brahms bestand übrigens darauf, seine Urfassung für Klavier zu vier Händen als "gesetzt von Johannes Brahms" herauszugeben und nicht als von ihm komponiert, vielleicht um etwaigen Plagiatsvorwürfen zu entgehen. Was es mit Alfredo Piatti (1822-1901) auf sich hatte, erklärte Schiefen: Der Cellist galt als "Paganini des Cello". Er wurde seinerzeit mindestens ebenso gefeiert wie sein Geigerkollege Joseph Joachim. Dass seine Kompositionen und auch die Transkription der Ungarischen Tänze "sauschwer" seien, wie Schiefen sagte, merkte man jedoch weder Schiefens noch Kreuls Spiel an.

Nach zwei Brahms'schen Liedkompositionen, "Feldeinsamkeit" und "Wie Melodien zieht es", zur Einstimmung spielte das Duo die Gassenhauer des ersten Buchs, also die Tänze eins bis zehn, mit geradezu teuflischem Temperament; man musste einfach mitsummen, die Füße tanzen lassen und fühlte sich immer wieder in den Salon der Csárdásfürstin versetzt oder in die fürs Personal vorgesehene Stube, in diesem Fall die ehemalige Malztenne mit ihrer ganz eigenen Akustik. Schiefen und Kreul tauchten von unbändiger Lebensfreude in melancholische Sehnsucht und schwangen sich sogleich wieder in jubelnde Höhen. Fast wie ein Kontrastprogramm spielten sie die Lieder elf bis 21, das zweite Buch. Das war die reinste Poesie sehnsuchtsvoller Träume, gepaart mit überschäumender Lebenslust - und einfach fabelhaft. Bleibt nur noch anzufügen, dass die vom begeisterten Publikum heftigst erklatschte Zugabe: "Sapphische Ode" der stimmige Ausklang war. Denn hier schwebten die Zuhörer auf den Flügeln von Cello und Klavier - und nicht auf denen des Gesanges.

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Quelle:
SZ vom 19.10.2021
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