Nach dem Streik der Beschäftigten:"Gravierende Alarmzeichen"

Demenz Woche

Landrat Stefan Löwl, stellvertretender Helios-Aufsichtsratsvorsitzender, sieht die Lage nicht so dramatisch.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Mehrzahl der Kreispolitiker reagiert besorgt auf den Pflegenotstand an den Kliniken von Helios in Dachau und Indersdorf. Aber ihre Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Geschäftsleitung schätzen sie nicht gerade hoch ein

Von Gregor Schiegl, Dachau

Mitarbeiter von Kliniken müssen sogenannte Gefährdungsanzeigen machen, wenn sie so überlastet sind, dass sich daraus kritische Situationen für ihre Patienten ergeben könnten. In diesem Jahr war dies am Dachauer Klinikum laut Betriebsrat 299 Mal der Fall. Die Anzeigen kamen hauptsächlich aus dem Pflegebereich. Das facht die schon seit Jahren immer wieder aufflammende Debatte um den Pflegenotstand an dem Krankenhaus erneut an. Marese Hoffmann, Sprecherin der Grünen im Kreistag, spricht von einem "gravierenden Alarmzeichen", auf das die Klinikleitung rasch reagieren müsse. Schon früher habe sie im Kreistag auf die "unglaublich stark gestiegene Zahl" der Anzeigen hingewiesen. Sie fordert einen "respektvollen Umgang mit den Nöten der Pflegenden" und unterstützt Forderungen nach einem gesetzlichen Pflegeschlüssel für Krankenhäuser. Zustimmung kommt von SPD-Fraktionschef Harald Dirlenbach: "Das wird eine der wichtigsten Aufgaben der neuen Bundesregierung sein."

"Wir sind auf einem guten Weg", sagt der Landrat

Landrat Stefan Löwl (CSU), der auch stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der vom Konzern Helios betriebenen Kliniken in Dachau und Markt Indersdorf ist, warnte davor, die Situation zu dramatisieren. Bei der Pflege zeige sich zwar ein "durchwachsenes Bild". "Eine Gefährdung der Patienten im Sinne von Lebensgefahr sehe ich nicht." Auch die Zahl der Überlastungsanzeigen sagten für sich allein genommen noch nichts aus. Jeden Fall müsse man genau betrachten. "Da, wo es Mängel gibt, gehe ich dem als Aufsichtsratsmitglied nach." Löwl steht nach eigenen Angaben in engem Kontakt zu Krankenschwestern und Patienten. Zugleich warnt er davor, die Pflege am Dachauer Klinikum schlechtzureden. Es habe 2016 einige Probleme gegeben, aber auch viele Verbesserungen. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt der Landrat. "Aber wir sind noch nicht am Ziel angekommen."

Erst vor einem halben Jahr hatte Helios unter Geschäftsführer Christoph Engelbrecht einen Sieben-Punkte-Plan zur Verbesserung der Pflege im Haus vorgelegt. Engelbrecht galt den Kreisräten als zugänglicher, pragmatischer Partner. Doch nach einem überraschenden Wechsel hat Thomas Eberl die Geschäfte übernommen, und die Umsetzung des Sieben-Punkte-Plans geht noch nicht so voran, wie sich die Kreisräte das wünschen würden. SPD-Kreisfraktionschef Harald Dirlenbach findet die Umsetzung der angekündigten Maßnahmen bislang sehr dürftig. "Wir sind mit den Ergebnissen nicht zufrieden." Selbst CSU-Fraktionssprecher Wolfgang Offenbeck zeigt sich enttäuscht. "Nach den Gesprächen mit Engelbrecht konnte man meinen, die Klinik sei auf einem guten Weg." Offenbar gebe es aber immer noch "kräftige Defizite" im Pflegebereich. "Wir sind höchst alarmiert und besorgt."

"Die Privatisierung war ein schwerer Fehler"

Michael Reindl, Fraktionssprecher der Freien Wähler, fordert einen Aktionsplan. Als Landrat müsse Löwl sich "mehr engagieren, im Interesse der Mitarbeiter und Patienten". Nachdem sich im pflegerischen Bereich "nicht viel getan" habe, müsse man sich noch einmal mit der Geschäftsführung unterhalten. Recht viel mehr Möglichkeiten haben die Kreisräte auch nicht. Der Landkreis hält nur noch 5,1 Prozent der Anteile am Klinikum. "Die Privatisierung war ein schwerer Fehler", sagt Reindl.

Sebastian Leiß, Sprecher der Freien Wähler Dachau, sagt: "Es hätte allen Beteiligten klar sein müssen, dass man damit alle Einflussmöglichkeiten aufgibt." Viele Kreispolitiker hätten aber das Gegenteil suggeriert, das störe ihn. "Und die öffentliche Diskussion über Pflegenotstand stärkt die Position der Klinik als Arbeitgeber auch nicht." Dieses Dilemmas sind sich seine Kollegen durchaus bewusst, aber es hilft ja nichts. "Wenn es Missstände gibt, muss man sie auch ansprechen dürfen", sagt Dirlenbach. In Kliniken anderer Landkreise gebe es ähnliche Probleme - nur bekämen die Dachauer davon nichts mit.

Unisono heben alle Fraktionsvertreter die herausragende Qualität der Ärzte und der Technik am Dachauer Klinikum hervor. "Medizinisch ist Dachau Top, 1A, vorbildlich", sagt Marese Hoffmann anerkennend. Helios habe sehr viel Geld in diesen Bereich investiert. Doch nun sei es vielleicht mal an der Zeit, den Fokus auf die Pflegenden zu legen. Weil es "keine Sofort-Lösung" geben, solle Helios einen "permanenten Gesprächsprozess" mit den Pflegenden einleiten und durch Umschichtung die Situation der am stärksten belasteten Stationen entschärfen. Das Unternehmen müsse aber auch mehr Stellen ausschreiben und attraktivere Arbeitsbedingungen schaffen.

"Die Leute, die man ausbildet, muss man auch halten", ergänzt Harald Dirlenbach. Betriebswohnungen, Kinderbetreuung und übertarifliche Bezahlung könnten Anreize schaffen. "Wir müssen die Pflegeberufe attraktiver machen." Doch das sind die großen gesundheitspolitischen Themen der Bundespolitik. Das wissen die Kreispolitiker auch. "Es wird keine Dachauer Insel-Lösung geben", sagt Landrat Stefan Löwl.

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