Nicht nur  für Talente:Gemeinsam musizieren

Nicht nur  für Talente: Integratives Trommeln: Phil Mullen lässt alle mitmachen. Der zwölfjährige Flo lässt sich gerne mitreißen.

Integratives Trommeln: Phil Mullen lässt alle mitmachen. Der zwölfjährige Flo lässt sich gerne mitreißen.

(Foto: Toni Heigl)

Der Europäische Musikworkshop öffnet sich für Community Music

Von Dorothea Friedrich, Altomünster

"Kirsche, Banane, Apfel" skandieren rund zwanzig Kinder und Erwachsene am Freitag im Musikraum der Altomünsterer Schule. Dozent Phil Mullen gibt Takt und Rhythmus vor. Sein Workshop "Improvisation" ist Teil des elften Europäischen Musikworkshops (EUMWA). Und er ist ein Novum im Konzept. Denn mit diesem Schnupperkurs hat sich der EUMWA geöffnet und alle "zwischen sieben und 77", eingeladen, die Freude an der Musik haben. Denn der charismatische Phil Mullen vertritt eine hierzulande relativ unbekannte Art der musikalischen Förderung: "Community Music".

Diese setzt auf Inklusion von kleinen und großen Menschen mit Handicap, von Obdachlosen und von Sträflingen. Sie setzt auf Partizipation und auf informelles Lernen. Die International Society for Music Education hat diesen demokratischen Ansatz so formuliert: "Jeder hat das Recht und die Fähigkeit, seine eigene Musik zu machen." Das werden Hubschraubermuttis, die aus ihren sechsjährigen Kids unbedingt eine zweite Anna Netrebko, eine Lang-Lang-Kopie oder einen David Garrett-Klon machen wollen, wahrscheinlich ganz anders sehen.

Phil Mullen würdigt dagegen die üblichen Musikunterricht-Folterwerkzeuge wie Tafeln mit Notenwerten, Taktarten und Pausenwerte keines Blickes. Er versteht es, selbst den schüchternsten Buben zu motivieren. Mullen singt, tanzt, schauspielert, trommelt, - und alle machen mit. "Community Music ist eine Gemeinschaft von Lernenden. Eine Unterrichtsstunde soll tausend Entdeckungen ermöglichen", sagt er. Die begeisterten Reaktionen geben ihm recht: Der Altomünsterer Siggi Bradl, "eigentlich auf Volksmusik abonniert", trommelt und singt Afrika-Songs oder Reggae. Der zwölfjährige Flo lernt Klavierspielen, hat aber gerade ungeheuren Spaß am Schlagzeug und wirbelt die Sticks wie ein Profi. Für den achtjährigen Alejandro ist "Musik machen ganz wichtig. Und das hier ist ganz anders als eine Klavierstunde". Die neunjährige Lara spielt Saxofon und Flöte. Für sie ist es "ganz toll mit anderen Menschen und mit anderen Instrumenten etwas zusammen zu machen".

Ähnlich fassen beim Abschlusskonzert am Samstagabend die Teilnehmer der diversen Meisterkurse und Workshops ihre Erfahrungen nach einer Woche EUMWA zusammen. Dabei hatten sie ein Riesenprogramm zu bewältigen: Sechs Konzerte in fünf Tagen, Einzel- und Gruppenunterricht und üben, üben, üben für den Soloauftritt und das Ensemblespiel. Bei jedem Auftritt sieht man, was die Qualität dieser in der Region einzigartigen Veranstaltung ausmacht. Die neunjährige Isabel Darabi Far mit ihrer Geige etwa und ihr Bruder Benjamin (11) am Klavier spielen völlig unverkrampft und mit ansteckender Freude. Warum? Weil sie Teil einer Gemeinschaft von engagierten, hochkarätigen Dozenten, sind. Sie arbeiten in einer konzentrierten, aber ungezwungenen Atmosphäre mit hoch motivierten Kollegen unterschiedlichen Alters zusammen. Fast zu jeder Tages- und Nachtzeit schleppen die Musiker Cello und Geige, Klarinette und Flöte durch Altomünster. Ihr Pensum ist mehr als beachtlich.

Die Werke, die sie im akustisch nicht gerade optimalen Historischen Keller am Hechthof spielen, reißen ihr Publikum von den Stühlen. Dazu zählt zweifellos Igor Strawinskys irre - und irre schwer zu spielende - "Geschichte vom Soldaten" oder die absolute Rarität, Carl Maria von Webers "Schottische Lieder". Das sind Stücke, wie sie nicht in jedem Workshop erarbeitet werden, ebenso wie York Bowens Quintett für Bassklarinette und Streicher. Dass diese kammermusikalischen Preziosen bei ihren Zuhörern ebenso gut ankamen wie Wolfgang Amadeus Mozarts Klarinettenquintett A-Dur, hat wohl die Erwartungen der Musiker übertroffen. "War das nicht zu modern", fragt einer fast ängstlich nach dem fast dreistündigen Konzert am Freitagabend. "Das war umwerfend", ist die prompte Antwort.

Die Spanierin Irene Garciá Posadas schwärmt von ihren neuen Erfahrungen. Sie hat sich auf Liedbegleitung am Klavier spezialisiert. Und ist eine begehrte Partnerin für die sieben Sänger im Kurs von Dominik Wortig. "Das macht mich flexibler, weil jeder eine andere Persönlichkeit ist und wir uns aufeinander einstellen müssen", sagt sie. Auch die 16-jährige Franziska Mörtl aus Starnberg ist begeistert: "Ich habe gelernt, meiner Stimme entsprechend zu singen. Wir Urbayern haben ja beim Singen oft Probleme mit der richtigen Artikulation."

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