Freiwillige Feuerwehr:In Alarmbereitschaft

Lesezeit: 3 min

Die Freiwillige Feuerwehr Dachau hat in den ersten zwei Monaten des Jahres bereits 101 Einsätze absolviert. Bisher waren etwa 400 pro Jahr üblich. Während die Zahl der Unfälle steigt, nimmt gleichzeitig die Bereitschaft der Jugend ab, sich zu engagieren

Von Benjamin Emonts, Dachau

Eine schwer kranke Person muss reanimiert und mit der Drehleiter möglichst schonend aus dem vierten Stock eines Gebäudes gehievt werden. Nach einem Verkehrsunfall mit drei Fahrzeugen in der Alten Römerstraße sichern Einsatzkräfte die Straße ab und erstversorgen einen Verletzten. In der Gröbenrieder Straße entfernen sie eine Ölspur, in Hebertshausen rücken sie zu einem Fehlalarm aus, in Karlsfeld greifen sie ein, weil eine Frau ihr Essen in der Mikrowelle vergessen hat. Fehlten nur noch ein Mülleimerbrand an der KZ-Gedenkstätte und ein herausgesprungener Gullydeckel, der wieder einsetzt werden muss. So sah das Pensum der Freiwilligen Feuerwehr Dachau allein am vergangenen Wochenende aus. Der ganz normale Wahnsinn.

Die Zahl der Einsätze der 67 Freiwilligen Feuerwehren im Landkreis steigt kontinuierlich an und steht in bedenklichem Widerspruch zum Personalmangel, unter dem viele Truppen leiden. Die Fakten aus dem Jahresbericht, den Kreisbrandrat Franz Bründler gerade vorbereitet, sind alarmierend. Demnach ist die Zahl der Einsätze der Feuerwehren im Landkreis im Jahr 2017 auf 2309 gestiegen, das entspricht einer Zunahme von 327 im Vergleich zum Vorjahr (1982). Die etwa 2700 ehrenamtlichen Feuerwehrfrauen und -männer gelangen allmählich an ihre Grenzen, betont Bründler: "Die Belastung ist zu groß für den Einzelnen."

Die Gründe für den starken Anstieg der Einsatzzahlen sieht der Kreisbrandrat insbesondere im starken Zuzug in den Landkreis Dachau, der im dicht besiedelten Ballungsraum München liegt. Wo mehr Menschen leben, dort passiere auch mehr. Der dichte Verkehr führe zu zahlreichen Unfällen. Allein im Jahr 2017 mussten die hiesigen Feuerwehren 1300 Mal technische Hilfe leisten, beispielsweise Autos aufschneiden und Fahrbahnen reinigen. Fast täglich müssen die Freiwilligen Feuerwehren an den Anschlussstellen der Autobahn 8 in Odelzhausen, Sulzemoos oder Dachau zu schweren Autounfällen ausrücken. Die körperliche und psychische Belastung für die Einsatzkräfte ist jedes Mal enorm, wenn sie Menschen aus Autowracks befreien oder Schwerverletzte versorgen müssen. Immer wieder enden Unfälle auf der A8 tödlich. Ein weiterer Grund für die Zunahme der Einsätze sind laut Bründler Fehlalarmierungen durch private Rauchmeldeanlagen, die inzwischen gesetzlich verpflichtend sind. Bei technischen Defekten können die Geräte ohne Feuer und Rauch Alarm schlagen, was häufig dazu führt, dass besorgte Nachbarn die Feuerwehr rufen. Unter Umständen lösen die Rauchmelder sogar aus, wenn in geschlossenen Räumen geraucht wird oder Wasserdampf aufsteigt. Erst vor wenigen Monaten ist die FFW Dachau zwei Mal innerhalb einer Stunde zur Dachauer Kulturschranne ausgerückt, weil die dort angebrachte Rauchmeldeanlage irrtümlich Alarm geschlagen hatte. Probleme bereitet auch die Anlage im Parkhaus der Altstadt.

Der Kreisbrandrat macht außerdem ein "neues Sicherheitsbedürfnis" von Zugezogenen aus der Stadt für das hohe Einsatzaufkommen verantwortlich. Wer früher eine Berufsfeuerwehr in seiner Nähe hatte, der rufe oft bei jeder Kleinigkeit schon die Feuerwehr. Teilweise, sagt Bründler, riefen Leute sogar an, wenn ihr Keller einen Zentimeter unter Wasser stünde, anstatt den Schaden selbst zu beheben. "Viele wissen gar nicht, dass es Freiwillige Feuerwehren im Landkreis sind" sagt Bründler.

Die FFW Dachau fuhr seit Jahresbeginn bereits 101 Einsätze, während die jährliche Gesamtzahl erfahrungsgemäß bei rund 400 liegt. "Wir stellen eine kontinuierliche Steigerung fest. Wir sind sehr stark belastet", sagt Wolfgang Reichelt, der Sprecher der FFW Dachau. Ein Gutachten hat ergeben, dass die 120 aktiven Mitglieder zahlenmäßig ausreichen. Allerdings kam auch zutage, dass tagsüber zu wenig Ehrenamtliche verfügbar sind und die Feuerwehr zu lange brauche, bis sie am Einsatzort ist. Nicht immer schafft sie die gesetzlich vorgeschriebenen zehn Minuten. Bis Ende 2019 will die Stadt Dachau deshalb insgesamt 17 hauptamtliche Feuerwehrkräfte in der Dachauer Wache an der Friedenstraße engagiert haben. Die Wache soll dann tagsüber permanent von sechs Einsatzkräften besetzt sein und an den Wochenenden und nachts von je drei ehrenamtlichen und drei hauptamtlichen Kräften.

Bei den anderen Feuerwehren im Landkreis ist die Personaldecke dünner - und bereitet große Zukunftssorgen. In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Nachwuchsfeuerwehrler um knapp 30 Prozent auf 339 gesunken. Um die große Einsatzzahl bewältigen zu können, rückten deutlich zu wenige Einsatzkräfte nach. Manche Feuerwehren schreiben deshalb die Jugendlichen direkt an, andere besuchen die Grundschulen, um für sich zu werben. "Es ist eine bedenkliche Situation", sagt Kreisbrandrat Bründler.

© SZ vom 06.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: