Süddeutsche Zeitung

Nahverkehrs-Ideen:Mit der Gondel mal schnell nach München

Eine Seilbahn soll von Dachau Richtung Moosach oder Feldmoching führen. Der Stadtrat will eine Studie dazu in Auftrag geben. Hilfe könnte von Verkehrsministerin Ilse Aigner kommen.

Von Viktoria Großmann

Dachau möchte eine Pilotstadt sein: Eine Seilbahn soll vom Bahnhof in den Münchner Norden fahren. Straßen entlasten und auch entnervte S-Bahn-Fahrer. Die Seilbahn schwebt den Stadträten von der Fraktion Bündnis für Dachau schon lange vor. In diesem März erging ein einstimmiger Beschluss im Umwelt- und Verkehrsausschuss, eine Machbarkeitsstudie zum Bau einer Seilbahn in Auftrag zu geben. Im Juli kündigte Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) öffentlich an, er wolle noch als amtierender OB in eine Seilbahn am Frankfurter Ring einsteigen. Im Münchner Stadtrat wurde die Idee allerdings noch nicht diskutiert.

Die Idee, den öffentlichen Nahverkehr mit Seilbahnen auszubauen, hat durch den lautstarken Münchner Auftritt unerwartet Schwung bekommen. Dieter Reiter hatte bei der Vorstellung des Projekts Bayerns Verkehrsministerin Ilse Aigner (CSU) dabei. "Die Staatsregierung steht urbanen Seilbahnen grundsätzlich positiv gegenüber", so gab Aigner vor ein paar Wochen einen Beschluss des Ministerrats bekannt. "Jede kreative Idee, die uns hilft, Verkehrsinfarkte zu verhindern, verdient eine ernsthafte Prüfung."

Fast genauso drücken das auch Landrat Stefan Löwl (CSU) und Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) aus. Der Landrat hat sich bereits mit Reiter besprochen. Auch Florian Hartmann hat Reiter um Zusammenarbeit gebeten und zudem dem Verkehrsministerium vorgeschlagen, als Pilotkommune im Seilbahn-Bau zur Verfügung zu stehen. Sowohl Löwl als auch Hartmann haben sich schon beim Seilbahn-Hersteller Doppelmayr aus Österreich über die Möglichkeiten der Technik informiert. Beeindruckt sind beide. Aber zugleich skeptischer als die Münchner.

Für Dachau soll eine Machbarkeitsstudie überhaupt erst herausfinden, wo genau die Trasse verlaufen könnte. Ob nach Feldmoching, nach Moosach oder lieber nach Oberschleißheim. Zu überlegen ist auch eine Anbindung an die Breitenau. Das Bündnis sähe eine Direktverbindung zum Forschungs- und Innovationszentrum FIZ von BMW sehr gerne. Landrat Löwl sieht Potenzial für eine weitere Seilbahn zwischen Haimhausen und Lohhof, wo auch ein Gefälle zu überwinden ist.

"Die Herausforderung ist, ein Büro zu finden, das sich damit auskennt", sagt Hartmann. Kaum ein Verkehrsplaner sei da auf dem Laufenden, es fehle an Forschung. Deshalb hat er Aigner vorgeschlagen, das Dachauer Projekt zum Beispiel von der Technischen Universität München wissenschaftlich begleiten zu lassen. Während die Dachauer sich ihrer Idee vorsichtig nähern, hatten die Münchner bereits eine konkrete Trasse vorgestellt. Es geht um 4,5 Kilometer, auf denen die Seilbahn über öffentlichen Grund führt. Sie hätte vier Stationen: Studentenstadt, Schwabing Nord, Frankfurter Ring und Oberwiesenfeld. Von dort könnten die Passagiere auf U-Bahn oder Tram umsteigen. Die Reisenden würden etwa 50 bis 60 Meter über der Erde schweben. Die Kosten taxiert der Ideengeber, die Unternehmensgruppe Schörghuber, auf 50 Millionen Euro. Bis zu 4000 Menschen könnten in jede Richtung pro Stunde befördert werden. Laut Verkehrsministerium hätte die Seilbahn 50 Prozent mehr Kapazität als eine Münchner Tram. Allerdings schafft die Seilbahn nur 28 Kilometer pro Stunde.

"Wir betreten hier Neuland", sagt OB Hartmann. Damit meint er auch, dass bisher weder staatliche Förderung noch Zuständigkeit geklärt sind und es auch keinerlei Vorgaben zum Bau einer städtischen Seilbahn gibt. Das Ministerium will dazu nun ein paar Richtlinien entwickeln.

Den Präzedenzfall in Deutschland schafft die Stadt Wuppertal in Nordrhein-Westfalen. Die Stadt mit ihren etwa 350 000 Einwohnern ist für ihre Schwebebahn berühmt. Nun könnte sie auch die erste deutsche Stadt mit einer in den Nahverkehr eingebundenen Seilbahn werden. Die Machbarkeitsstudie liegt vor, bis Ende des Jahres soll ein Ratsbeschluss gefasst werden, ins Planfeststellungsverfahren einzusteigen. Bauherr wären die Stadtwerke, auch der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr ist beteiligt. Der Wunsch geht auf Bürger der Stadt zurück. Die Gegnerschaft aber formiert sich ebenso von unten. Im wahrsten Sinne des Wortes. Anwohner fürchten um Privatsphäre. Sie wollen sich nicht von Passagieren in die Fenster, auf Balkone und Dachterrassen blicken lassen.

Ein Argument, das schnell entkräftet ist. Schließlich schauen sich vielerorts Nachbarn gegenseitig in die Fenster. Auch mit der Schwebebahn fahre man teilweise sehr dicht an den Balkonen von Wohnhäusern vorbei, sagt Martina Eckermann von der Stadt Wuppertal. "Der Blick aus der Seilbahn auf die Topografie der Stadt mit ihren Türmen und dem vielen Grün ist wahrscheinlich so faszinierend, dass der Blick in Fenster eher uninteressant ist", sagt Eckermann. Außerdem gibt es sogar eine technische Lösung. So könnten die Fenster der Seilbahn durch Bildschirmtechnik zum Teil verpixelt werden, wenn sie an Wohnhäusern vorbeifahren. Auch hinauswerfen könne man aus den Gondeln nichts.

Doch Eckermann räumt ein, dass die Pfeiler der Seilbahn "stadtprägende Bauwerke" sein werden und für die direkten Anwohner "eine erhebliche Beeinträchtigung" darstellen können. Die Gegner halten das ganze Projekt für den Nutzen zu teuer. Drei Stationen soll es auf der 2800 Meter langen Strecke geben. Knapp 83 Millionen Euro sollen die Baukosten betragen. Dazu kommen 1,6 Millionen Euro an Betriebskosten jährlich.

"Wir wollen unsere Studenten schneller und eleganter auf den Campus befördern", sagt Eckermann. 22 000 Studenten hat die Stadt im Bergischen Land. Viele pendeln mit dem Auto. Für die anderen müssen in Stoßzeiten Sonderbusse eingesetzt werden. Um in jede Richtung pro Stunde 5000 Passagiere zu transportieren, brauche man 100 Busse - oder eine Seilbahn. Die Seilbahn soll am Hauptbahnhof starten, von dort zur Uni und schließlich zu einem Schulzentrum fahren, an dem ein Park-und-Ride-Platz eingerichtet werden könnte. Auch Touristen hat die Stadt im Blick.

Nächste Woche will ein Tross um Verkehrsministerin Ilse Aigner einen Ausflug nach Österreich und Südtirol unternehmen. Dort sitzen die beiden Unternehmen, die derzeit führend sind im urbanen Seilbahnenbau: Doppelmayr und Leitner. Letztere haben eine Seilbahn zur Bundesgartenschau in Marzahn realisiert wie einst Doppelmayr zur Bundesgartenschau in München-Riem 2005. Eine Doppelmayr-Seilbahn schwebt auch über dem Rhein in Koblenz. Doppelmayr hat zudem schon Großstädte in Südamerika und Nordafrika ausgestattet. Im bergigen La Paz in Bolivien gibt es ein richtiges Seilbahnnetz bestehend aus sieben Linien.

Berge gibt es nicht zwischen Dachau und München. Nur zu viele Autos. Eine nahe liegende Alternative für Pendler wäre der S-Bahn-Nordring. Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann hält diese Lösung noch immer für am sinnvollsten. Aber vielleicht nicht mehr für realistisch. Denn ergebnislos diskutiert wird über den Nordring, seitdem der OB in die Grundschule ging, also seit den Neunzigerjahren. Dabei fuhren dort vor langer Zeit sogar schon Passagierzüge. "Solange der Nordring nicht kommt, ist die Seilbahn die einfachere und schnellere Lösung", sagt Hartmann. Noch einen Vorteil hat sie: Anders als bei den ewig verbummelten S-Bahnen müssen Fahrgäste nicht warten. Die nächste Gondel kommt immer schon nach ein paar Sekunden.

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SZ vom 25.08.2018/infu
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