Novemberpogrome:Gesichter, die den Terror erfahren haben

Schüler des Ignaz-Taschner-Gymnasiums haben Biographien gesammelt und eine Ausstellung konzipiert, um würdevoll an den Schrecken der Novemberpogrome zu erinnern.

Von Anna-Elisa Jakob, Dachau

Wenige Minuten bevor an diesem Vormittag die Schulglocke des Ignaz-Taschner-Gymnasiums die dritte Stunde beenden wird, wirft eine Lehrerin einige Aussagen in den Raum, zum Beispiel: "Du hast keine Angst, in der Öffentlichkeit für deine Person angegriffen zu werden." Fühlt sich ein Schüler angesprochen, geht er nach vorne; wenn nicht, bleibt er stehen. Sie sollen unterschiedliche Rollen spielen - verschiedener Abstammung, Geschlecht, sozialer Herkunft. Die Abstände zwischen ihnen sind groß.

Ein paar Schritte seitwärts dieser Unterrichtsstunde findet sich die aktuelle Ausstellung der Schule zum Gedenken der Novemberpogrome von 1938: ein paar Stellwände, aufgestellt im Kreis, an diesem Vormittag unbeleuchtet. Am vergangenen Montag wurde die Ausstellung eröffnet und noch bis zum 22. November ist es möglich, sie zu Schulzeiten zu besichtigen.

Schüler und Schülerinnen der Oberstufe erarbeiteten gemeinsam mit der KZ-Gedenkstätte und dem NS-Dokumentationszentrum in München diese Ausstellung und sammelten hierfür Biografien derjenigen, die in den Novembertagen vor 81 Jahren verfolgt, zur Flucht gezwungen oder in das Konzentrationslager Dachau deportiert wurden. Von jeder Stellwand blicken einem andere Gesichter entgegen. Sie erzählen Geschichten, die bei manchen furchtbar, bei anderen doch noch glücklich enden - alle eint jedoch, den Terror des Nationalsozialismus in jenen Novembertagen erfahren zu haben.

Ausstellung Pogromnacht

In der Mitte der Ausstellung liegt ein offener Koffer, darin sind Familienfotos, Karten und Pässe aus dem Familienbesitz der Verfolgten von 1938.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Den einzelnen Personen ein Gesicht und eine Geschichte zu geben, sie aus der Masse des Terrors hervorzuheben und ihnen damit ein würdevolles Gedenken zu verleihen - das ist der Gedanke, der hinter Erinnerungsarbeit wie dieser steckt. Was die Schüler bewegt hat, als sie die Biographien sammelten und die Tafeln erarbeiteten, das lässt sich anhand der Zitate erahnen, die sie darauf festgehalten haben. Da ist zum Beispiel die von Walter Solmitz, der am 10. November 1938 in das KZ Dachau gebracht wurde und im Dezember entlassen wurde, weil seine Frau die gemeinsamen Ausreisepapiere nach England vorweisen konnte. Neben dem Schwarz-Weiß-Foto von ihm steht also ein Zitat, mit dem Solmitz an den Monat im Konzentrationslager zurückdachte: "Wenn man allerdings den Betrieb dort gesehen hat und die Gesichter der SS-Leute und ihr Verhalten, dann weiß man, dass sehr viel sich im Dunkeln zuträgt, dass in Dachau alles möglich ist - viel mehr als eine normale Phantasie sich ausmalt. Alles."

Dass alles möglich ist, das ist wohl sowohl die grausamste Erinnerung als auch die schwerste Warnung. Das ITG kündigte die Ausstellung mit den Worten an, die Novemberpogrome aus dem Jahr 1938 "scheinen nur weit in der Vergangenheit zu liegen". Während der Gedenkfeiern, die Dachau in der vergangenen Woche begleiteten, wurde es immer wieder angesprochen - von Nachfahren der Opfer des Holocausts, von Politikern, von Beteiligten der Erinnerungsarbeit: Das Wissen über die Schrecken des Nationalsozialismus weiterzugeben und die Achtsamkeit für Fremdenhass und Populismus hoch zu halten, ist die gewichtige Aufgabe der Gegenwart. Diese Ausstellung ist ein Teil dessen, dieses Gedenken lebendig zu halten.

Ausstellung Pogromnacht

Zeitstrahl in der die Ausstellung der Schule zum Gedenken der Novemberpogrome von 1938.

(Foto: Niels P. Joergensen)

Die Schüler, ein paar Schritte weiter, stehen immer noch weit auseinander - "eine Kluft", bemerkt die Lehrerin. Und auch, wenn dies nur ein pädagogisches Rollenspiel ist und die Schüler mit dem Läuten der Schulglocke zurück in ihr Klassenzimmer gehen, bleiben in der Aula des ITG nicht allein die Stellwände und die Erinnerung zurück. Sondern auch der Gedanke daran, dass es junge Menschen wie diese sind, die die gesellschaftliche Zukunft formen können. Und dass gerade das Schlüpfen in andere Rollen - durch Empathie und das Bewusstsein für Probleme und Privilegien anderer - eine der wichtigsten Fähigkeiten ist, die man ihnen an die Hand geben kann.

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