Süddeutsche Zeitung

Multitalent Ela Marion:Unter Wert verkauft

Lesezeit: 3 min

Ela Marion ist als Musikerin großartig, aber zu einem guten Konzert gehört noch mehr. Das zeigt ihr Gratis-Auftritt in Dachau

Von Andreas Förster, Dachau

Ela kommt als Lady in Red. Im raffinierten roten Kleid, die langen blonden Haare hochgesteckt, die Lippen rot geschminkt. Als die schlanke, groß gewachsene Musikerin die Bühne betritt, verstummen die Gespräche in der gut gefüllten Kulturschranne augenblicklich. Ela Marion, auch bekannt als One-Woman-Orchestra (sie begleitet sich selbst mit acht Instrumenten), zieht die Blicke direkt auf sich. Ihr Sendungsbewusstsein wird schon bei der Begrüßung deutlich: Nichts weniger als die Menschen süchtig machen nach Musik, der gesündesten Droge der Welt, das sei ihr Anliegen, verkündet sie bei der Begrüßung. Und auch später, wenn sie aus ihrem Leben erzählt, wirkt sie warmherzig und nahbar. Sie ist schonungslos offen, auch in ihren Texten. Ihre Stimme ist sanft, beinahe schüchtern, das passt wiederum nicht ganz zum knalligen Outfit.

Schon bald schleicht sich ein Gefühl an und soll sich später manifestieren: Hier gibt es einen kaum merklichen Widerspruch - die talentierte und ambitionierte Künstlerin Michaela Marion Schwab und ihre Bühnenpersona Ela Marion agieren nicht zu 100 Prozent deckungsgleich.

Dazu passt, dass sie in der spärlichen Bühnenbeleuchtung, zwei rötliche Deckenfluter sind vorhanden, fast verschwindet. Hier wird eine weitere Herausforderung sichtbar, die so ein One-Woman-Orchestra mit sich bringt, zumal das Konzert keinen Eintritt kostet: Ein Ton- oder Lichttechniker gehört nicht zum Team, zum Engagieren fehlt das Geld. Ela Marion erwähnt das anfangs, bittet um Nachsicht. Auch am Ende wird Geld noch mal ein Thema sein. Dann nämlich, wenn sie ihre Spendenbox aufstellt, die man gerne großzügig füttern dürfe, sollte einem die Show gefallen haben. Viele werden dem Aufruf folgen, auch für ihr Herzensprojekt, ein generationenübergreifendes Musikerlebnishaus, in dem jeder willkommen ist. Dort sollen einmal Jung und Alt Musik und Kreativität als Weg zu nachhaltiger innerer Freude und Gelassenheit erfahren, als Weg zur Heilung seelischer Wunden oder auch als Ausdruck starker Emotionen, die sonst kein Ventil finden.

Dagegen gibt es auch nichts zu sagen. Trotzdem ist das andere Gefühl wieder da: Irgendwas passt nicht ganz, hier verkauft sich eine großartige Künstlerin unter Wert. Das Potenzial, das in der Singer-Songwriterin Ela Marion steckt, ist schier grenzenlos. Aus ihren vielen Talenten, sie schreibt und textet wunderbare Songs, spielt sie auf der Gitarre, der Harfe, dem E-Bass, der Ukulele, der Querflöte, dem Schlagzeug, der Bratsche und dem Klavier. Ihre Talente sind mannigfaltig. Die Stimme und das Piano ragen dabei aber besonders heraus. Beides hat sie an Musikhochschule und Konservatorium studiert. Die Entertainerin zu geben, so ehrlich muss man sein, gehört beim Auftritt in Dachau, nicht zu ihren herausragenden Talenten. Das Publikum zum Scatten (einem rhythmischen, improvisierten Jazzgesang), Pfeifen und Klopfen zu animieren, damit es sein musikalisches Potenzial entdeckt, ist aller Ehren wert. Aber dann darf dabei keine Spur von Zurückhaltung dabei sein. Das Dachauer Publikum wirkte hier und da etwas überfordert.

Ela Marion hat, das wird während des Auftritts und bei den Lebensgeschichten in den Pausen zwischen den Liedern klar, das Herz am rechten Fleck und das Talent, eine ganz Große zu werden. Vielleicht ist sie es ja schon. Mit ihrer wandelbaren Stimme, dem beeindruckend kraftvollen Vibrato und ihrem virtuosen Jazzklavierspiel kann sich die 42-Jährige jedenfalls mit den Stars des Easy Listening Smooth Jazz, Joni Mitchell, Norah Jones, Diana Krall oder - aus deutscher Sicht - mit Roger Cicero messen. Die deutschen Texte, mit denen sie einen Großteil ihrer englischsprachigen Songs aus dem 2015er Debütalbum "All About Love" nunmehr neu vertont hat, sind charmant, witzig und tiefsinnig. Das ist großes Kino.

Besser aber kommt ihre Stimme auf Englisch zur Geltung, es rückt sie näher an die Virtuosität ihres Pianospiels heran und verleiht ihr eine geheimnisvolle Star-Aura. Im Deutschen rollt das "R" doch recht bairisch. Das passt einfach nicht so gut zum Jazzpiano. Nichtsdestoweniger haben auch ihre deutschen Lieder und Texte sehr hohe Qualität, so erzeugt die Harmonie von Text, Stimme und Klavier bei den gefühlvollen Songs "Sing Solly Sing" (vorher "Sing Soulmate Sing") oder "Tagtraum" (vorher "Dreamboat") immer wieder Gänsehautmomente beim Publikum. Auch bei Jazz-Standards wie "A Time for Love" ist Ela Marion ganz und gar in ihrem Element. Schade, dass das Konzert nach einer Stunde recht schnell vorbei ist.

Nicht alle Songs wirken stimmig zu Ende gespielt, der eine oder andere hätte durchaus noch mehr Spiel- und Gesangszeit vertragen können. Aber dann erinnern wir uns wieder daran, dass das Konzert ja gratis ist . . .

Viele Zuschauer, das wird aus Gesprächen nach dem Konzert deutlich, hätten gerne Eintritt bezahlt, um die fabelhafte Musikerin Ela Marion, die so viel Liebe zur Musik hat, die ihre Love Songs wie "My Biggest Wish", "Mr. Right" oder "We Kissed" auch live unvergleichlich intensiv und authentisch interpretieren kann, um die Musikerin aus Olching, der die Welt offen steht, volle 90 Minuten in ihrem Element zu erleben. Dann würde sie sich künftig auch um Geld keine Sorgen mehr machen müssen.

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Quelle:
SZ vom 12.02.2019
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