Nach der Bundestagswahl:Die SPD-Basis lässt Dampf ab

Nach der Bundestagswahl: Der Dachauer SPD-Chef Sören Schneider will die Parteibasis wieder aufrichten - dabei spielt der neue Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi eine Rolle.

Der Dachauer SPD-Chef Sören Schneider will die Parteibasis wieder aufrichten - dabei spielt der neue Bundestagsabgeordnete Michael Schrodi eine Rolle.

(Foto: Toni Heigl)

Bei einer Wahlnachlese diskutieren Dachauer Sozialdemokraten die Ursachen des schlechten Abschneidens ihrer Partei auch in der Kreisstadt. Ortsvereinsvorsitzender Sören Schneider bemüht sich, den Blick in die Zukunft zu richten, aber eine Patentlösung hat niemand

Von Walter Gierlich, Dachau

Der Saal im Adolf-Hölzel-Haus ist eindeutig zu groß für die knapp 30 Frauen und Männer, die am Mittwochabend zur Mitgliederversammlung des Dachauer SPD-Ortsvereins gekommen sind. Die Sozialdemokraten bieten in dem großen Raum eher den Anblick eines verlorenen Haufens. Eine Wahlnachlese steht auf dem Programm, nur allzu verständlich nach dem katastrophalen Ergebnis, das die Partei bundes- und bayernweit, aber auch in der Großen Kreisstadt eingefahren oder, wie der Ortsvereinsvorsitzende Sören Schneider sagt, "schmerzlich erlebt" hat. Gerade einmal 14,6 Prozent der Zweitstimmen konnte die SPD in der Stadt Dachau holen, lediglich etwa drei Punkte mehr als jeweils Grüne, FDP und AfD. Das bietet auch das historisch schlechte Ergebnis der CSU in Bayern kaum Trost, die zehn Prozent eingebüßt hat.

In die Zukunft blicken

Aber der triste Eindruck täuscht. Sören Schneider bemüht sich, Aufbruchsstimmung zu verbreiten und ist deshalb mit dem Wort Nachlese unzufrieden. Er nennt es lieber Vorlese, denn er möchte mit seinen Parteifreunden "in die Zukunft blicken", um herauszufinden, wie die SPD dahin kommen kann, wo sie hin will. Einleitend zitiert er zum einen aus einem Brief des Parteichefs und gescheiterten Kanzlerkandidaten Martin Schulz, "den ich immer geschätzt habe und noch schätze". In dem Schreiben an die Ortsvereine beklagt dieser, dass die Wahlniederlagen von 2009 und 2013 nie richtig aufgearbeitet und keine Schlussfolgerungen daraus gezogen worden seien. Zum anderen lobt der Ortsvorsitzende die Initiative "SPDplusplus" von jungen Mitgliedern, die nach dezentralen Alternativen der Parteiarbeit sucht, etwa Online-Themenforen, um junge Wähler anzusprechen.

In der Diskussion macht die Basis sich gut eineinhalb Stunden lang Luft, wobei sich die Suche nach den Ursachen für das Wahldebakel und nach Lösungsmöglichkeiten für die Zukunft die Waage halten. "Wir haben die Leute mit dem kleinen Geldbeutel aus den Augen verloren", sagt schon in der ersten Wortmeldung Gerd Schott, der die Partei auffordert, sich neu aufzustellen, "sonst rutschen wir auf zehn Prozent ab". Eine inhaltliche und organisatorische Veränderung hält auch die stellvertretende Ortsvorsitzende Anke Drexler für notwendig, aber im Gegensatz zu ihrem Vorredner "nach links", mit mehr Umverteilung, nicht mit mehr Ausländerfeindlichkeit: "Das ist für mich eine rote Linie."

"Manchmal sind wir einfach zu brav"

Noch stärker in diese Richtung drängt ihr Vize-Vorstandskollege Florian Heiser, der ganz konkret "Umverteilung von den Reichen zu den Armen" einfordert und seiner Partei vorhält, sich zu wenig mit drängenden Fragen hier am Ort zu beschäftigen, etwa der Schließung von Autoliv oder der Personalnot am Amperklinikum Dachau. "Manchmal sind wir einfach zu brav."

Der Kreisvorsitzende der Arbeiterwohlfahrt (Awo), Oskar Krahmer, sieht angesichts der Abspaltung von Grünen und Linken aus der SPD in den zurückliegenden Jahrzehnten 30 Prozent als realistische Zielmarke für seine Partei. Diese seien aber nur zu erreichen, wenn die Sozialdemokraten wieder lernten, "ehemalige Vorfeldorganisationen zu bedienen wie Naturfreunde, Awo oder DGB. Da haben wir alle geschlafen". Eher skeptisch ist da Jürgen Zarusky. Einerseits hätten sich die Milieus verändert, andererseits "steckt uns immer noch die Agenda 2010 in den Knochen", betont er und fordert von der örtlichen Partei und ihrem neuen Bundestagsabgeordneten Michael Schrodi mehr Präsenz in der Öffentlichkeit. Zu den monatlichen Treffen des Ortsvereins müsse man beispielsweise auch mal Vertreter des DGB, der Caritas oder des Krankenhausbetriebsrats holen, "um zu erfahren, was eigentlich los ist in der Stadt".

"Was hier gesagt wird, ist austauschbar. Ich könnte auch bei anderen Parteien sitzen"

Als "älteren Frischling" bezeichnet sich Reinhard Hellmann, der das gute Wahlprogramm lobt und daher erstaunt gewesen sei ob des schlechten Ergebnisses. Nach seiner Ansicht müsse man Kinder und Jugendliche stärker in den Mittelpunkt der politischen Arbeit rücken. Eine Diskrepanz zwischen Programm und Wählerschaft macht auch der Ortsvorsitzende Sören Schneider aus und verweist auf das Hamburger Grundsatzprogramm von 2007, das eine Stärkung der Kommunen vorsieht. Für den SPD-Stadtrat der richtige Weg: "Am Ort besteht die Möglichkeit, sich einzubringen." Wasser in den Wein gießt den engagiert debattierenden Genossen jedoch auf einmal Detlev Ebert: "Was hier gesagt wird, ist austauschbar. Ich könnte auch bei anderen Parteien sitzen." Nach seiner Ansicht muss die SPD sich Zeit lassen und gründlich nachdenken, "um die bestmögliche Lösung zu finden".

Lange wird die AfD überhaupt nicht erwähnt, bis sie ganz plötzlich wie ein Schreckgespenst im Raum steht, als es um Ängste der Menschen geht. Für Anke Drexler ist das Thema Angst eine Folge der Globalisierung, aber viele Ängste hält sie schlicht für irrational. Das sieht auch Heiser so: "Die Angst der Leute, dass sie durch den Zuzug von Fremden verlieren könnten, ist tatsächlich nur Angst, die von der AfD und anderen geschürt wird." Er betont, dass Deutschland schon aus demografischen Gründen Menschen brauche, "die in unser Land kommen".

Jürgen Seidel fragt sich, warum andere Parteien es schaffen, verunsicherte Leute anzusprechen "und wir nicht". Er wirft seiner Partei vor, sich zu sehr auf die Mittelschichten konzentriert zu haben: "Der Arbeiter in der Fabrik hat uns nicht mehr interessiert." Schneider jedenfalls will den Dialog auch mit solchen Menschen suchen, die positiv über die AfD denken und die sich nicht mehr gewerkschaftlich organisieren: "Wir müssen wahrgenommen werden als jemand, der zuhört." Deutlich wird bei dem Treffen der Basis vor allem eines: Sie vermisst eine SPD mit einem klaren Profil.

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