"Wir haben eine Staumeldung für die Münchner Straße, bitte umfahren Sie das Gebiet um die Ludwig-Thoma-Wiese weiträumig", schallt es aus dem Radio im Auto, die gut gelaunte Stimme des Moderators kommt vielen an diesem Freitagabend in Dachau bekannt vor. Philip Donath, Sänger der Partyband "Ois Easy" lacht auf der Bühne ins Mikrofon und wenige Sekunden später erklingen die ersten Akkorde Rockmusik durch die Radios von fast 140 Fahrzeugen auf der Ludwig-Thoma-Wiese. Auto an Auto parken die Fans der bayerischen Band vor der Bühne, auf der sich die sechs jungen Männer aus dem Landkreis musikalisch austoben. Normalerweise kennt man sie vom Münchner Oktoberfest oder vom Dachauer Volksfest, das üblicherweise auf genau dieser Fläche jährlich stattfindet. Doch 2020 ist alles anders. Dieses Jahr wurde der "Dachauer Musiksommer" als Drive-In-Event organisiert. Und an diesem Abend soll die Frequenz 95,2 für Partystimmung sorgen.
Nur die Lederhosen der Bandmitglieder erinnern an das Volksfest und auch einige Fans haben sich in Tracht gekleidet. Junge Frauen im Dirndl und mit aufwendigen Flechtfrisuren sitzen in ihren Autos und jubeln der Band durch das geöffnete Fenster zu. Statt des Bierzeltes über dem Kopf sieht man an diesem Tag nur blauen Himmel und rechts hinter der Bühne leuchtet der Vollmond. Man merkt dem Publikum in den ersten Minuten des Konzertes an, dass diese Situation ungewohnt ist. Wo sind die Bierbänke, auf denen man tanzen kann, wo die Maßkrüge voll mit Bier? Das Bier haben sich an diesem Abend viele selbst mitgebracht, andere knabbern Chips hinter dem Steuer. Party im eigenen Auto, noch glaubt keiner so richtig daran. Doch als es dunkel wird, tauen viele Zuschauer auf und lehnen sich immer weiter aus dem Fenster. Die ersten setzen sich sogar auf ihr Autodach und winken der Band entgegen. Im Rückspiegel sieht man eine Gruppe Kinder, die barfuß auf der Motorhaube sitzen, sie reißen bei jedem Takt die Arme wild in die Luft. "Ois Easy" hat an diesem Abend kein festes Programm. Es gilt: Das Publikum entscheidet, was gespielt werden soll. Immer zwei Songkategorien stehen zur Auswahl, abgestimmt wird mit der Lichthupe. "Ja, da muss sich heute jeder mal mit den Instrumenten seines Autos vertraut machen", heißt es lachend aus dem Mikrofon. "Wo war nochmal der Blinker?" Kurz fühlt man sich in die Fahrschule zurückversetzt, dann haben es alle raus und mehr als hundert Autos verlangen leuchtend und blinkend nach "99 Luftballons". Die Band spielt eine bunte Vielfalt aus Rock, Pop, Disco und Oldies, es ist für jeden etwas dabei.
Ein wenig erinnert die Szene an den Kinderfilm "Cars", in dem es keine Menschen gibt, sondern alle Charaktere von Autos verkörpert werden. Sie zwinkern, lächeln, schaukeln gemeinsam im Takt der Musik. Warnblinklichter, Blinker, Scheibenwischer und Lichthupe sind die Reaktionen, die "Ois Easy" an diesem Abend vom Publikum bekommen. Doch auch jubelnde Fans und durch die Luft wirbelnde Warnwesten zeigen, dass die Band es geschafft hat, was anfangs keiner so wirklich glauben konnte: Partystimmung trotz Corona-Abstandsregeln, die eigentlich jedes Bierzelt-Feeling zunichte machen.
Die Kategorien "Zehn Minuten Vollgas" und "Da tanzt selbst Mutti auf der Bank" gewinnen in der Lichthupen-Umfrage, also gibt die Band alles bei "Sportfreunde Stiller", "Amadeus Amadeus" und "I like to move it, move it". Die sechs "Ois Easy"-Männer rocken auf der Bühne, wie man es von ihnen kennt und freuen sich über das Lichtermeer vor ihnen. Das Mitmachkonzert sorgt für gute Laune - Lichter und Musik verschwimmen in der Dunkelheit. Die eineinhalbstündige Show ist schnell vorbei, die Masse hupt und hupt und hupt. "Nächstes Jahr fahren wir mit dem Auto ins Bierzelt", scherzen die Bandmitglieder auf der Bühne, man merkt, dass sie gerne noch länger gespielt hätten. Sie wissen nicht, wann sie wieder wie gewohnt im Festzelt für Partystimmung sorgen dürfen, doch sie nehmen es locker. "Ois Easy" eben. "Irgendwann wird auch diese Zeit vorbeigehen", rufen sie ins Mikrofon und stimmen "We will rock you" an.
Als die letzten Akkorde der E-Gitarre verstummen und sich der diesjährige "Dachauer Musiksommer" dem Ende zuneigt, wenden die ersten Besucher ihre Autos von der Festwiese. "Achtung, auf der Münchner Straße fahren Autos ohne Licht oder mit Warnblinklicht in der Dauerschleife", müsste es nun aus dem Radio heißen. Aber gut gelaunt sind sie, die teilweise batterieleeren Autos.