Musik:Pure Improvisation

Die neue Formation von Elliott Sharp steht bei ihrem Konzert in Dachau zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne: ein Wagnis, das sich lohnt

Von Andreas Pernpeintner, Dachau

Die Energie, die Eric Mingus, dieser Bär von einem Sänger, in der vollbesetzten Kulturschranne entfacht, ist phänomenal. Zu Gast beim Dachauer Jazz e.V. ist das Quartett "Elliott Sharp's Fourth Blood Moon" um den namensgebenden Gitarristen. Sharp ist für die Ära des Jazz e.V. in der Kulturschranne ähnlich prägend, wie es einst die Saxofonisten Peter Brötzmann und Ken Vandermark für die Jahre im Café Teufelhart waren. Sein "Terraplane"-Konzert zusammen mit Mingus vor zehn Jahren hat in der Dachauer Jazzgeschichte einen Ehrenplatz. An diesem warmen Donnerstagabend im Frühjahr 2018 dominiert nun Mingus das Geschehen. Lässig schlendert er auf der Bühne umher, oft dem Publikum den Rücken zugewandt, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben. Er öffnet den Mund - und ein volltönender Blues-Bariton erfüllt den Raum, ein Bariton, der im Laufe des Konzerts sämtliche Register erkunden wird: lichte Kopf- und röhrende Bruststimme, tragendes Vibrato mit klassischer Stütze. Die Botschaften, die Mingus dabei verkündet, sind oft akustisch unverständlich und ähnlich oft aus dem Textfundus der Blues-Binsenweisheiten gegriffen ("This morning . . . ", "Going home . . . ", "Waitin' for . . . ").

Musik: Der Schlagzeuger Mark Sanders.

Der Schlagzeuger Mark Sanders.

(Foto: Toni Heigl)

Aber was ist es dann, was seine Darbietung zu einer so packenden Perfomance macht? Es ist zum einen Mingus' mächtige Bühnenpräsenz. Es ist zum anderen die geradezu greifbare Selbstverständlichkeit und Selbstsicherheit seines Gesangs. Genau so, wie es ihm aus der Spontaneität des Augenblicks heraus in den Sinn kommt, soll es sein. Und spätestens wenn Mingus beginnt, mit den scheinbaren Schwächen seines Singens virtuos zu spielen, wenn er den Text vollends Text sein lässt, seine Stimme auf eine spirituell anmutende Elementarsprache reduziert, irgendwo zwischen Scat-Gesang und sanfter Vokalfärbung, wenn er gar nur noch einen brüchigen Rhythmus ins Mikrofon haucht und das erste Set mit einem dissonant in die Tiefe rutschenden Jodler beschließt, ist's große Kunst.

Musik: Der New Yorker Gitarrist Elliott Sharp.

Der New Yorker Gitarrist Elliott Sharp.

(Foto: Toni Heigl)

Es hilft nichts, man muss so viel über den Sänger sagen, um diesen Auftritt zu begreifen. Denn hier herrscht pure Improvisation, die fast ohne kompositorisch vorherbestimmte Strukturierung auskommt. Axel Blanz, Programmkoordinator des Jazz e.V., vermeldet es zu Beginn: Aus allen Himmelsrichtungen sind die vier Musiker zu diesem Konzert eingeschwebt, zum ersten Mal stehen sie in dieser Formation gemeinsam auf der Bühne. Eine richtungsweisende Instanz muss es deshalb geben, soll aus solcher Improvisation eine zielgerichtete Darbietung erwachsen. Und diese Instanz ist Mingus mit seinem Blues.

Musik: Der bühnenmächtige Sänger Eric Mingus mit dem hart arbeitende Bassisten John Edwards im Hintergrund.

Der bühnenmächtige Sänger Eric Mingus mit dem hart arbeitende Bassisten John Edwards im Hintergrund.

(Foto: Toni Heigl)

Wie die drei Instrumentalisten nun auf diese Route einschwenken, ist ein Ereignis. Man hat Elliott Sharp an dieser Stelle ja schon mit mancher Spielästhetik erlebt, nicht zuletzt als introvertierten Impressionisten, der mit E-Gitarre und Elektronik wie im Klanglabor schillernde Spektralanalysen vornahm. An diesem Abend aber ist er als herzhafter Blues-Gitarrist zu hören. Natürlich klingt er dabei nicht nach BB King, natürlich sind seine Riffs, Licks und Leadsounds moderner, harmonisch gebrochener. Natürlich gibt es zwischendurch Passagen, in denen sich Sharp, Bassist John Edwards und Schlagzeuger Mark Sanders über Klangflächen treiben lassen, in denen es nicht um Rhythmus, sondern ums feingliedrige, sphärische Farbenspiel geht. Vorherrschend aber ist der Charakter einer markant groovenden Blues-Jam-Session mit reichlich Funk- und im zweiten Set mit merklichen Jazzrock-Elementen. Diese Session ist musikalisch nicht immer komplex (Harmoniewechsel zum Beispiel gibt es so gut wie gar nicht). Aber wie Sharp, Edwards und Sanders aus präzisen Bass-Ostinati, klarem Beat und dramaturgisch spannender Gitarrenvirtuosität in prozessualer Interaktion musikalische Energie erschaffen, wie sie große dynamische Bögen aufspannen, manch griffigen Rhythmuswechsel samt Tempointensivierung inszenieren und zusammen mit Mingus einander in ihren Ideen beispringen, ist betörend gutes, mit Lust und Spielfreude zelebriertes Musikhandwerk.

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