NS-Vergangenheit:Lagergemeinschaft Dachau fordert Gedenkstätte in Allach

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Auf einer Veranstaltung am ehemaligen KZ-Außenlager werden die Namen der Opfer vorgelesen. Mehr als 1200 hat der Stadtteilhistoriker Klaus Mai zusammengetragen.

Von Helmut Zeller, Dachau/Allach

Das Totenbuch von Allach dokumentiert mehr als 1200 Namen: Der Stadtteilhistoriker Klaus Mai hat in einer langwierigen Archivrecherche viele der bisher unbekannten Opfer des KZ-Außenlagers Allach identifiziert - Datum und Ort ihrer Geburt und das Datum ihres Todes. Das Totenbuch, das nun zur Gedenkveranstaltung des Bezirksausschusses 24 am 6. November vorliegt, wird am 17. November dem Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) übergeben - in der Hoffnung, dass er die Errichtung einer Gedenkstätte in der Siedlung Ludwigsfeld, die in den 1950er Jahren auf dem Gelände des ehemaligen KZ entstand, unterstützen wird.

Der Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau, Max Mannheimer, wollte selbst noch Reiter das Totenbuch geben. Dazu kam es nicht mehr. Der Auschwitz-Überlebende ist am 23. September im Alter von 96 Jahren gestorben. Noch im Krankenhaus Rechts der Isar, schreibt Klaus Mai, sprach Max Mannheimer davon. Die Veranstaltung am 6. November steht im Zeichen des Gedenkens an das Leben und Wirken des großartigen Erzählers und Zeitzeugen. Klaus Mai, Mitglied des Bezirksausschusses Feldmoching-Hasenbergl und der Lagergemeinschaft, wird darüber sprechen. Der Holocaust-Überlebende aus dem mährischen Neutitschein war - nach Theresienstadt, Auschwitz und Warschau - vom 1. September 1944 bis 24. Februar 1945 in dem Dachauer Außenlager.

Gibt es noch unentdeckte Massengräber?

In dem 1943 entstandenen KZ-Außenlagerkomplex waren Klaus Mai zufolge 6500 bis 7000 Häftlinge aus mehr als 20 Nationen gefangen. Mehr als die Hälfte waren deutsche Häftlinge, ein Fünftel bis ein Viertel Juden. Sie arbeiteten in den Kommandos "Bau" und "Produktion" für das BMW-Flugmotorenwerk an der Dachauer Straße, jüdische Häftlinge zusätzlich sonntags bei den Bauern in der Landwirtschaft. Arbeitsunfähige Häftlinge wurden in Vernichtungslager verschleppt. Schon vor der Befreiung am 30. April 1945 wurden auf dem Lagergelände eine bis heute unbekannte Zahl von toten KZ-Häftlingen in mehreren Massengräbern verscharrt, schreibt Klaus Mai. Das bestätigte unter anderem auch Max Mannheimer, der die Leichen auf einer Karre zur Verbrennung ins Stammlager bringen musste. Als die Kapazität des Ofens nicht mehr ausreichte, wurden die toten Häftlinge verscharrt. Bei archäologischen Ausgrabungen auf dem Gelände an der Granatstraße 12, die Mai initiiert hatte, wurde eine große Anzahl von Artefakten der Häftlinge gefunden. Anfang nächsten Jahres werden die Archäologen auch den nördlichen Teil des Grundstücks untersuchen, in denen Mai die sterblichen Überreste von mehr als 300 Häftlingen vermutet.

Viele KZ-Häftlinge erlebten zwar noch ihre Befreiung, zwischen 207 und 240 Häftlinge, schätzt der Stadtteilhistoriker, starben aber an den Folgen ihrer Lagerhaft. Diese Toten wurden auf dem Friedhof Feldmoching in Massengräbern beerdigt. Nur 41 KZ-Opfer konnten später identifiziert werden. Die noch heute auf den Holztafeln lesbaren Namen der jüdischen Opfer sind bisher nicht erfasst worden.

Auf der Gedenkveranstaltung am Sonntag, 6. November, wird aus dem Totenbuch vorgelesen werden - von Markus Auerbach, BA 24-Vorsitzender, Gabi Meissner, BA 24-Unterausschuss-Vorsitzende, Ilse Macek, Sprecherin des Vereins "Gegen Vergessen, für Demokratie", in dem Max Mannheimer Ehren- und Beiratsvorsitzender war. Weiter lesen Adi Trumpf, Lehrer, Gerlinde Dunzinger, Lagergemeinschaft Dachau, Manuela Massaquoi, BA 24, Johannes Singhammer, Bundestagsvizepräsident, Anna Andlauer, Präsidium Lagergemeinschaft Dachau, und der BMW-Vertreter Manfred Grunert.

Es braucht die Unterstützung des Stadtrats

Die Gedenkveranstaltung setzt ein politisches Signal: Die Lagergemeinschaft Dachau fordert eine Gedenkstätte in Ludwigsfeld. Auf dem Gelände steht noch eine KZ-Baracke, die heute vom TSV Ludwigsfeld genutzt wird. Dazu braucht es die Unterstützung des Stadtrats von München und des Oberbürgermeisters. Klaus Mai, der in jahrelanger Forschung die Geschichte dieses fast vergessenen KZ-Außenlagers auf Münchner Stadtgebiet erforscht hat, ist optimistisch. Die jahrzehntelange Verweigerung der ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung", sich ihrer NS-Geschichte zu stellen, ist Vergangenheit - nicht zuletzt auch wegen des Wirkens von Max Mannheimer, wie OB Reiter auf der Gedenkfeier in der Israelitischen Kultusgemeinde sagte.

Von daher wird die Landeshauptstadt, so die Hoffnung, heute doch nicht an die eigentlich überwundene Kontinuität des Verschweigens anknüpfen. Auch die juristische Aufarbeitung war davon geprägt: Nur um die 25 Morde wurden in der Nachkriegszeit von der Staatsanwaltschaft München ermittelt, wie Klaus Mai erklärt. Ernsthafte Ermittlungen der Behörden begannen erst Ende der 1960er Jahre. Die Anklage gegen den stellvertretenden Lagerkommandanten Sebastian Eberl kam einer Farce gleich. Angebliche gesundheitliche Gründe verzögerten den Prozessbeginn solange, bis Eberl Anfang der 1980er Jahre unbelangt für seine Verbrechen starb. Dies mussten die Überlebenden von Allach nach allem, was sie ertragen mussten, auch noch hinnehmen, einer wie Max Mannheimer, der mit seinem Bruder Edgar, neben ihm der einzige Überlebende der ganzen Familie, in dem KZ-Außenlager Furchtbares erlitten hat.

Die Gedenkfeier am Sonntag, 6. November, findet an der ehemaligen KZ-Baracke, Granatstraße 12 in München-Ludwigsfeld, statt. Beginn ist um 11 Uhr, Ende um 12.15 Uhr.

© SZ vom 04.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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