Nazi-Hochburg Oberschleißheim:Die Menschen haben darüber geschwiegen

Nazi-Hochburg Oberschleißheim: Die Flugwerft Schleißheim war unter den Nazis ein Fliegerhorst, wo auch Jagdflieger und Zerstörerbesatzungen geschult wurden.

Die Flugwerft Schleißheim war unter den Nazis ein Fliegerhorst, wo auch Jagdflieger und Zerstörerbesatzungen geschult wurden.

(Foto: Archiv Otto Bürger)

Oberschleißheim war eine Hochburg der NSDAP und durch die Flugwerft mit dem Kriegsgeschehen eng verbunden. Ortschronist Otto Bürger führt durch die bewegte Geschichte des Ortes

Von Gudrun Passarge, Oberschleißheim

Im August 1939 wurde die Luft dünn für einige Oberschleißheimer. Ein Mechaniker, ein Landwirt, ein Schlossgartenverwalter und ein Pfarrer waren unter den Verhafteten, die nach Stadelheim kamen. Der Vorwurf: Vorbereitung zum Hochverrat. Und das in einer kritischen Zeit, denn der Zweite Weltkrieg stand unmittelbar bevor.

Otto Bürger, Oberschleißheimer Ortschronist, nimmt den letzten Friedenstag vor 80 Jahren zum Anlass für eine Führung an der Flugwerft, durch die der Ort unmittelbar mit dem Kriegsgeschehen verbunden war. Mit der Führung am vergangenen Samstag, 31. August, wollte er die Friedenszeit Revue passieren lassen und hinterfragen, was es mit dem angeblichen "Kampf um Deutschland" auf sich hatte, von dem der örtliche Parteigruppenleiter der NSDAP, Josef Haumeier, behauptete, dass er "uns alle mit Stolz erfüllt".

"Polnische Aufständische überschreiten die deutsche Grenze. Der Sender Gleiwitz überfallen - Heftige Kampfhandlungen im Gang", heißt es im Völkischen Beobachter in der Ausgabe vom 1. September und die rote Schlagzeile tags darauf lautet: "Der Führer verkündet den Kampf für des Reiches Recht und Sicherheit". Darunter ist vom "Gegenangriff" gegen die Polen die Rede und von ersten Erfolgen der Wehrmacht. Bürger hat beide Exemplare in seinem überbordenden Fundus und wird sie bei der Führung zeigen. Sie offenbaren, wie die Propagandamaschinerie der Nazis von Anfang an lief. Der Zweite Weltkrieg hatte begonnen, es wurden von sofort an Lebensmittelmarken ausgeteilt, Männer wurden zum Wehrdienst eingezogen und Pferde requiriert.

In Oberschleißheim habe es eine starke Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei gegeben, sagt Bürger. "Es war wohl auch deshalb eine Hochburg, weil ausgerechnet Heinrich Himmler bei der Gründung 1926 in der Schlosswirtschaft Ehrengast war." Da habe man sich vermutlich verpflichtet gefühlt, dem Zeitgeist zu folgen. In seiner Rede zum zehnjährigen Bestehen der Ortsgruppe spricht Parteigruppenleiter Haumeier von "manch harter Probe", die nicht jeder bestanden habe. Doch er attestiert den Schleißheimern, dass sie ihre Arbeit geleistet hätten: "Der Grund, auf dem das Dritte Reich erstehen soll, ist gelegt." Dazu passt der Antrag der örtlichen NSDAP von 1936, die Hofkurat-Diehl-Straße umzubenennen. Dem Hofkuraten warfen die Nazis vor, Freimaurer gewesen zu sein, was sie durch ein Bild aus dem Jahre 1815 als erwiesen ansahen. Auf diesem soll er mit den Attributen eines Meisters zu sehen gewesen sein.

Die Freimaurer waren nach Ansicht der Nazis Organisationen "in den Händen des Juden", die das Ziel hatten, die bestehende Ordnung und Kultur aufzulösen. Als neuen Namen schlugen sie Herbert-Norkus-Straße vor. Norkus war ein Hitlerjunge, der während einer NS-Propaganda-Aktion in Berlin 1932 bei einer Auseinandersetzung mit Mitgliedern eines kommunistischen Jugendverbands zusammengeschlagen und mit dem Messer tödlich verletzt wurde. Sein Leben diente als Vorlage für den Roman "Der Hitlerjunge Quex", sein Todestag war der Trauertag der nationalsozialistischen Jugend. Das jedenfalls, fanden die Nationalsozialisten, sei ein angemessener Name für die Straße, die zum neuen Hitler-Jugendheim in Oberschleißheim führte.

Doch nicht alle Bürger des Ortes, in dem um 1939 etwa 3200 Einwohner lebten, folgten den Zielen der Nationalsozialisten. Bürger zieht den Haftbefehl gegen den Landwirt Benno Hütt aus seinen Unterlagen. Er wurde am 12. August 1939 verhaftet und blieb ein Jahr in Stadelheim inhaftiert. Beschuldigt wurde er, gemeinschaftlich mit anderen, hochverräterische Unternehmen vorbereitet zu haben. Ähnlich lauteten die Vorwürfe gegen den Schleißheimer Pfarrer Josef Kranz. Dieser hatte nicht nur einen Bischofsbrief auf der Kanzel verlesen, obwohl die Nazis das untersagt hatten. Er gehörte wohl wie Hütt und andere Verhaftete aus Schleißheim auch den Königstreuen an, wie Bürger sagt. Er vermutet, dass sie die Ziele des sogenannten Harnier-Kreises unterstützten, den der ehemalige Schleißheimer Schlossgartenverwalter Heinrich Weiß 1933 gegründet hatte. Der Kreis galt als monarchistische Widerstandsgruppe gegen den Nationalsozialismus. Widerstand regte sich auch anderswo. So spricht der Schleißheimer Kolpingverein in seinem Rückblick des Jahres 1939 davon, dass "eine Verhaftungswelle der Gestapo durch den Verein" ging. Sie gedenken ihres Mitglieds Sepp Denk, der in Stadelheim gestorben war.

Pfarrer Josef Kranz, Jahrgang 1883, überlebte den Krieg. Er war nach acht Monaten in Stadelheim im April 1940 wieder entlassen worden. Vielleicht auch deswegen, weil er als Pfarrer im Fliegerhorst gebraucht wurde, sagt Bürger. Er selbst hat Pfarrer Kranz noch kennengelernt, denn er war Ministrant bei ihm. Geredet habe der Pfarrer aber nie über diese Zeit. Ein Phänomen, das er in dieser Generation öfter beobachtet hat: "Die Menschen haben darüber geschwiegen, vielleicht haben sie versucht, so ihre Erinnerungen zu löschen."

Kranz war in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Person für den Ortschronisten. Der Pfarrer und spätere Geistliche Rat hatte viele ortsgeschichtliche Dokumente gesammelt. Der junge Otto bekam sie in die Hand gedrückt und durfte sie kopieren. Alles hat er nicht vervielfältigen können, denn einen Kopierer gab es nicht. "Ich saß zu Hause und habe mit der Schreibmaschine getippt", sagt Bürger. Es war der Grundstock für seine spätere Sammlung. "Kranz war mein Vorbild", sagt Bürger. Der in Schleißheim sehr geschätzte Pfarrer starb 1974 im Alter von 92 Jahren. Das Dritte Reich endete 1945.

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