Neue Galerie Dachau:Ein einziges Missverständnis

Die Neue Galerie will in ihrer Ausstellung einen netten, harmlosen Blick auf die Pubertät werfen, zeigt aber eine Kunst, die ganz anderes will.

Bärbel Schäfer

- Die Beschäftigung mit Pubertät und Adoleszenz ist so alt wie die Kunst selbst: Schon in der Antike strotzten die Marmorstatuen vor jugendlicher Muskelkraft. Der Revolutionär der italienischen Barockmalerei Caravaggio war radikaler. In seinen dramatisch ausgeleuchteten Figurenbildern ging es ihm um den psychischen Aspekt des Erwachsenwerdens. Caravaggios "Bacchus" beispielsweise ist nicht mehr Kind, aber auch noch nicht Mann. Er verkörpert in seiner unterschwelligen Laszivität den schwer aushaltbaren Schwebezustand des Dazwischen.

Zielony Neue Galerie dachau

"Man möchte sie umarmen", sagte eine Besucherin in der Neuen Galerie im Angesicht der jungen Menschen ohne Hoffnung, die Tobias Zielony fotografierte. Zielony ist Professor für Künstlerische Fotografie an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Er hat Jugendliche in den drei europäischen Städten Marseille, Bristol und Halle aufgenommen. Sie haben ihm die Erlaubnis erteilt, ihn zu fotografieren.

(Foto: zielony)

Um diesen Zustand sollte es eigentlich in der Ausstellung der Neuen Galerie mit dem Titel "So zwischendrin. Erwachsen werden - Eine Kunst?" gehen. Im Begleittext fordert Kuratorin Jutta Mannes den Besucher auf, "Erfahrungen der eigenen überstandenen Pubertät zu reflektieren und Klischees über die Jugend von heute zu überdenken". Erwachsenwerden wird als "Kunst" bezeichnet, als Übergangsphase, in der es gelingt, nach gemeisterten Schwierigkeiten doch aufs rechte Gleis zu kommen. Reichlich naiv bezeichnet Kuratorin Mannes diese Lebensphase als "eine mitunter aufreibende Zeit".

Als Beispiele für diesen entspannten Blick hätte Mannes indes andere Künstler auswählen müssen. Auf keinen Fall Rineke Dijkstra oder Tobias Zielony. Sie sind in ihrer Radikalität näher bei Caravaggio, auch wenn beide vor allem dokumentarisch arbeiten. Ihre Beiträge sind die beeindruckendsten und anrührendsten der gesamten Ausstellung. Sie stammen aus der Münchner Sammlung Goetz.

Bei den Fotografien des Berliners Tobias Zielony geht es nicht um absehbares Geplänkel zwischen aufsässigem Nachwuchs und genervten Eltern, sondern um ernst zunehmende gesellschaftliche Probleme mit einer deutlichen Tendenz. Er beobachtete Jugendliche in den Peripherien von drei Großstädten und konnte ihr Vertrauen gewinnen. Sie ließen es zu, dass er sie fotografierte. Seine Dia-Serie "Behind the Block" entstand 2004 in Marseille, Bristol und Halle. Überall herrscht dieselbe Tristesse und Aussichtslosigkeit, Plattenbau in trostlosen Randgebieten. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen treffen sich bevorzugt nachts, hängen herum, Vernachlässigung und Perspektivlosigkeit stehen ihnen ins Gesicht geschrieben, Geborgenheit und ein Zuhause - Fehlanzeige. Bevor hier einer eine Ausbildung beginnt, hat er den Jugendstrafvollzug schon hinter sich.

Auf andere Weise packend und beklemmend ist Rineke Dijkstras Video. Die niederländische Fotografin wählte in Diskotheken in Liverpool und Holland Jugendliche aus und filmte sie in einem nüchternen Nebenraum. Die Jugendlichen benehmen sich vor der weißen Wand genauso wie in der Disco: sie tanzen, rauchen, küssen sich. Sie reflektieren noch nicht über die Außenwirkung ihres Tuns, haben erwachsene Verhaltensmuster noch nicht in ihrem Repertoire. Die Nähe, die durch die Verortung in eine neutrale Umgebung entsteht, ist verblüffend. Der Zuschauer fühlt sich plötzlich verantwortlich für diese jungen Menschen, die allesamt haltlos, ziellos und unsicher wirken. Am liebsten möchte man sie vor sich selbst beschützen.

Der Ausstellungstitel suggeriert eine Leichtigkeit und Harmlosigkeit. Diese dokumentarisch angelegten Arbeiten in ihrer harten und kalten Realitätsnähe widersprechen jedoch dem Konzept der Neuen Galerie. Da ist nichts mehr dazwischen. Nun könnte man einwenden, dass positiv besetzte Jugendthemen wie Sportbegeisterung, Idole, Popkultur, Ausbildung, und sogar die Schule ausgeblendet werden. Man könnte auch kritisieren, dass hier ein beklemmendes, negatives Bild von der Zeit des Heranwachsens geschaffen wird. Tatsächlich aber erscheinen die wunderbaren Exponate als Hilfeschrei von Künstlern, jungen Menschen doch eine Chance zu geben. Bleiben sie sich selbst überlassen und ausgegrenzt, werden sie scheitern. Aber mit den Mitteln der "Kunst", wie es der Text zur Dachauer Ausstellung erwarten lässt, kommen sie nicht weiter.Insofern überkommt einem bei den Arbeiten eine gewisse Ratlosigkeit.

Die Botschaft, die der Ausstellungstitel vermitteln möchte, ist nur in Justine Ottos wunderbar gemalten, großformatigen Porträts zu finden. Mit kraftvollen Pinselhieben malt die in Hamburg lebende, ehemalige Städel- Meisterschülerin in die beiden pickeligen Mädchen- und Jungengesichter alles hinein, was man mit der Pubertät verbindet: die Suche nach Identität, Abgrenzung, Trotz und Widerwillen, aber auch die Aussicht auf eine hoffnungsvolle Zukunft. Die Achterbahn der Gefühle. Dass sich auch die Jugendkultur über die Generationen hinweg in geradezu phantasieloser Art und Weise wiederholt, bringt der Aufdruck auf dem Sweatshirt des Jungen zum Ausdruck: dort steht der Titel eines Hip-Hop-Songs aus den Siebzigern, der Generation seiner Eltern.

Doch bei Veronika Veit weiß man nicht, worauf sie hinaus will. Sie spart mit ihren puppenartigen Kunststoff-Plastiken von einem Knäuel aus raufenden Buben und zwei coolen Soundboys nicht mit Klischees, wirft einen fast feindseligen Blick aus der Sicht einer Erwachsenen auf Jugendliche. Künstlerisch manieriert ist "Lacie" mit ihrem Rock aus Zaunlatten: eine 12-jährige mit Babyspeck, die ihren Unterleib noch nicht entdeckt hat. Wohlwollen fordert auch Christian Jaspers Installation "Standbild", denn mit Jugend hat sie nicht viel zu tun. Der ausgesägte Umriss eines Läufers ist formal nicht anspruchsvoll und inhaltlich beliebig: Es gibt halt auch Erwachsene, die mit dem Kopf durch die Wand wollen.

Der Beitrag der einzigen Dachauerin, die großformatige Wandzeichnung von Nina Annabelle Märkl, fällt aus dem Konzept heraus. Die große Tuschzeichnung beschäftigt sich nicht mit den Aspekten der Jugend. Ihr Thema dreht sich allgemein um Metamorphose. Sie verrät eine sichere künstlerische Handschrift, hebt sich aber durch ihre kühl-distanzierte Anmutung fast störend von den übrigen Arbeiten ab.

Die Neue Galerie Dachau versucht, die Ausstellung im Bezirksmuseum zum Thema Jugend fortzuführen und aus dem Blickwinkel der zeitgenössischen Kunst zu ergänzen. Das gesamte Vorhaben ist misslungen. Das Bezirksmuseum hat sich in eine kryptische Analyse der Jugendpolitik und der Jugendkultur seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert hineingesteigert und eine Parallele zwischen der Zeit des Nationalsozialismus und der Jugendbewegungen in der Nachkriegszeit gezogen. Die Neue Galerie erfasst ebenfalls nicht die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hat. Mit diesen Exponaten wird das selbst gewählte Thema nicht erfüllt. So wird die Aussage von den beiden herausragenden medialen Arbeiten dominiert. Die Botschaft der Ausstellung, die Klischees der Erwachsenen gegenüber Jugendlichen auszuräumen, wird auf fatale Weise ins Gegenteil verkehrt. Wer denkt, Jugendliche sind per se eine vermeidenswerte Randgruppe, wird sich durch diese Ausstellung bestätigt fühlen.

Bis Sonntag, 4. November, Neuen Galerie, Konrad-Adenauer-Straße 20, Dienstag bis Sonntag 13 bis 17 Uhr. Mittwoch, 10. Oktober Vortrag zum Thema mit einer Psychologin der Caritas.

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