Neue Mitte Karlsfeld:Karlcity

Mit der Eröffnung des Ortszentrums Neue Mitte will die 20 000-Einwohner-Gemeinde ihren Ruf als Schlafburg abstreifen

Von Gregor Schiegl, Karlsfeld

Ein Bauarbeiter eilt vorbei, die Brust ist braun gebrannt, Hemd braucht er keins, die Septembersonne knallt herunter. Er schleppt ein riesiges Bündel Verpackungsfolien, der Rand schleift über den Asphalt. Keine Zeit für Schlendrian. In weniger als drei Wochen, am 29. September, soll sich Karlsfelds neues Ortszentrum an der Gartenstraße mit Leben füllen. Um 10 Uhr öffnen die drei großen Geschäfte, Aldi, Edeka und der Drogeriemarkt Müller auf insgesamt 7000 Quadratmetern Geschossfläche. Dann startet auch der Einzug in die 207 Wohneinheiten. Stefan Germershausen, stellvertretender Geschäftsführer der Firma HI, ist sehr zufrieden. "Das ist ein Erfolg für alle, weil etwas sehr Schönes entstanden ist." Auch der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrte Rathauschef Stefan Kolbe (CSU) atmet auf. "Ich bin froh, dass wir diese lang andauernde Geschichte jetzt endlich beenden können."

Für Peter Freis, den Wirtschaftsförderer der Gemeinde, ist es erst ein Anfang: "Für mich ist das der Startschuss fürs Stadtmarketing." Karlsfeld will sein Image als dröge Schlafstadt abstreifen, will auffallen und zwar positiv. Dass viele Karlsfelder sich mit dem neuen Ortszentrum schwer tun, ist für den Alteingesessenen Karlsfelder Peter Freis nicht überraschend. Das Millionenprojekt mit seinen bis zu sieben Stockwerke hohen Gebäuden führe jedem vor Augen, dass die inzwischen mehr als 20 000 Einwohner starke Gemeinde sich gewandelt habe "vom Straßendorf zur Kleinstadt". Daran, sagt Freis, müssten sich die Alt-Karlsfelder erst noch gewöhnen.

Neue Mitte Karlsfeld: Mit Hilfe einer Hebebühne kontrollieren Arbeiter noch einmal jede einzelne Lichtkuppel im Eingangsbereich der Verbrauchermärkte.

Mit Hilfe einer Hebebühne kontrollieren Arbeiter noch einmal jede einzelne Lichtkuppel im Eingangsbereich der Verbrauchermärkte.

(Foto: Toni Heigl)

Die Gartenstraße

Seit August ist die Gartenstraße komplett gesperrt, der Busverkehr wird umgeleitet. Die Anwohner sind über die Neue Mitte nicht begeistert, viele befürchten ein heilloses Verkehrschaos vor ihrer Haustür. Peter Freis glaubt das nicht. Im Gegenteil: Bislang stellten viele ihr Auto am Straßenrand ab, künftig stehen dafür Parkbuchten zur Verfügung. "Da ist jetzt viel mehr Platz." Von der neuen Gartenstraße existieren im Moment nur aufgemauerten Bordsteine, das Kiesbett fehlt noch. In der kommenden Woche soll die Asphaltschicht gegossen werden. Dann kann auch der Verkehr wieder ungehindert rollen.

Dass auch der Gemeinderat eifrig diskutiert, ob genügend Parkplätze für die Kunden des Ortszentrums angeboten werden, ärgert Freis. Sei es nicht erklärtes Ziel, dass die Karlsfelder öfter zu Fuß gehen oder aufs Rad steigen sollen? Jetzt gebe es sie ja, die wohnortnahen Märkte. "Aber die Karlsfelder sind es noch gewohnt, ins Auto zu steigen, und nach Dachau zum Einkaufen zu fahren - das kriegt man so schnell nicht wieder raus aus den Köpfen." Immerhin, in der neuen Ortsmitte gibt es auch viele Fahrradständer und zwar die guten, nicht die berüchtigten "Felgenkiller".

Neue Mitte Karlsfeld: Die Häuser sind wuchtig dimensioniert, aber sie stehen nicht dicht an dicht.

Die Häuser sind wuchtig dimensioniert, aber sie stehen nicht dicht an dicht.

(Foto: Toni Heigl)

Die Häuser

"Schachtelarchitektur", "seelenlose Investorenplanung", "Klein-Manhattan": An der modernen Architektur des Münchner Büros Steidle entzündete sich viel Kritik. So schlimm, wie manche befürchtet haben, ist es aber nicht geworden: Die Gebäude sind massiv, aber der Eindruck wird abgemildert durch die wechselnde Farbgestaltung in Weiß, Ocker und Terrakottarot. Die Räume zwischen den Gebäuden sind relativ großzügig - keine Parks, aber eben auch keine engen Straßenschluchten, wie Kritiker im Vorfeld unkten. "Für einen Stadtkern ist es eine gemäßigte Bebauung", sagt Freis. Das passe zu Karlsfeld.

Laut HI Wohnbau sind alle 207 Wohneinheiten verkauft, viele an Münchner, denen die Stadt zu teuer wird, aber auch an Karlsfelder, die ihren Kindern eine Bleibe im Ort sichern wollen. Erstaunlich lange wartete die HI auf einen Käufer der höchstgelegenen Wohnung im siebten Stock. Für Freis ein Beleg für den bodenständigen Charakter der Karlsfelder. In München wäre diese Wohnung sicher die erste gewesen, die weg gewesen wäre - trotz des stolzen Preises von rund 800 000 Euro.

Neue Mitte Karlsfeld: Viele Radlständer gibt es im Ortszentrum.

Viele Radlständer gibt es im Ortszentrum.

(Foto: Toni Heigl)

Der Platz

Im Oktober soll der zentrale Platz offiziell nach dem verstorbenen Altbürgermeister Bruno Danzer (SPD) benannt werden. Beim vorangegangenen Namenswettbewerb kamen aber auch Vorschläge wie "Betonplätzchen". Daraus sprechen die Zweifel: Ist der Platz groß genug? Fühlt man sich dort wohl? Aber an diesem sonnigen Vormittag wirkt der Platz, trotz des Betons, keineswegs unwirtlich. Es fehlen nur noch die Sitzmöbel, Leute sind auch noch keine da, und die Bäume sind mickrig, ja, aber das wird schon werden. Und nachmittags findet die Sonne tatsächlich auch mal eine Lücke zwischen den Häusern.

Die Märkte

Ein kleiner Triumph für Karlsfeld: Der Drogeriemarkt Müller hat seine Filiale an der Münchner Straße in Dachau geschlossen und zieht in die Neue Mitte. Einen Aldi gibt es jetzt auch in Karlsfeld und einen Edeka. Und was für einen! 30 000 Artikel auf 2117 Quadratmetern Verkaufsfläche bietet Daniel Schermelleh-Sandecks Markt - mehr als jeder andere in der Umgebung. Nur der Edeka im Olympia-Einkaufszentrum ist noch etwas größer. Aber wahrscheinlich nicht so schön. Sprayer Johannes Wirthmüller, der in Dachau schon viele Unterführungen verschönert hat, gestaltet den Innenbereich. Zum Edeka gehört auch ein Mittagstisch mit drei Gerichten, eine Salatbar und eine Bäckerei.

Neue Mitte Karlsfeld: Wirtschaftsförderer Peter Freis gefällt das neue urbane Ambiente.

Wirtschaftsförderer Peter Freis gefällt das neue urbane Ambiente.

(Foto: Toni Heigl)

Die Läden

Kleine Läden sorgen für Abwechslung. Allerdings sind viele Geschäftsleute offenbar noch in Wartestellung, wie sich die Dinge im Karlsfelder Ortszentrum entwickeln werden. "Die Karlsfelder sind grundsätzlich skeptisch", sagt Freis. Von den zehn kleineren Ladeneinheiten sind inzwischen erst fünf belegt. Der Hörgeräteladen aus dem Vital-Center zieht ein, es kommen ein Friseur, ein Nagelstudio und eventuell auch ein italienischer Feinkostladen. Ein Gastronomiebetrieb soll die Ecke zwischen Bruno-Danzer-Platz und Gartenstraße bespielen. Allerdings sind die Verhandlungen darüber noch nicht abgeschlossen. Eine Umnutzung in Wohnungen schließt Stefan Germershausen von der HI aber kategorisch aus.

Die Sanitäranlagen

Edeka und Aldi haben Kundentoiletten, bei Edeka soll es außerdem einen Wickeltisch geben. Die Sanitäranlagen sollen nach dem Modell der "Freundlichen Toiletten" betrieben werden, sagt Peter Freis. Das heißt, die Gemeinde zahlt einen gewissen Anteil an den Reinigungskosten, dafür sind die Toiletten für alle zugänglich. Abends wäre der Gastronomiebetrieb - wenn er denn kommt - die Anlaufstelle für alle Passanten, die Druck verspüren.

Die Umgebung

Integriert sich diese Neue Mitte in den Ort oder wirkt sie wie ein Fremdkörper? Nach Westen und Osten wirkt das Areal wie abgeriegelt. Das hat technische Gründe. Im Westen dient ein Wohnbauriegel als Lärmschutz, auf der Ostseite ducken sich die großen Märkte unter die Starkstrom-Überlandleitung; die Nachbarn an der Gerhart-Hauptmann-Straße schauen deshalb auf eine Mauer. Im Süden Richtung Sankt Anna öffnet sich ein Feld, Büsche und Gestrüpp. Diese Lücke soll irgendwann mit Wohnbebauung geschlossen werden. Der neue Kirchweg führt nach Norden direkt auf den Maibaum am Rathaus zu. An dieser Stelle klappt der Anschluss, zumindest optisch, besser als erwartet.

Der alte Marktplatz

Nicht nur Kritiker des neuen Ortszentrums haben Sorge, das alte Geschäftszentrum an der Rathausstraße - vom Volksmund "alter Marktplatz" getauft - könnte nun komplett abgehängt werden. In den Siebzigerjahren erbaut und in den Achtzigerjahren arrondiert, wirkt der von Hochhäusern eingerahmte Platz heute nicht mehr zeitgemäß. "Ich mag diesen Platz", sagt Peter Freis mit Nachdruck. "Und ich finde, er hat Potenzial." Gut, in der letzten Zeit ging es etwas bergab, wo sich Tattoo-Studios und Wettbüros ansiedeln, kriselt es bekanntlich, aber wenigstens gibt es keine Leerstände. Wo der Jeans-Laden war, zieht jetzt ein Dönerverkäufer ein.

Eigentlich sind die Rahmenbedingungen besser denn je: Auf der Straßenseite gegenüber ist ein Getränkemarkt aus Karlsfeld-West eingezogen. Die Märkte der Neuen Mitte könnten Laufkundschaft bringen. Freis würde den Marktplatz dafür gerne einladender gestalten mit ein paar schöneren Sitzgelegenheiten und halbwegs einheitlich. "Die Leute müssten nur mal an einem Strang ziehen." Aber das ist nicht so einfach. In dem Quartier gibt es viele Konflikte. Zwischen Nachbarn. Zwischen Anwohnern und Gastronomen. Zwischen Geschäftsleuten und anderen Geschäftsleuten. Freis seufzt. Es ist schwierig. Dabei könnte die Neue Mitte auch für den alten Marktplatz ein echter Neuanfang werden.

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