Nach der Bluttat von Dachau:Worte sind schneller gezückt als Waffen

Mehr Sicherheitstechnik in Gerichten - das fordern viele nach den tödlichen Schüssen von Dachau. Dabei können gerade psychologische Fähigkeiten die Wogen während eines Prozesses glätten. Doch Richter und Staatsanwälte sind im Umgang mit Konflikten nur unzureichend geschult.

Katja Riedel

Er galt als Querulant, vor Gericht gab er sich ungehalten und uneinsichtig. Ein Justizbeamter sagte später, er habe doch geahnt, "dass was passieren wird". Gesagt hat er das, nachdem Rudolf U. am Mittwochnachmittag zur Waffe gegriffen und den jungen Staatsanwalt Tilman T. in Dachau erschossen hatte - einen Berufsanfänger, der erst seit einem knappen Jahr bei der Staatsanwaltschaft arbeitete, die für das Münchner Umland zuständig ist. Hätte es für das Gericht also eine Möglichkeit gegeben, Rudolf U. zu bremsen, bevor er zu schießen begann?

Schnell waren sie zu hören, die Fragen, wie eine Waffe überhaupt in einen Gerichtssaal gelangen konnte. Oder ob die Justiz künftig jede Tasche durchleuchten müsse, die in ein Gerichtsgebäude getragen wird. Es sind Fragen nach Sicherheitstechnik und Aufrüstung. Doch wie Richter und Staatsanwälte selbst gewappnet sind - nicht durch Apparate, sondern durch ihre Persönlichkeit und ihr Verhalten -, spielt in der ersten Debatte bisher keine Rolle.

Dabei sind es gerade psychologische Fähigkeiten, die im Gerichtssaal Situationen eskalieren lassen oder Wogen glätten können. Darauf, die richtigen Worte und Gesten zu finden, werden Richter und Staatsanwälte kaum vorbereitet, obwohl das deutsche Richtergesetz Verhandlungsmanagement, Rhetorik und Streitschlichtung zu den erwünschten Fähigkeiten zählt.

Diese, so will es das Gesetz, sollten vor allem die Universitäten lehren, die seit der Bologna-Reform für ein Drittel der Studieninhalte verantwortlich sind.

Klar ist, dass in den Prüfungen die Fachinhalte völlig dominant und prägend sind und sogenannte Soft Skills in der Ausbildung eine zu geringe Rolle spielen", sagt Rainer Hornung. Er leitet die Deutsche Richterakademie, ist selbst Staatsanwalt und Referendarsausbilder am Landgericht Freiburg.

In der Akademie, die von den Bundesländern getragen wird, geht es in etwa einem Viertel der 140 jährlichen Fortbildungen um das Verhalten der Richter. "Konfliktmanagement", "Umgang mit querulatorischen Angeklagten", "Umgang mit Konflikten" heißen einige der Kurse für Richter, die bereits in Amt und Würden sind.

"Im Alltag blende ich aus, wie gefährlich mein Beruf ist"

Keiner ist allerdings verpflichtet, diese Kurse zu belegen. Hornung wünscht sich, dass die Förderung dieser Fähigkeiten in der Ausbildung stärker verankert wird. Mit seinen Referendaren versucht er darüber zu sprechen, wie die angehenden Staatsanwälte die Wirkung ihres Auftretens auf Zeugen und Angeklagte erleben. Für Rollenspiele bleibt keine Zeit.

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Amtsgericht Dachau: Gab es eine Möglichkeit, den Todesschützen Rudolf U. zu stoppen?

(Foto: dpa)

Dabei gehören psychisch belastende Situationen fast schon zum Tagesgeschäft: Drohanrufe in den Büros von Richtern und Staatsanwälten, so ist zu hören, seien auch bei Berufsanfängern nicht selten.

Schlagzeilen machen extreme Fälle, etwa der eines Münchner Staatsanwaltes, der sich und seine Familie zwei Jahre lang verstecken musste, während er gegen einen Kopf der Russenmafia ermittelte.

Oder der des Ehrenmordprozesses gegen Ahmad O. 2009 vor dem Hamburger Landgericht. Der damals 24-Jährige hatte seine Schwester erstochen. Der Staatsanwalt hatte lebenslange Haft wegen Mordes gefordert. Als der Richter dem folgte und das Urteil verlas, kam es zu Tumulten und wüsten Bedrohungen, die Justizbeamte schlichteten. Noch am selben Tag erhielt der Staatsanwalt eine Todesdrohung.

Ingrid Kapps hat solche Situationen selbst nie erlebt. Seit 18 Jahren ist sie Richterin am Amtsgericht München, im Justizzentrum, das auch das Landgericht beherbergt. "Im Alltag blende ich aus, wie gefährlich mein Beruf ist", sagt sie. Gerade in Familienangelegenheiten komme es immer mal wieder zu lautstarken Wortwechseln, die es zu beschwichtigen gelte.

Wie sie das macht, hat sie kein Dozent gelehrt, sondern das Leben. Strategien für schwierige Situationen zu erwerben, werde immer wichtiger, sagt Kapps. Am Tag nach den Schüssen von Dachau seien alle Kollegen "völlig geschockt", berichtet sie. "Da wird uns wieder klar, was in unserem Beruf passieren kann."

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