Süddeutsche Zeitung

Muffat-Erstaufführung:Barockkonzert ohne Berieselung

Lesezeit: 2 min

Ein kostbares Musikerlebnis mit Dmitry Sinkovsky im Dachauer Schloss

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Barockmusik stand auf dem Programm des letzten Dachauer Schlosskonzerts in diesem Jahr. Das riecht verdächtig nach der handelsüblichen weihnachtlichen Barockmusik, mit der man in den Wochen vor Weihnachten im Konzertsaal wie auf der Straße berieselt wird. Wer das befürchtete, hat nicht mit Dmitry Sinkovsky und der "Italian Baroque Academy" gerechnet, die dieses Konzert zu gestalten hatten. Bei Sinkovsky und dem genannten Barockorchester gibt es absolut kein Rieseln. Im Gegenteil: Das Konzert begann mit einer Opern-Ouvertüre ("Sinfonia avanti l'opera") von Antonio Vivaldi. Hier wurde in dem Stil musiziert, den man zur Zeit (das ändert sich laufend) für original barock hält, also schroffe, raue Fortissimo-Einsätze, dann wieder Pianissimo bis zur Grenze des gerade noch Hörbaren, übertreiben nach jeder Richtung. Und das eine ganze Oper lang?

Es kam wieder ganz anders. In Abänderung des Programms spielte "Italian Baroque Academy" anstelle eines dritten Violinkonzerts eine große, siebensätzige Suite von Georg Muffat, und das ganz wunderbar, herrlich gelöst und musikalisch. Georg Muffat kennen eigentlich nur die Orgelspieler und Freunde der barocken Orgelmusik. Stücke aus seinem groß angelegten "Apparatus musico-oorganisticus" von 1690 fehlten bei einem barocken Orgelkonzert kaum einmal, doch Muffats Orchestermusik ist unbekannt, obwohl er als Vermittler der französischen und italienischen Kunst seiner Zeit in der deutschen barocken Instrumentalmusik vor Bach und Händel einen hervorragenden Platz einnimmt. Die Muffat-Erstaufführung im Dachauer Schloss war ein kostbares musikalisches Erlebnis.

Dann endlich der erste Auftritt des Stars an diesem Abend, Dmitry Sinkovsky als Geiger. Er spielte ein Violinkonzert von Telemann als Melange von brillantem Geigensiel und Show. Bei den schwierigen Solopassagen bleibt er brav an seinem Pult stehen und geigt "normal", aber bei den Tutti-Stellen wandert er geigend durchs Orchester, muntert auf und feuert an. Das wirkt ungemein, sowohl auf das Musizieren als auch - und das vor allem - auf das Publikum. Telemanns sonst kaum bekanntem Violinkonzert kam dieses kräftig angeheizte Musizieren sehr zugute. Besonders gut kam der im äußerstem Pianissimo gespielte langsame Satz an, bei dem die begleitenden Musiker nur pizzicato oder sehr zart staccato spielen durften, der Solist aber mit schönen Kantilenen hervortrat. Allerdings ist Sinkovskys Geigenton im äußersten Pianissimo nicht immer tragend genug, was sich später bei einem Violinkonzert von Vivaldi bestätigte. Die "Italian Baroque Academy" spielte nach der Pause noch zwei Concerti für Streicher und Basso continuo von Vivaldi sehr engagiert, und von dem zickigen Musizieren bei der Ouvertüre war nichts mehr zu spüren.

Jetzt endlich der von manchen Konzertbesuchern sehnlich erwartete Auftritt von Dmitry Sinkovsky als Countertenor. Er sang die kurze Bach-Kantate "Widerstehe doch der Sünde", die tatsächlich nur aus zwei um ein Rezitativ gruppierten Arien besteht - und das wurde zur großen Enttäuschung des Abends. Zum einen passte die Bach-Kantate überhaupt nicht in das Konzertprogramm - sie wurde zur Darstellung von virtuosem Gesang missbraucht - zum anderen war Sinkovsky hier nicht nur in Fragen des guten Geschmacks (über die man bekanntlich streiten kann), sondern auch gesangstechnisch überfordert. Sehr überzeugend spielte das Orchester. Die erste Arie setzt mit einer Dissonanz ein. Man hat in diesem Satzbeginn mit einem derart harten Missklang bisweilen einen einmaligen Geniestreich Bachs sehen wollen. Die "Italian Baroque Academy" spielte diesen Missklang wie auch alle anderen harmonischen Kühnheiten in Bachs Musik wie auch ihre rasend schnelle Sechzehntel-Bewegung in spieltechnischer Brillanz intensiv aus.

Brillanz war dann auch Sache beim Violinkonzert "Il Favorito" von Vivaldi. Hier gab es nicht mehr so viel Show wie beim Telemann-Konzert, denn hier hatte der Geiger mit den geigerisch tollen Kunststücken von Vivaldi zu tun. Das Publikum war hingerissen, und Sinkovsky bedankte sich für die Ovationen mit drei Zugaben. Die schönste war ein Lied von John Dowland, das er zur Begleitung einer Laute sang: Himmlisch! Sinkovsky ist halt doch einer der großen Countertenöre unserer Zeit.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2019
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